Wahlkampf in FrankreichMacron setzt auf das volle Programm
Eine Woche vor dem ersten Wahlgang tritt Frankreichs Präsident zum ersten Mal vor grossem Publikum auf. Die Superlativ-Veranstaltung wirkt wie ein Aufholversuch.
Im Vorfeld hatte Emmanuel Macrons Wahlkampfteam auf Youtube schon eine Art Trailer für seinen Auftritt hochgeladen. In der Videoreihe Le Candidat, für die Macron sich im Wahlkampf begleiten lässt, sieht man den französischen Präsidenten durch die leere Arena stolzieren. Er erklärt dem Team, wie er sich das mit den Videoleinwänden vorstellt, kündigt an, dass ihm eher etwas Sportlicheres, Sinnlicheres vorschwebe als eine klassische Wahlkampfveranstaltung und checkt höchstpersönlich die Musikauswahl («Das ist die perfekte Anfangsmusik. [...] Und am Ende die Marseillaise»). Der Chef, das suggeriert das Ganze, nimmt die Sache jetzt selbst in die Hand.
Es geht um viel an diesem Samstag in der «Paris La Défense Arena». Macron hat zu seinem ersten und letzten grossen Auftritt vor dem ersten Wahlgang eingeladen. Die Halle bei Paris gilt als eine der grössten Europas, sie bietet Platz für etwa 40'000 Leute. Die Superlativ-Veranstaltung steht im Kontrast zu Macrons bislang eher sparsamem Wahlkampf: Lange schien der Präsident auf den Bonus seines Amtes zu setzen, inszenierte sich als Krisenmanager und internationaler Verhandler im Ukraine-Krieg. Erst Anfang März machte er seine Kandidatur offiziell, sein Programm verkündete er bei einer nüchternen Pressekonferenz. Die Meetings, wie in Frankreich die grossen Wahlkampfveranstaltungen mit Fan-T-Shirts und Einklatschern heissen, überliess Macron seinen Kontrahentinnen und Kontrahenten – bis jetzt.
Denn nun setzt Macron auf das volle Programm: Wie bei einem Boxkampf ist die Bühne in der Mitte der Halle platziert. Um die Arena vollzubekommen, hatte Macrons Team im Vorfeld sogar eine Art Wettbewerb ausgerufen: Den 400 Personen, die die meisten Mitstreiter akquirierten, wurden Belohnungen versprochen, zum Beispiel ein Aperitif im Hauptquartier des Wahlkampf-Teams. Im Publikum sind Shirts mit der Aufschrift «Emmanuel Macron avec vous» («Emmanuel Macron mit euch»), dem offiziellen Slogan seiner Kampagne, zu sehen. Nach drei Rückblick-Videos, mehreren Laola-Wellen und einem 15-sekündigen Countdown kämpft sich der Kandidat wie ein Popstar durch die Menge, rauf auf die Bühne. Seine Rede wird mehr als zwei Stunden dauern.
Macron verspricht Kaufkraftprämie von bis zu 6000 Euro
Es wirkt ein bisschen, als wolle Macron mit diesem Auftritt all denen etwas entgegensetzen, die ihm vorwerfen, er habe den Wahlkampf und die innenpolitischen Debatten bislang zu sehr vernachlässigt. «Wir tun alles, um den Krieg in der Ukraine zu beenden», macht er kurz am Anfang seiner Rede klar. Dann aber kommt er schnell auf das Lieblingsthema der französischen Wählerinnen und Wähler, die Kaufkraft, zu sprechen. Die Arbeit müsse sich wieder mehr auszahlen, sagt Macron. Immer wieder spricht er von Ungerechtigkeiten, es könne doch zum Beispiel nicht sein, dass Franzosen, die arbeiten, all ihr Gehalt für Benzin oder Miete ausgeben müssten.
Es folgt eine ganze Reihe sozialpolitischer Versprechen: 20 Milliarden Euro habe seine Regierung schon in den Ausgleich der hohen Energiekosten gesteckt, vom Sommer an sollten Beschäftigte zusätzlich eine steuerfreie Kaufkraftprämie von bis zu 6000 Euro erhalten können. Die Mindestrente für ein volles Arbeitsleben solle künftig bei 1100 Euro liegen. Ausserdem verspricht Macron, die Hilfen für Alleinerziehende zu erhöhen und 50'000 zusätzliche Pflegekräfte einzustellen.
Seine liberale Linie blitzt trotzdem noch durch: «Es gibt kein magisches Geld», sagt Macron. Einen Sozialstaat könne nicht ohne einen produktiven Staat existieren, «wir müssen mehr arbeiten.» Es sei falsch, denen zu glauben, die eine Rente ab 60 oder 62 versprächen, sagt er in Anspielung auf seine Hauptkonkurrenten, den extrem Linken Jean-Luc Mélenchon und die rechtsextreme Marine Le Pen. Stattdessen müsse man das Rentenalter auf 65 anheben.
Sein Vorsprung ist zuletzt geschwunden
Es ist bemerkenswert, wie lange und ausführlich sich Macron bei diesem Auftritt innenpolitischen Themen widmet. Hin und wieder streift er den Krieg in der Ukraine, auf sein Herzensthema Europa kommt er erst am Ende seiner Rede zu sprechen, Krisen wie der Krieg oder die Corona-Pandemie hätten gezeigt, wie wichtig ein gemeinsamer europäischer Weg sei.
Der thematische Kurswechsel scheint wenige Tage vor dem ersten Wahlgang durchaus notwendig. Nachdem Macron die Umfragen lange haushoch anführte, ist sein Vorsprung in den vergangenen Tagen geschwunden. Sollte der Amtsinhaber – was relativ wahrscheinlich ist – in der Stichwahl gegen Le Pen antreten, könnte die Sache knapper werden als gedacht. In aktuellen Umfragen liegt Macron etwa sieben Prozentpunkte vor der rechtsextremen Kandidatin. Macrons Strategie, sich statt des Wahlkampfs auf den Krieg in der Ukraine zu konzentrieren, scheint nicht wirklich aufgegangen zu sein. Le Pen hingegen hat ihren Wahlkampf leise, aber beharrlich geführt. Sie provozierte weniger als noch vor fünf Jahren, inszeniert sich als gemässigt und rückte die Kaufkraft ins Zentrum ihrer Kampagne.
Je stärker Le Pen wird, desto stärker scheint auch bei Macron das Bedürfnis zu werden, sich von der Konkurrentin abzugrenzen. Schon in der vergangenen Woche hatte Macron von einem «Tandem» aus dem rechtsextremen Éric Zemmour und Le Pen gesprochen, bei seinem Auftritt an diesem Wochenende warnt er vor der «rechtsextremen Gefahr» – wenn auch ohne konkrete Namen zu nennen. Man habe sich inzwischen daran gewöhnt, dass antisemitische und rassistische Akteure in den Fernsehstudios sässen. «Pfeift sie nicht aus», ruft er der Menge in der Halle zu, «schlagt sie mit Ideen, mit Respekt.» Die Wahlen am 10. und 24. April seien auch die zwischen dem Fortschritt und dem Rückzug, zwischen Patriotismus und Nationalismus. «Vive la République, vive la France», grölt er am Ende in die Menge. Dann kommt ein Chor aus T-Shirt-Trägern auf die Bühne und singt – die Marseillaise.
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