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Menschenrechtssituation in China
«Der Bundesrat macht sich unglaubwürdig»

Handelsrechtsspezialist Thomas Cottier im Oktober 2019 in Bern.
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Demnächst legt der Bundesrat seine China-Strategie vor – ein lange erwartetes Papier, das die Kooperation mit dem drittwichtigsten Handelspartner nach der EU und den USA umfassend regelt. Diplomatie, Handel, Wissenschaft, Investitionen: Die China-Strategie soll erstmals einen kohärente bilateralen Kurs darlegen.

Nun gibt es Druck seitens des Parlaments und auch von Nichtregierungsorganisationen, die Menschenrechte höher zu gewichten, als es bisher der Fall war. Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats hat soeben entschieden, vom Bundesrat eine Evaluation des Menschenrechtsdialogs mit China zu verlangen.

Und die Organisationen Alliance Sud, Public Eye und Gesellschaft für bedrohte Völker haben beim Handelsrechtsspezialisten Thomas Cottier ein Gutachten bestellt zur Frage, welchen Spielraum die Schweiz hat, um Menschenrechtsverstösse im Rahmen von Freihandel und WTO-Recht zu sanktionieren. Cottier ist einer der renommiertesten Rechtswissenschaftler auf dem Gebiet, er ist seit Jahrzehnten in WTO-Gremien tätig und hat die Schweiz unter anderem bei den EWR-Verhandlungen vertreten.

Die Befürchtung der NGO ist, dass die Menschenrechte in der China-Strategie nebensächlich abgehandelt werden. Erst vor wenigen Monaten hat die «New York Times» aufgedeckt, dass uigurische Häftlinge aus den Umerziehungslagern in der Provinz Xinjiang mit Arbeitertransfers in andere Teile Chinas verlegt und dort zwangsweise bei der Maskenproduktion eingesetzt werden. Die Masken werden auch in die USA und nach Europa exportiert. In der Schweiz kommen die meisten Masken aus China.

Die Schweiz hätte Spielraum

Entgegen den Stellungnahmen des Bundesrats, der allein auf den Dialog setzt und weiter gehende Handlungsmöglichkeiten verneint, kommt Cottier zum Schluss: Die Schweiz hätte durchaus Spielraum. Sie könnte Menschenrechtsverletzungen mit Handelsbeschränkungen sanktionieren. «Solche einseitigen Massnahmen könnten zwar in der WTO angefochten werden, doch die Schweiz hätte gute Gründe, sie zu verteidigen», schreibt Cottier. Doch dafür müssten zuerst innenpolitisch die Weichen gestellt und eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Cottier zeigt in dem gut 30-seitigen Gutachten, das dieser Redaktion vorliegt, die rechtlichen Möglichkeiten minutiös auf.

Der Bundesrat setzt derweil auf den unverbindlichen Dialog. Auch beim virtuellen Treffen am Montag zwischen EDA-Staatssekretärin Krystyna Marty und Chinas Vizeverantwortlichem für europäische Angelegenheiten, Qin Gang, wurden die Menschenrechte thematisiert – doch es blieb bei der Besorgnisbekundung seitens der Schweiz.

Die Haltung des Bundesrats geht auch aus einer Stellungnahme von Wirtschaftsminister Guy Parmelin von Ende September hervor. Parmelin antwortete den Urhebern einer Petition, die eine Neuverhandlung des Freihandelsabkommens mit China verlangte. Das Freihandelsabkommen sowie das gleichzeitig in Kraft getretene Abkommen über die Zusammenarbeit in Arbeitsfragen genügten, um den Dialog zu forcieren, und böten weitere Instrumente, schrieb Parmelin in dem Antwortbrief. Weitere Bestimmungen, selbst verbindliche, würden seiner Ansicht nach nicht helfen. Denn es sei schwierig, die Lieferketten zurückzuverfolgen. Die Unternehmen selber seien für die rechtmässige Herstellung ihrer eingekauften Produkte zuständig.

«Auch verbindliche Klauseln würden nicht helfen.»

Guy Parmelin, Wirtschaftsminister

Thomas Cottier widerspricht dem Bundesrat: Bei schweren Menschenrechtsverletzungen führe der Dialog nicht weiter, da eine solche Diskussion zwangsläufig in Meinungsverschiedenheiten ende. Auch bei den Masken aus China ist dies der Fall. Die «New York Times» hat die Lieferketten mit Videos und Zeugenausagen nachgezeichnet und ist zum Schluss gekommen, dass 17 von 51 chinesischen Maskenproduktionsfirmen uigurische Zwangsarbeiter beschäftigen. Ein Mitarbeiter der chinesischen Botschaft in den USA sagt jedoch, die Arbeiter seien freiwillig im Einsatz, der Arbeitertransfer diene der Überwindung von Armut.

In der Schweiz hat das Nachrichtenportal Nau.ch nachgeforscht: Die Mehrheit der von der Armeeapotheke bestellten 306 Millionen Masken stamme aus China, die Handelspartner seien laut Angaben des Bundes überprüft worden, doch die genauen Produktionsumstände kenne man nicht. Grossverteiler wie Migros, Coop, Aldi Suisse und Lidl sagen, die chinesischen Lieferanten hätten Verhaltenskodizes unterzeichnet, und es gebe Kontrollen.

Aussenhandelsgesetz würde Verträge legitimieren

Angela Mattli von der Gesellschaft für bedrohte Völker verweist auf Berichte, nach denen unabhängige Inspektionen in betreffenden Unternehmen zunehmend verunmöglicht würden. Die von den Schweizer Detailhändlern genannten Kontrollen könnten also nicht stattfinden. «Die Schweiz hätte aber beim Abschluss des Freihandelsabkommens auf Menschenrechtsklauseln bestehen können, um die Zollvergünstigungen beim Import von Produkten aus Zwangsarbeit zu entziehen oder entsprechende Importe gar zu verhindern.»

Eine glaubhafte Menschenrechtspolitik sei auf die Möglichkeiten einseitiger Massnahmen angewiesen, schreibt Cottier im Gutachten. Und er empfiehlt dem Bundesrat, gegenüber China solche einseitigen Massnahmen im Bereich Zoll oder Lieferbeschränkungen zu ergreifen. Längerfristig müsse die Schweiz aber ihre wichtigsten Handelsgrundsätze in einem neuen Aussenwirtschaftsgesetz festlegen. Parlament und Volk kämen so frühzeitig zu ihrem Mitspracherecht, nicht erst dann, wenn nichts mehr am Vertrag verändert werden kann. Jüngstes Beispiel dafür sei das Abkommen mit den Mercosur-Staaten.

«Die Schweiz verliert ihre Glaubwürdigkeit, wenn der Bundesrat immer nur bei der Rhetorik bleibt.»

Thomas Cottier, Professor für internationales Wirtschaftsrecht

Wenn der Bundesrat bei der Rhetorik bleibe und die Menschenrechte immer nur als «weiches Thema» behandle, verliere die Schweiz ihre Glaubwürdigkeit, sagt er. Seit dem Zweiten Weltkrieg verfolge die Schweiz eine Aussenhandelspolitik nach dem Grundsatz «Wandel durch Handel», sprich: Ausgebaute Handelsbeziehungen bringen Wohlstand ergo Rechtsstaat. «Diese Strategie ist zuerst aufgegangen, und sie funktioniert gut im Verhältnis mit Demokratien», sagt Cottier. Doch heute gehe sie mit China nicht mehr auf. Als China 2001 der WTO beigetreten sei, habe man auf einen Demokratisierungsprozess gehofft, das habe sich ins Gegenteil verkehrt.

«Es genügt nicht, eine tolle Bundesverfassung zu haben, die mit Artikel 35 zur Verwirklichung der Grundrechte in allen Bereichen verpflichtet – und gleichzeitig in der Aussenwirtschaft beide Augen zuzudrücken.»