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Wähleranteile schrumpfen
Das Städteproblem der SVP verschärft sich

In Städten wie Zürich oder Winterthur für die SVP zu politisieren, ist nicht einfach.
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In den grossen Schweizer Zentren scheint das SVP-Sünneli immer schwächer. Dies zeigen die Zürcher Wahlen vom vergangenen Wochenende exemplarisch. In Zürich und Winterthur büsste die Partei im Vergleich zur letzten Kantonsratswahl erneut Wählerstimmen ein. In den letzten 15 Jahren schrumpfte ihr Wähleranteil in den beiden Städten von über 22 auf nur noch 13,7 Prozent.

Ganz anders auf dem Land und in den Agglomerationen: Dort machte die Partei – nach einem historischen Verlust vor vier Jahren – am Sonntag wieder Boden gut, sodass sie unter dem Strich knapp zu den Gewinnerinnen im Kanton gehörte. 

Die räumliche Auswertung stammt von Peter Moser, dem Chefanalytiker des Statistischen Amts in Zürich. Er geht nicht davon aus, dass die einstigen SVP-Wählerinnen und -Wähler in den Städten dieses Mal einfach eine andere Liste eingeworfen haben. Vielmehr dürfte ihre Zahl in den Städten tatsächlich kleiner geworden sein.

Darauf deutet eine andere Berechnung hin. Dieser zufolge lebte 2007 noch jeder vierte SVP-Wähler in einer der beiden grossen Städte im Kanton. Heute ist es nicht einmal mehr jeder fünfte – der grosse Rest ist in der Agglomeration oder auf dem Land zu Hause. 

Umgekehrt sind die Städte mehr denn je Hochburgen der Linken. Ungefähr die Hälfte der kantonalen Wählerschaft von SP und Grünen wohnt 2023 in Zürich oder Winterthur. «Diese Konzentration der linken Wählerschaft auf die grossen Zentren ist bemerkenswert», findet Moser. 

Handwerker zieht es weg

Dass die SVP in den grossen Zentren an Bedeutung verliert, ist kein Zürcher Phänomen. So hält die Volkspartei im Berner Stadtparlament derzeit noch sieben Sitze, so wenige wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Im Basler Grossen Rat sind es elf Sitze, auch das ist ein vorläufiger Negativrekord.

Politgeograf Michael Hermann macht zum einen strukturelle Gründe für die Entwicklung verantwortlich. Heute wohne nur noch in einer Stadt, «wer vom urbanen Lebensstil überzeugt ist – und ihn sich leisten kann». Auf viele Handwerker beispielsweise treffe weder das eine noch das andere zu. In der Agglomeration sind die Wohnungen grösser, die Mieten deutlich tiefer und die Parkplätze zahlreicher.

Wer beruflich auf das Auto angewiesen sei, nehme die Städte tendenziell als «feindliche Umgebung» wahr – und sei bestimmt nicht bereit, dafür bei der Miete noch extra tief in die Tasche zu greifen. «Die kleinbürgerlichen Milieus, die für die SVP traditionell wichtig sind, sterben in den urbanen Zentren deshalb langsam aus.»

Zum anderen dürften laut Hermann auch strategische Fehler der SVP auf nationaler Ebene zum Krebsgang in den Städten beigetragen haben. Er spielt auf die Stadt-Land-Debatte an, die der Schweizer SVP-Präsident Marco Chiesa am Nationalfeiertag 2021 losgetreten hatte. In einer Rede wetterte der Tessiner damals gegen die «Luxus-Linken» in den Städten – und machte klar, dass die SVP auf der anderen Seite steht. Auf jener der Landbevölkerung.

Städte als «SVP-freie Zonen»

«Die SVP hat inzwischen selber gemerkt, dass die Polemik nicht schlau war – und hat die Kampagne wieder zurückgefahren», so Hermann. Viele SVP-Sympathisanten wohnten zwar nicht in den urbanen Zentren, hätten aber privat und beruflich viele Berührungspunkte mit den Städten und seien sich ihrer Bedeutung als Wirtschaftsmotoren bewusst. «Der Versuch, ein innerschweizerisches Feindbild zu kreieren, schlug darum fehl.» Gut möglich, dass sich nun die Kollateralschäden dieser Kampagne in den Städten zeigten.

Tatsächlich provozierte Chiesas Städte-Bashing auch innerhalb der SVP Kritik. So äusserte etwa der St. Galler Nationalrat Lukas Reimann öffentlich die Befürchtung, die Partei ende in der Bedeutungslosigkeit, wenn sie sich nur noch auf ihre ländlichen Stammlande fokussiere.

Als die SVP bei den Zürcher Gemeinderatswahlen vor einem Jahr eine historische Wahlschlappe einfuhr, standen die Schuldigen für den konservativen Publizisten Markus Somm ebenfalls fest. In einer Kolumne schrieb er: «Die heutige Parteileitung der SVP, ob im Bund oder in den Kantonen, scheint die Bedeutung der Städte nicht mehr zu erfassen. Man hat sie aufgegeben.» 

Wenn sich die Entwicklung fortsetze, würden die Städte bald zu «SVP-freien Zonen», prognostizierte Somm. Und weiter: Wer Zürich verliere, verliere am Ende auch die Eidgenossenschaft.

Trendwende dank Genderthemen?

Dies zu verhindern, hat sich Camille Lothe zur Aufgabe gemacht. Die 29-Jährige ist erst seit letztem Sommer Präsidentin der Stadtzürcher SVP. Sie sagt dazu: «Ich mag Herausforderung.»

Die junge Politikerin kann es den Leuten nicht verübeln, wenn sie die Stadt verlassen. «Auch ich habe persönlich oft das Gefühl, dass jeder Steuerfranken, den ich zahle, hier gegen mich verwendet wird.» 

Dennoch glaubt sie, es sei kein Naturgesetz, dass Städterinnen und Städter links wählten. Man müsse die Themensetzung und die Kommunikation nur sorgfältig planen. Seit sie am Ruder ist, setzt sie mehr auf die sozialen Medien und digitale Werbeformen. 

Camille Lothe ist sich sicher, dass auch eine urbane SVP-Politik erfolgreich sein kann.

Von der nationalen Parteileitung fühle sie sich jedoch keineswegs «abgesägt», sagt Lothe. Im Gegenteil: «Es ist ein grosser Erfolg, dass die SVP Schweiz die Woke- und Genderthemen so prominent in ihr Wahlprogramm aufgenommen hat.» Diese Politik habe ihren Ursprung in Zürich, die Themen trieben eine städtische Wählerschaft stark um.

Lothe ist optimistisch, dass die Trendwende in den Städten bereits eingesetzt hat. Sie macht darauf aufmerksam, dass ihre Partei in zwei Stadtzürcher Wahlkreisen leicht zulegen konnte. Zwar betrugen die Zunahmen nur gerade 0,07 respektive 0,3 Prozent. Gemessen an den Gemeinderatswahlen vor einem Jahr sei das jedoch «der erste Schritt zu einem Wahlsieg in der Stadt Zürich».

«Was die SVP eigentlich braucht, ist eine Agglo-Strategie.» 

Michael Hermann, Politgeograf

Im Hinblick auf die nationalen Wahlen dürfte es der SVP helfen, dass sich die politische Grosswetterlage weg von den Klima-, hin zu Migrations- und Sicherheitsthemen bewegt hat, glaubt Politgeograf Hermann. Dennoch komme die Partei nicht darum herum, ihre räumliche Strategie für die Zukunft neu zu justieren. 

Die Kernstädte zurückerobern zu wollen, wäre ihm zufolge vergebene Liebesmüh. Und auf dem Land lebten schlicht zu wenige Menschen, um der SVP zu alter Stärke zurück zu verhelfen. «Was die SVP eigentlich braucht, ist eine Agglo-Strategie.» 

Denn dort entscheide sich – nicht zum ersten Mal – die Zukunft der Schweiz. In den Neunziger- und Nullerjahren verloren die Agglomerationen auch aufgrund der Zuwanderung weitgehend ihren ländlichen Charakter – sehr zum Bedauern vieler Einwohner. Dieser Umstand dürfte laut Hermann massgeblich zum Aufstieg der SVP beigetragen haben. 

«Nun sind wir an einem anderen Punkt. Heute ziehen häufig Menschen in die Agglo, die einen urbanen Lebensstil gewohnt sind.» Diese abzuholen, sei die neue grosse Herausforderung der Sünneli-Partei.