Depression, Suizid, AmoklaufAusgrenzung in sozialen Medien ist gefährlich
Eine preisgekrönte Studie der Uni Basel zeigt: Der Schmerz eines sozialen Ausschlusses auf Instagram und Co. ist real und wirkt tief.
Christiane Büttner und ihr Partner sind an einen Bowling-Abend einer gemeinsamen Freundin eingeladen. Büttner bleibt krank zu Hause, doch ihr Lebenspartner geht. Etwas später taucht ein Foto des Anlasses auf Instagram auf, zu dem steht: «Bowling mit meinen liebsten Freunden». Was Christiane Büttner irritiert: Ihr Partner ist auf dem Bild nicht getaggt: «Ich habe mich sofort gefragt, weshalb, und ob vielleicht irgendwas mit der Freundschaft der beiden nicht mehr stimmt.»
Büttner ist Psychologin an der Universität Basel. Ihr Spezialgebiet ist soziale Ausgrenzung. Sie weiss: Werden Personen ignoriert oder ausgeschlossen, kann das fatale Folgen haben. Doch gilt das auch, wenn die Ausgrenzung «nur» auf Instagram, Tiktok oder Facebook geschieht?
Die stark verkürzte Antwort ist: «Ja», und es kann gefährlich werden – «nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Gesellschaft», sagt Büttner.
Mehr Betroffene als gedacht
Diese Antwort gibt sie nicht aus dem Bauch heraus. Nach ihrem Bowling-Erlebnis hat sie gemeinsam mit Sozialpsychologin Selma Rudert fünf aufeinander abgestimmte Studien mit über 1000 Teilnehmenden durchgeführt. Das Ziel: herauszufinden, was das mit Menschen macht, wenn sie in den sozialen Medien auf Fotos ausgelassen, nicht getaggt (markiert) oder sogar herausgeschnitten werden. Ihre in «Computers in Human Behavior» veröffentlichte Publikation «Why didn’t you tag me?!» wurde kürzlich mit dem Steven-Karger-Preis ausgezeichnet.
Die erste Überraschung war: «Es sind sehr viel mehr Menschen betroffen, als wir dachten», sagt Christiane Büttner. Auch Personen, denen das doof vorkommt, weil für sie die sozialen Medien «ja nicht das echte Leben» darstellen, reagieren laut der Psychologin sensibel. Gefragt wurden nicht nur Vielnutzer. Das Kriterium zur Studienteilnahme war, dass man Instagram mindestens einmal im Jahr verwendet. 58 Prozent der Studienteilnehmer wurden schon aus Fotos ausgeschlossen, 48 Prozent nicht getaggt und 15 Prozent aus Fotos weggeschnitten.
«Das tut unfassbar weh. Menschen reagieren mit starkem psychischem Schmerz auf soziale Ausgrenzung – auch wenn dieser Ausschluss in den sozialen Medien geschieht», sagt Christiane Büttner. Dieser Schmerz sei real: «Bei neuropsychologischen Untersuchungen leuchten dieselben Hirnareale auf wie bei körperlichem Schmerz.»
Verheerende Auswirkungen
Der Grund, weshalb Menschen so heftig auf sogenannten Ostrazismus reagieren, sei evolutionspsychologisch erklärbar: «Früher bedeutete ausgeschlossen zu werden den sicheren Tod.»
Auch die Tatsache, dass sich Interaktionen auf sozialen Medien nur online abspielen (oder eben auch nicht), ändert nichts an den Gefühlen, die Ausgrenzung mit sich bringt. Denn es sind echte Menschen, die einen in ihren Posts ignorieren. «Es ist Teil des realen Lebens – für einige sogar der Hauptteil», sagt Büttner. Jemanden aus einem Foto wegzuschneiden, sei ein krasses Signal. «Du gehörst nicht dazu», meist stehe kein freundliches Motiv dahinter.
Die Auswirkungen können verheerend sein. «Anfangs ist es einfach nur unangenehm, ausgeschlossen zu werden. Die meisten rappeln sich danach wieder auf. Wir brechen nicht jedes Mal zusammen, wenn die Nachbarin nicht grüsst», sagt Christiane Büttner. Doch fühlen sich Menschen oft und länger ausgegrenzt, erholen sie sich nicht mehr: «Dann wird es gefährlich. Das kann zu Einsamkeit, Depression und Suizidgedanken führen. Aus den USA wissen wir, dass 90 Prozent der Amokläufer an Schulen einen Hintergrund von Mobbing und sozialem Ausschluss haben», so die Psychologin der Uni Basel. Wenn zu Ausgrenzung im alltäglichen Leben nun noch solche im Cyberspace hinzukomme, sei das alarmierend. Laut Büttner gibt es auch einen Zusammenhang zwischen langem sozialem Ausschluss und der Zuwendung zu extremistischen Gruppierungen.
Verletzung schwer zu erkennen
Gemäss Christiane Büttners Studien sind vor allem junge Menschen von den Folgen von Ostrazismus im Netz betroffen. Sie verbringen nicht nur mehr Zeit auf Instagram und Co., sondern definieren sich auch noch viel stärker darüber, mit wem sie befreundet sind: «Deshalb ist es für sie schlimmer», sagt Büttner.
Doch weshalb grenzen wir überhaupt Menschen aus? Und was hatte es mit Christiane Büttners Freund auf sich, der nicht auf dem Bowling-Post zu sehen war?
«Ausgrenzung ist ein sozial akzeptiertes Mittel, um Personen zu bestrafen oder loszuwerden. Wenn ich im Büro herumschreie, hat das wahrscheinlich Folgen, wenn ich nicht mit der Kollegin spreche, geschieht kaum was», sagt Büttner. Ihr Freund wurde übrigens nicht aussen vor gelassen. Er stand zum Zeitpunkt des Fotos einfach nur im Stau.
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