«Impfluencer»-Gutscheine«Ich finde schlicht keine tragfähige gesetzliche Grundlage»
Der Zürcher Rechtsprofessor Felix Uhlmann kritisiert den Plan des Bundesrats, Impfüberzeuger mit 50 Franken zu belohnen. Er sagt, dafür brauche es ein Gesetz – und einen Parlamentsbeschluss.
«Es ist eine unkonventionelle Massnahme.» Alain Berset hatte am Freitag selbst etwas bang gewirkt, als er seinen neuesten Plan für die Steigerung des Impftempos vorstellte: Mit einem 50-Franken-Gutschein soll belohnt werden, wer jemand anderen von der Corona-Impfung überzeugt. Nicht nur für unkonventionell, sondern sogar für ungesetzlich hält der Rechtsprofessor Felix Uhlmann die geplanten «Impfluencer»-Bons.
«Ich finde schlicht keine tragfähige gesetzliche Grundlage», sagt Uhlmann, der an der Universität Zürich Staats- und Verwaltungsrecht lehrt. Er hat dafür das Epidemiengesetz unter die Lupe genommen. Weder die explizit darin vorgesehene Impfpflicht (Artikel 6, Absatz 1) noch der darin aufgeführte Massnahmenkatalog (Artikel 6, Absatz 2) passen laut Uhlmann auf das Verteilen von Gutscheinen. «Auch die Bestimmung über Finanzhilfen an öffentliche und private Organisationen im Artikel 50 ist kaum für Abgeltungen an die Kantone gedacht.»
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verweist auf Anfrage auf den Artikel 9 des Epidemiengesetzes. Dort heisst es: «Das BAG informiert die Öffentlichkeit (...) über die Gefahren übertragbarer Krankheiten und über die Möglichkeiten zu deren Verhütung und Bekämpfung.»
BAG-Sprecherin Katrin Holenstein ergänzt: «Darauf gestützt sollen die Kantone mit der Umsetzung der individuellen Information, Beratung und Motivation beauftragt werden.» Holenstein betont zudem, es handle sich erst um Vorschläge des Bundesrats, die an die Kantone zur Konsultation geschickt worden seien. «Welche der vorgeschlagenen Massnahmen weiterverfolgt werden, wird erst aufgrund der Rückmeldungen festgelegt.»
«Bezahlen und Informieren sind nicht das Gleiche»
Dem Staatsrechtler genügt der Verweis auf Artikel 9 nicht: «Information mit der Ausgabe von Gutscheinen gleichzusetzen, halte ich für unzulässig. Bezahlen und Informieren sind nicht das Gleiche.» Felix Uhlmann anerkennt, dass Behörden auch mal Geschenke machen dürfen, ohne dass das im Gesetzbuch steht: «Ich würde nie die rechtliche Grundlage in Zweifel ziehen, wenn der Gemeindepräsident auf Kosten der Gemeinde einer Hundertjährigen einen Blumenstrauss schickt.»
Aber im Fall der «Impfluencer»-Gutscheine gehe es potenziell um mehr als 775’000 Personen oder 38 Millionen Franken. «Bei so hohen Ausgaben braucht es zwingend eine klare gesetzliche Grundlage.» Zudem sei absehbar, dass die Massnahme umstritten ist. «Dies alles spricht für einen Entscheid des Gesetzgebers.»
«Die Bundesverfassung schreibt klar vor, dass alles staatliche Handeln auf gesetzlichen Grundlagen beruhen muss.»
Unterstützung erhält Felix Uhlmann von Eva Maria Belser. Die Professorin für Staatsrecht an der Uni Freiburg sagt: «Die Bundesverfassung schreibt klar vor, dass alles staatliche Handeln auf gesetzlichen Grundlagen beruhen muss.» Das gelte nicht nur für Einschränkungen von Recht und Freiheit, für Steuern und Abgaben, sondern ausdrücklich auch dann, wenn der Staat etwas zu verteilen habe.
Vorbild Stillgeld
Die «Impfluencer»-Gutscheine wären nicht die erste Massnahme, mit der der Bund gesundheitsförderndes Verhalten mit Geld unterstützt: Bis 1996 erhielt jede junge Mutter, die ihr Kind stillte, ein sogenanntes Stillgeld von 50 Franken. Aber diese Belohnung war explizit rechtlich geregelt: Das Stillgeld war Bestandteil des Krankenversicherungsgesetzes, bis es als «alter Zopf» gestrichen wurde. In ihren Zusatzversicherungen bieten viele Krankenkassen ein Stillgeld von bis zu 250 Franken freiwillig nach wie vor an.
Bei den «Impfluencer»-Gutscheinen sind jetzt die Kantone am Zug. Sie sollen sich bis am Mittwoch dazu äussern. Der Bundesrat will dann in der Woche darauf definitiv darüber beschliessen.
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