Preisschild für GesetzeBürgerliche wollen neue «Regulierungsbremse» – Kritiker spotten
Liberale Politiker planen, dem Schweizer Stimmvolk ein Mittel zum Schutz der Wirtschaft vorzulegen. Kritiker nennen das eine «Schnapsidee».
![Ein «Preisschild» für Gesetze: Gewerbeverbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler hält eine Regulierungsbremse für dringend angezeigt.](https://cdn.unitycms.io/images/2DBeoUNB4Y391SeMuARRIv.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=zO8lVDylzXI)
Gesetze sind dazu da, unser Leben zu verbessern, doch selten nur sind ihre Folgen für alle Betroffenen positiv. Ein Gesetz, das den einen Schutz oder Hilfe verschafft, bedeutet für andere zuweilen Umstände, Verbote und Mehraufwand. Vor allem Unternehmerinnen und Unternehmer sehen sich durch neue Gesetze und die damit verbundenen Kosten oft in ihrer Tätigkeit behindert. Entsprechend regelmässig sind in Bundesbern denn auch Klagen der Wirtschaftslobby über die «Regulierungsflut» zu hören.
Ob die Menschen im Land für die Nöte der Wirtschaft Gehör haben, könnte sich bald schon zeigen. Die bürgerliche Mehrheit im Bundeshaus plant nämlich, die Bundesverfassung um ein neues Instrument zu ergänzen: eine «Regulierungsbremse». Diese soll den Erlass von Gesetzen erschweren, die für Firmen besonders kostspielig werden. Ein Entwurf für die Regulierungsbremse befindet sich derzeit in Vernehmlassung.
Volksabstimmung nötig
Den Anstoss hatte die FDP-Fraktion vor fünf Jahren mit einer Motion im Parlament gegeben. «Es ist zentral, dass Gesetzesprojekte ein Preisschild haben», erklärte Gewerbeverbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler damals im Nationalrat. Falls der jetzige Vorschlag von Bundesrat und Parlament genehmigt wird, benötigt er anschliessend noch die Zustimmung von Volk und Ständen.
Gibt es in der Volksabstimmung ebenfalls ein Ja, müsste die Verwaltung vor den Parlamentssessionen künftig vermehrt den Taschenrechner zücken: Steht ein Gesetz oder ein wichtiger völkerrechtlicher Vertrag zur Beratung an, wären neu die voraussichtlichen «Regulierungskosten» für die Wirtschaft darzulegen. Überschreiten sie ein bestimmtes Mass, greift die Bremse: Es würde dann nicht mehr genügen, dass eine einfache Mehrheit von National- und Ständerat dem Gesetz oder dem Vertrag zustimmt.
Der «Inländervorrang light» wäre mit der neuen Regelung so nicht in Kraft getreten.
Neu wäre in diesen Fällen eine absolute Mehrheit beider Ratskammern erforderlich, also mindestens 101 von 200 Stimmen im National- sowie 24 von 46 Stimmen im Ständerat (unabhängig von Abwesenheiten oder Stimmenthaltungen). Gemäss Vorschlag des Bundesrats käme die Bremse in zweierlei Fällen zur Anwendung: entweder wenn die Regulierungskosten mehr als 100 Millionen Franken über zehn Jahre betragen – oder aber wenn insgesamt mehr als 10’000 Firmen von höheren Kosten betroffen wären.
So abstrakt-technisch dies auch klingt: Es gibt prominente Beispiele von Gesetzen der letzten Jahre, die möglicherweise an der Bremse gescheitert wären. Eines davon ist die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative.
Der sogenannte «Inländervorrang light» wurde insbesondere von der SVP heftig bekämpft, da er aus Sicht der Rechtspartei den Kerninhalt ihrer Initiative ausser Kraft setzte. Zugleich gehört er gemäss Angaben des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zu jenen Vorlagen, die mit Regulierungskosten für Unternehmen verbunden sind. Genaue Berechnungen fehlen, doch Fakt ist: Der «Inländervorrang light» passierte die Schlussabstimmung im Nationalrat im Dezember 2016 nur mit 98 zu 67 Stimmen. Wäre er unter die Regulierungsbremse gefallen, hätte er also nicht in Kraft treten können.
«Staatspolitisch brandgefährlich»
Jedenfalls wird nun Kritik an der Regulierungsbremse laut. Diese sei «staatspolitisch brandgefährlich», sagt Oliver Classen, Sprecher der Nichtregierungsorganisation Public Eye. Die Bremse mache «die Interessen einer Akteursgruppe» sowie das «einseitige Kostenargument zur alleinigen politischen Prämisse» – und sie unterschlage den Nutzen einer Regulierung. Faktisch werde dadurch die Missachtung von Menschenrechten legitimiert, so Classen.
Als Beispiel nennt er die Sorgfaltspflichten gegen Kinder- und Zwangsarbeit in internationalen Lieferketten: Diese könnten mit dem Kostenargument künftig verunmöglicht werden. Überdies, so Classen, seien im Vorschlag des Bundesrats die Schwellenwerte viel zu tief angesetzt.
«Es ist absurd, aber leider wahr: Das Parlament als oberster Regulator will ein Gesetz, damit es weniger reguliert.»
Von einer «Schnapsidee» spricht auch Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds. «Es ist absurd, aber leider wahr: Das Parlament als oberster Regulator will ein Gesetz, damit es weniger reguliert», spottet Lampart in seinem Blog.
Das Konzept der Regulierungskosten sei «methodisch völlig unscharf», es gebe enorme Messprobleme. Überdies könne eine Regulierungsbremse Innovationen behindern: «Was für einzelne Unternehmen zu höheren Kosten führt, kann gesamtwirtschaftlich positiv sein.»
Kritik am «Dickicht»
Die Wirtschaftsverbände sehen es anders. «In der Manie, alle Probleme bis ins letzte Detail lösen zu wollen, wird pausenlos die Gesetzgebungsmaschine angeworfen», schreibt der Verband Centre Patronal. Der «Regulierungsdschungel» sei zu einem «wahren Dickicht» angewachsen; die Regulierungsbremse wirke dem entgegen. Der Gesetzgeber werde gezwungen, «die finanziellen Folgen seiner Entscheidungen sorgfältiger zu bedenken, regelmässig zu evaluieren, Entlastungspotenziale zu identifizieren und entsprechende Massnahmen vorzuschlagen».
Der Schweizerische Gewerbeverband geht noch weiter: Er fordert, die Messung der Regulierungskosten von einer «unabhängigen, verwaltungsexternen Messstelle» überprüfen zu lassen. Dadurch müssten sich Verwaltung und Parlament noch «viel bewusster mit den ausgelösten Kosten auseinandersetzen».
Oder anders gesagt: Noch mehr Regulierung soll einen noch besseren Schutz vor mehr Regulierung bringen.
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