Reaktionen auf Nicht-Entscheid«Ich habe das Gefühl, der Bundesrat sieht da ein kantonales Virus vor sich»
Alain Berset sagt, die Lage sei «kritisch». Massnahmen ergreift er aber keine. Das löst rundum Kopfschütteln aus. Luzern prescht nun vor und will 3-G plus einführen.
«Diese Strategie birgt natürlich auch Risiken», sagte Gesundheitsminister Alain Berset, als er am Mittwoch bekannt gab, dass der Bundesrat keine Corona-Verschärfungen verfügen will. Ihre Zurückhaltung begründet die Landesregierung mit den unterschiedlichen Fallzahlen in den Kantonen. Zudem sei die Belegung der Intensivstationen mit 20 Prozent Covid-Patienten noch nicht besorgniserregend.
Die Lage sei «kritisch», aber der Moment für neue landesweite Massnahmen sei «noch nicht gekommen», fasste Berset die Haltung des Bundesrats zusammen.
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Die Landesregierung belässt es also bei den bekannten Empfehlungen an die Bevölkerung: Maskentragen, Lüften, Händewaschen, Testen, Impfen. Dazu kommen Aufforderung an die Kantone: Zum Beispiel sollten sie die Maskenpflicht, insbesondere an Schulen, ausweiten sowie eine Homeoffice-Pflicht und Kapazitätsbeschränkungen erlassen.
Solche Massnahmen seien am dringlichsten in stark betroffenen Kantonen. Die Einschränkungen und Verhaltensänderungen sollen mithelfen, die neue Corona-Welle zu brechen. Klappt das nicht, behält es sich der Bundesrat vor, seine eher passive Haltung aufzugeben.
Kantone und Parteien reagierten konsterniert bis scharf auf den Nicht-Entscheid aus dem Bundeshaus. Guido Graf, Gesundheits- und Sozialdirektor des Kantons Luzern, macht aus seiner Enttäuschung keinen Hehl: «Manchmal habe ich das Gefühl, der Bundesrat sieht da ein kantonales Virus vor sich», sagt der Mitte-Politiker. Das Gesundheits- und Sozialdepartement beantrage der Luzerner Regierung darum nun Verschärfungen: So zum Beispiel 3-G-Regeln plus Maskenpflicht bei Konzerten, in Kinos oder Theatern.
«Ich hätte mir gewünscht, dass der Bund mehr tut», sagt Graf. Wenn im einen Kanton im Kino Maskenpflicht gelte, im anderen aber nicht, werde das nicht verstanden. «Zudem haben wir den Bund seit Monaten gebeten, mit den Booster-Impfungen vorwärtszumachen. Jetzt sind wir damit sehr spät dran.»
Grafs Zuger Amtskollege Martin Pfister (Mitte) gibt sich versöhnlicher: «Wir nehmen unsere Verantwortung wahr und bereiten verschiedene Massnahmen vor.» Auch Pfister erwartet aber, dass der Bundesrat Verschärfungen beschliesst, falls die Situation in den Spitälern sich weiter verschlechtert: «Einheitliche Massnahmen lassen sich einfacher kommunizieren und werden von der Bevölkerung auch besser verstanden.»
Die Innerschweizer Regierungsräte liegen damit auf der Linie der Konferenz der Gesundheitsdirektoren (GDK). «Aus unserer Sicht muss jetzt auch über weitere nationale Massnahmen diskutiert werden», sagt GDK-Sprecher Tobias Bär. «Dann kann man sie ergreifen, wenn sich die Lage weiter zuspitzt.» Infrage kämen auf nationaler Ebene eine Ausweitung der Maskenpflicht in Innenräumen, vermehrtes Homeoffice oder Kapazitätsbeschränkungen – also ziemlich genau die Massnahmen, welche der Bundesrat den Kantonen nahelegt.
SP hat die Nase voll
SP-Co-Präsident Cédric Wermuth attestiert dem Siebnergremium zwar, es sei in seinen Entscheiden «konsequent». Aber: «Ich habe die Nase langsam voll von dem Kindergartenspiel, bei dem der Bund und die Kantone sich gegenseitig die Verantwortung zuspielen. Die Kantone haben Spielraum für Massnahmen, den müssen sie jetzt nutzen.»
Mit der Geduld am Ende ist auch Balthasar Glättli: «Der Bundesrat hätte Massnahmen in die Wege leiten müssen, um diese Entwicklung zu brechen», sagt der Präsident der Grünen. «Die Ausbreitung des Virus wird nicht verhindert, wenn er die Verantwortung an die Kantone abschiebt.»
Zentral für SP-Co-Chef Wermuth ist nun ein Ja zum Covid-Gesetz am Sonntag: «Ein Nein wäre fatal, denn politisch wäre es für den Bundesrat dann schwierig, wirksame Massnahmen zu beschliessen.»
SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi vermutet dagegen, «dass sich der Bundesrat heute absichtlich zurückhält, um das Covid-Gesetz in der Abstimmung vom Sonntag ins Trockene zu bringen». Dass er so taktiere, hat Bundesrat Berset mehrfach und auch am Mittwoch wieder vehement bestritten.
Die SVP wehrt sich gegen weitere Verschärfungen der Massnahmen: keine 2-G-Regeln, keine Impfpflicht, keine weiteren Einschränkungen für Ungeimpfte. «Wir haben entsprechende Vorstösse eingereicht, die nächste Woche im Parlament beraten werden», sagt Aeschi.
Die Mitte: «Miserable Impfquoten»
Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel-Näf appelliert an die kantonalen Verantwortlichen: «Die Kantone müssen jetzt endlich die Mittel anwenden, die ihnen zur Verfügung stehen.» Die Präsidentin der nationalrätlichen Gesundheitskommission sagt weiter: «Längst nicht alle haben zum Beispiel Pooltests oder Booster-Impfungen vorangetrieben. Einige haben miserable Impfquoten.»
FDP-Präsident Thierry Burkart kann die Entscheide des Bundesrats ebenfalls nachvollziehen: «Erstens lassen es die Belegungszahlen der Intensivstationen noch nicht zu, dass man Massnahmen verschärft. Zweitens müssen die stärker betroffenen Kantone handeln. Sie müssen nun Verantwortung übernehmen, damit es nicht zu einem Schlamassel für alle kommt.»
Mehrere Kantonsregierungen haben in den letzten Tagen und als Reaktion auf die Entscheide des Bundesrats nun individuelle Verschärfungen angekündigt. Bei den Corona-Regeln werden – einmal mehr – die Kantonsgrenzen zum entscheidenden Kriterium.
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