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Start zur Nations League
Der Captain mit dem Doppelherz

Granit Xhaka dirigiert das Schweizer Mittelfeld.
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Da sitzt er im Presseraum des Stadions von Lemberg und sagt mit ernstem Gesicht: «Für mich spielt es keine Rolle, ob ich die Binde trage oder nicht. Das Wichtigste ist, die Aufgabe des Trainers zu erfüllen. Mein Ziel ist es, meine Mitspieler mitzuziehen.»

Granit Xhaka war schon Captain bei Borussia Mönchengladbach, da war er gerade 23 Jahre alt. Er war es bei Arsenal in der Premier League, zwar nicht so lange, weil es zu einem Eklat kam. Jetzt ist er es endgültig im Nationalteam der Schweiz, weil Stephan Lichtsteiner seinen Rücktritt gegeben hat.

Zum zwölften Mal wird er am Donnerstagabend zum Start der Nations League in der Ukraine die Binde tragen. Er wird es mit Stolz tun, weil er immer stolz gewesen ist, für die Schweiz zu spielen – für das Land, in das er am 27. September 1992 als Sohn kosovarischer Flüchtlinge hineingeboren worden ist. 82 von 92 möglichen Länderspielen hat er bestritten, seit er im Juni 2011, noch 18-jährig, das Debüt gab.

Der Ehrgeiz des Secondos

Xhaka ist seit jenem Tag in England fester Bestandteil der Mannschaft, das ist mit seinem Talent zu erklären, mit seinem strategischen Denken. Bei der EM 2016 in Frankreich war er überragend, bis er im Achtelfinal gegen Polen den entscheidenden Elfmeter verschoss. Bei der WM in Russland gelang ihm dagegen in vier Spielen nur eine überzeugende Halbzeit. Stéphane Henchoz, damals TV-Experte, sagte: «Er lässt mich auf meinem Hunger sitzen. Ich erwarte mehr von einem Spieler seines Niveaus.»

Zwei Monate nach der WM 2018 war Xhaka Captain der Schweiz, der frühere Nationalspieler Kubilay Türkyilmaz forderte im «Blick» vergeblich, Xhaka dürfe das nicht sein. Die Wellen schlugen halt noch immer hoch wegen der Diskussionen um Identifikation und Tradition, die Xhaka und Xherdan Shaqiri mit ihrem Doppeladler-Jubel gegen Serbien ausgelöst hatten. Die «NZZ» hielt ihnen vor, «politisch unterentwickelt» zu sein.

Da war es noch umgekehrt: Xhaka übergibt die Captainbinde Stephan Lichtsteiner. Nach dessen Rücktritt hat sie Xhaka definitiv übernommen.

Das werde nicht mehr passieren, sagte Xhaka reumütig zur Geste von Kaliningrad, bevor er gegen Island die Schweiz anstelle des nicht aufgebotenen Lichtsteiner auf den Platz führte. Xhaka ist der Mann mit dem «Doppelherz», wie er das nennt, der die Wurzeln nicht leugnen will und auch nicht muss. Als 16-Jähriger hatte er erstmals für eine Schweizer Auswahl gespielt, das war die U-17, mit der er 2009 dann auch Weltmeister wurde.

Xhaka ist nicht viel anders als die letzten Captains vor ihm, als Johann Vogel, Alex Frei, Gökhan Inler oder Stephan Lichtsteiner. Aus unterschiedlichen Gründen polarisierten auch sie, und Xhaka tut das, weil er eine starke Persönlichkeit hat. Er war eben erst Nationalspieler geworden, da sagte er: «Wir Ausländer, wir Secondos, bringen eine andere Mentalität rein, wir haben Ehrgeiz, wir geben alles, wir sind Winner. Das macht uns aus.» Sagte der Secondo, der nur den Schweizer Pass besitzt.

Die Pfiffe und der Sturm

Überall, wo er gewesen ist, hat er seine Hörner abstossen müssen. Das war in Basel so wie in Mönchengladbach, weil er gerne einmal vorlaut war, wenn es um Ansprüche und Ziele ging. Bei Arsenal ist es nicht anders gewesen, besonders hier nicht. Aber gerade die letzten Monate beim Grossclub aus London haben gezeigt, was für ein Kämpfer er ist.

Er hat es selten leicht gehabt in London, die Experten am Fernsehen und die Zeitungen schossen sich nach seinem Wechsel für 49,5 Millionen Franken im Sommer vor vier Jahren schnell auf ihn ein, weil er sich ein paar dumme Fouls leistete.

«Fuck off!»

Granit Xhaka

Nie ist der Sturm grösser als nach dem 27. Oktober letzten Jahres, als er gegen Crystal Palace ausgewechselt wird. Er lässt sich Zeit, das Feld zu räumen. Das Gegrummel im Stadion beginnt hinter dem einen Tor und breitet sich im ganzen Stadion aus, Buhrufe und Pfiffe kommen dazu. Xhaka verwirft die Arme und sagt: «Fuck off!», einmal, zweimal, verpisst euch! Er muss als Captain gehen und wird durch einen 18-Jährigen ersetzt.

Nach ein paar Tagen entschuldigt er sich auf Instagram, aber er lässt auch erkennen, was ihn unter seiner angeblich dicken Haut beschäftigt. Das sind Kommentare wie: «Wir bringen deine Frau um», oder: «Ich wünschte, deine Tochter bekommt Krebs.»

Xhaka bekommt das mit, weil er alles liest, was in den Medien, die sozial sein sollen, an Wut und Dreck anonym auf ihn einstürzt. «Ich lese den ganzen Scheiss», sagt er, und wer mental nicht bereit sei, solle gleich ganz auf Social Media verzichten. Auch ein Jahresgehalt von 10 Millionen Franken schützt nicht in jedem Fall vor Verwundbarkeit. In den Wochen nach dem Spiel gegen Crystal Palace stehen bei Xhaka die Zeichen auf Abschied von Arsenal, Hertha Berlin wirbt intensiv um ihn.

Lob, nichts als Lob

Zu seinem Ausweg wird der Trainerwechsel bei Arsenal. Unai Emery muss im Dezember gehen, Mikel Arteta ersetzt ihn, und der Spanier, einst selbst ein Spitzenspieler, gibt Xhaka die nötige Wärme. Er vermittelt ihm das Gefühl, wichtig zu sein, er überzeugt ihn, in London zu bleiben. Irgendwann sagt er über ihn: «Er ist ein Spieler, dessen Engagement über alles Normale hinausgeht. Er lebt für seinen Beruf und ist ein grossartiges Vorbild.»

Auf Twitter schreibt ein Arsenal-Fan: «Wir schulden Xhaka eine ernsthafte Entschuldigung.» Der «Guardian» versteigt sich gar zur Formulierung: «Xhaka ist nicht so sehr der Herzschlag der Mannschaft, vielmehr der Notfall-Defibrillator.» Ohne Captainbinde scheine Xhaka viel mehr ein Leader zu sein als mit.

Xhaka beendet die alte Saison am 1. August mit dem Cupsieg gegen Chelsea und beginnt die neue am vergangenen Samstag mit dem Sieg im englischen Supercup gegen Liverpool. Unter Arteta hat er in 29 Spielen nur zweimal gefehlt. Heute sagt er, er habe nie an sich gezweifelt.

Nationalcoach Vladimir Petkovic hat nie einen Zweifel daran gelassen, wie sehr er Xhaka schätzt. Seit der Chef auf dem Platz letztmals ausfiel, das war wegen einer Verletzung kurz vor der WM in Russland, hat er in 21 Spielen nur 27 Minuten verpasst.

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