Historische Momente des EU-DealsDer Juncker-Schmatzer, Merkels Eiszeit und Cassis’ Reset-Knopf
Bundespräsident Guy Parmelin will vollenden, was schon einige Beamte zur Aufgabe zwang: ein Rahmenabkommen mit der EU. Die schwierigen Verhandlungen in 17 Bildern.
Es ist eine Schweizer Idee: das Rahmenabkommen mit der Europäischen Union, mit dem sich der Bundesrat und die Parteien derzeit so schwertun. Erstmals zu Papier gebracht hat den Gedanken 2001 ein Thinktank; die aussenpolitische Kommission des Ständerats hielt sie dann in einem europapolitischen Bericht fest. Danach folgten 20 Jahre mit vielen Auf und Ab, Intrigen und Köpferollen – festgehalten in folgenden starken Bildern.
Micheline Calmy-Rey gibt Startschuss
Lange bleibt das Projekt Rahmenabkommen in Bern in Schubladen liegen – bis SP-Aussenministerin Micheline Calmy-Rey 2005 Michael Ambühl zum Staatssekretär macht. Die Schweizerinnen und Schweizer stimmen in dem Jahr über den Beitritt zu Schengen/Dublin ab und sagen Ja zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die osteuropäischen EU-Länder. Calmy-Rey sieht die Zeit für einen Rahmenvertrag als gekommen – und vereinbart mit der EU erste Vorgespräche.
Zwei toughe Frauen geraten aneinander
Die EU greift die Schweiz wegen kantonaler Steuerprivilegien für Firmen an und versucht, das Bankgeheimnis zu knacken. Die Beziehungen werden teilweise frostig, Aussenministerin Calmy-Rey und EU-Aussenkommissarin Benita Ferrero-Waldner führen harte Diskussionen. Im Februar 2009 beschliessen sie erneut, ein Rahmenabkommen gemeinsam zu prüfen.
Es zeichnet sich eine «mission impossible» ab
Die Vorbereitung des Rahmenvertrags ist harzig. 2009 vereinbaren Bern und Brüssel, rasch vorwärtszumachen, Aussenministerin Micheline Calmy-Rey bemüht aber bereits das Bild einer «mission impossible» bei einem Besuch bei EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso.
Didier Burkhalter wagt ein Experiment
Es ist eine umstrittene Personalentscheidung des neuen Aussenministers: FDP-Bundesrat Didier Burkhalter übernimmt von SP-Magistratin Calmy-Rey und installiert den Aussenseiter Yves Rossier als Nummer zwei im Aussendepartement und Chefunterhändler mit der EU. Es ist Rossier, der mit der EU vereinbart, dass der Europäische Gerichtshof im Rahmenabkommen als Schlichtungsstelle für Streitfälle festgehalten wird – was Rossier selbst als «fremde Richter» bezeichnet.
Tiefpunkt wegen Streit ums Bankgeheimnis
Die Beziehung gelangt an einen Tiefpunkt: Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf handelt mit Grossbritannien Abgeltungssteuern aus, um das Bankgeheimnis zu retten – und auch mit Deutschland, was ausgerechnet am Morgen eines Besuchs bei EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bekannt wird.
Burkhalter macht Ernst
Es ist so weit: Didier Burkhalter verkündet im Dezember 2013 den Beginn formeller Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU.
Die Spannungen führen zu einer Eskalation
Die Eskalation folgt wenige Wochen nachdem der Bundesrat Verhandlungen über das Rahmenabkommen beschlossen hat: Die Masseneinwanderungsinitiative wird am 9. Februar 2014 knapp angenommen, die Schweiz stellt damit die Personenfreizügigkeit infrage. Die EU bestraft die Schweiz, indem sie die Forschungszusammenarbeit und den Austausch von Studenten und Wissenschaftlern erschwert. Bundespräsident Didier Burkhalter versucht sich bei Besuchen wie bei Kanzlerin Angela Merkel in Schadenbegrenzung – vergeblich. Es beginnt eine mehrmonatige Eiszeit.
Küsschen für Sommaruga, Kälte für die Schweiz
Das Bild ist bekannt wie kaum ein Zweites aus diesem komplizierten bilateralen Verhältnis: Simonetta Sommaruga lässt sich von Jean-Claude Juncker auf die Wange küssen, als die Bundespräsidentin den EU-Kommissionspräsidenten am 2. Februar 2015 in Brüssel trifft. Er erteilt ihr aber eine Absage: Die EU wolle mit der Schweiz nicht über die Personenfreizügigkeit verhandeln, was die Masseneinwanderungsinitiative verlangte.
Der erste Neustart
Der Bundesrat wechselt seinen Chefunterhändler mit der EU aus: Yves Rossier wird abgesetzt, von ihm übernimmt Jacques de Watteville, im Unterschied zu Rossier ein Diplomat alter Schule. Kurz zuvor hat Grossbritannien eine Abstimmung über den Brexit angekündigt, was die Verhandlungen mit der Schweiz zunehmend überschattet. De Watteville erreicht, dass ein Schiedsgericht ins Rahmenabkommen aufgenommen wird – doch der Einfluss des Europäischen Gerichtshofs bleibt gross.
Eine SP-Frau übernimmt
Damit hat niemand gerechnet: Didier Burkhalter lässt eine SP-nahe Diplomatin die Arbeit der früheren FDP-affinen Staatssekretäre weiterführen. Er überträgt Pascale Baeriswyl die Verhandlungsführung mit der EU.
Burkhalter wirft den Bettel hin, Cassis rückt nach
Er mag nicht mehr: Entnervt beschliesst Aussenminister Didier Burkhalter im Juni 2017, sein Amt niederzulegen. Einer der Hauptgründe ist das stockende Europadossier, mit dem Burkhalter im Bundesrat immer weniger Rückhalt findet. An seine Stelle tritt Ignazio Cassis, der vor der Wahl in den Bundesrat verspricht, den Reset-Knopf zu drücken.
Aufbruchstimmung mit Doris Leuthard
Es kommt Aufbruchstimmung auf, als Bern und Brüssel den Streit um die Masseneinwanderungsinitiative beilegen. Weil die EU Verhandlungen über die Personenfreizügigkeit ablehnt, verzichtet die Schweiz auf eine scharfe Umsetzung des Verfassungsartikels. Die Verhandlungen über das Rahmenabkommen kommen offiziell wieder in Fahrt, nach einem Besuch bei Bundespräsidentin Doris Leuthard in Bern geht EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker davon aus, dass der Durchbruch gelungen ist, und spricht euphorisch von einem Freundschaftsvertrag. Als der Bundesrat später klarmacht, dass die Verhandlungen noch lange nicht zu Ende sind, fühlt sich Juncker brüskiert.
Cassis drückt den Reset-Knopf
Der neue Aussenminister Ignazio Cassis verspricht, bei der EU Verbesserungen im Rahmenabkommen zu erzielen. Er erhält als neuen Gesprächspartner EU-Kommissar Johannes Hahn.
Cassis setzt schillernden Tessiner ein
Ihm eilt der Ruf eines brillanten Kopfes voraus: Roberto Balzaretti wird zum neuen Chefunterhändler mit der EU gemacht. Der Tessiner ist damit Verhandlungsführer Nummer 4. Zügig findet er mit der EU eine Einigung, die im November 2018 – beinahe – besiegelt wird. Doch der Bundesrat weigert sich, das Ergebnis zu bewerten, und schickt es stattdessen in eine Konsultation. Erst im Juni 2019 beschliesst er, von der EU Verbesserungen in drei Punkten zu erreichen. Die EU bestraft daraufhin die Schweizer Börse.
Burgfrieden mit der Neuen
Mit der Wahl von Karin Keller-Sutter verändert sich die europapolitische Dynamik im Bundesrat: Eile mit Weile, heisst es jetzt. Zunächst vereinbart eine Bundesratsdelegation mit der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Schweigeperiode: Keine Seite soll sich zum Rahmenabkommen äussern bis nach der Abstimmung über die SVP-Volksinitiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit. Diese findet wegen der Corona-Pandemie erst Ende September 2020 statt, die Stimmberechtigten lehnen die Initiative ab.
Neue Chefin, neuer Reset
Erneut krempelt der Bundesrat seine Verhandlungsequipe um, weil Roberto Balzaretti mit offensivem Werben für den Rahmenvertrag im Bundeshaus in Ungnade gefallen ist. Aussenminister Cassis engagiert Stardiplomatin Livia Leu als Staatssekretärin, die der EU weitere Zugeständnisse beim Rahmenabkommen abringen soll. Zufrieden ist der Bundesrat aber nicht damit, was sie bekommt.
Der SVP-Bundespräsident greift ein
Ausgerechnet ein SVP-Politiker soll es richten, obwohl doch seine Partei das Rahmenabkommen ablehnt: Bundespräsident Guy Parmelin reist am 23. April 2021 nach Brüssel, um mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen über das Rahmenabkommen zu verhandeln.
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