Institution in der KriseSkandalöses Diana-Interview dürfte die BBC in schwerste Probleme stürzen
Der britische Sender ist seit Längerem unter Beschuss der konservativen Regierung. Jetzt stellt bereits der Kulturminister die BBC in Frage.
Die Sendung Newsnight lief am Donnerstagabend zu Hochform auf: Das vielfach preisgekrönte Politikmagazin in der BBC, das zuletzt durch ein glänzendes Interview mit dem überforderten Prinz Andrew weltweit Schlagzeilen gemacht hatte, berichtete – ohne Rücksicht auf Verluste, ausführlich und voller Selbstbezichtigungen – über die BBC. Genau das ist eigentlich der Anspruch des grossen Senders, der Vorbild ist für viele Rundfunk- und Fernsehanstalten in aller Welt: Nabelschau und Selbstkritik, wenn es sein muss, und das ohne Ansehen der Person.
Zahlreiche Kronzeugen wurden also aufgefahren, Insider, Whistleblower, ehemalige Intendanten und Ex-Minister. Sie alle attestierten dem Sender, in der Causa prima, die derzeit das Land erschüttert und vielleicht sogar die Zukunft des Senders infrage stellt, sei gelogen und vertuscht worden, Kritiker seien mundtot gemacht oder weggeekelt worden, ethische Massstäbe seien verletzt, journalistische Standards ignoriert worden. Kein Wort fiel zur eigenen Verteidigung. Der Intendant wurde in einem kurzen Clip eingespielt und merkte an, man spreche hier über eine «dunkle» Episode in einer Zeit, in der mehr denn je wahrhaftiger Journalismus nötig sei.
Wie zerstörerisch sind die Ergebnisse der Untersuchung für den Sender?
Live mochte er dann aber offenbar doch nicht reden. Man habe auch «die BBC» für einen Auftritt im Studio angefragt, sagte die Moderatorin in einer eleganten Abspaltung ihrer eigenen Rolle. Aber leider habe man niemanden für die aktuelle Sendung gewinnen können. Die befasste sich mit der Frage, «wie zerstörerisch die Ergebnisse der Dyson-Untersuchung für den Sender» seien. Der neue, von Premier Boris Johnson im vergangenen Jahr eingesetzte Intendant, Tim Davie, hatte erst im vergangenen Jahr den ehemaligen Höchstrichter John Dyson damit beauftragt, die Entstehungsgeschichte des legendären Interviews mit Lady Diana von 1995 zu untersuchen, welches nun, nach all den Jahren, den berühmten öffentlich-rechtlichen Sender in schwerste Probleme stürzen dürfte.
Dass vor allem die Anbahnung des Interviews nicht der feinen englischen Art entsprochen hatte, konnte man schnell wissen, wenn man denn wollte. Ob das Interview nur wegen der Manipulationen im Vorfeldzustande kam, ist umstritten; Diana hatte damals der Welt mutmasslich ohnehin viel zu sagen – und auch sagen wollen. Aber das ändert in den Augen vieler BBC-Kritiker nichts an der fragwürdigen Art, wie die BBC mit ihren Erkenntnissen umging. Das Ganze sei ein «Cover-up» gewesen, sagte die Newsnight-Moderatorin; die BBC habe sich quasi selbst eine «Sie kommen aus dem Gefängnis frei»-Monopoly-Karte ausgestellt; kritische Berichte anderer Medien seien ignoriert worden.
2022 stehen Neuverhandlungen über das Sender-Statut an
Intendant Davie hat also mit einem Vierteljahrhundert Verspätung nachgeholt, was lange versäumt wurde. Und nicht nur in der BBC vermutet man, dass dahinter politisches Kalkül steht. Der Sender ist seit Längerem unter Beschuss der konservativen Regierung, der die Rundfunkgebühr, die Licence Fee, ebenso aufstösst wie die Befürchtung in Downing Street, dass die BBC nach wie vor politisch zu wenig steuerbar, zu unabhängig ist. Zwar hat mittlerweile die Regulierungsbehörde Ofcom ein sehr wachsames Auge über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, aber im kommenden Jahr stehen Neuverhandlungen über das Sender-Statut, genannt BBC-Charter, an, das 2027 endgültig ausläuft.
Offiziell soll 2022 nur eine Reformdebatte über Auftrag, Finanzierung, innere und äussere Kontrolle starten, an deren Ende, wenn es nach den Tories geht, aber gern eine andere BBC stehen dürfte: in kleinere Einheiten zerschlagen, teilprivatisiert, womöglich ohne Zwangsgebühren, sondern finanziert durch eine Art Abonnementmodell. Alles ist möglich, auch wenn der ehemalige Johnson-Berater Dominic Cummings, der einst «das Ende der BBC in ihrer gegenwärtigen Form» forderte, mittlerweile im Krieg mit seinem Ex-Chef liegt.
Parallel zu der Debatte über den unsäglichen Umgang der BBC mit der Aufarbeitung des Diana-Interviews, die eine Art Eigendynamik anzunehmen scheint und die politisch gewollte Debatte über eine grundlegende Reform der BBC nun offenbar noch beschleunigt, meldeten sich am Donnerstag zahlreiche Künstler und Medienschaffende zu Wort. Ihre Aktion rund um eine Initiative namens «British Broadcasting Challenge» richtet sich gegen die Art und Weise, wie die Regierung bei der Reform der BBC vorgeht.
Die Besetzung eines entsprechenden Gremiums, das die Regierung berate, sei undurchsichtig, Premier und Kultusminister würden mit negativen und kritischen Bemerkungen das Image des öffentlich-rechtlichen Senders untergraben. Die BBC sei «einmalig in der Welt», heisst es in einem offenen Brief; ein Sender im öffentlichen Eigentum, transparente Finanzierung und institutionelle Unabhängigkeit seien eine Garantie für «Qualität, Respekt und Vertrauen», welche die Briten und die Welt der BBC entgegenbrächten. Es bestehe nun die Gefahr, dass die Regierung all dies zerstöre.
Der Kulturminister fragt bereits: Ist die BBC «überhaupt noch nötig»?
Der Dyson-Bericht macht es für die BBC-Verantwortlichen sicher noch einmal schwerer, sich politischer Übergriffe zu erwehren, zumal Justizminister Robert Buckland einer Ermittlung durch die Polizei das Wort redet, um auszuschliessen, dass es «weitere Hinweise auf kriminelles Verhalten» durch Bashir gibt. Kultusminister Oliver Dowden geht sogar weiter und stellt gleich mal die Existenz des Senders infrage. Man müsse überlegen, ob Sender wie die BBC oder auch Channel 4 im digitalen Zeitalter «überhaupt noch nötig» seien.
In der Sendung Newsnight am Donnerstag, die mit der BBC fürwahr hart ins Gericht ging, wurde allerdings immer wieder betont, dass die Ereignisse Jahre zurücklägen und der Sender auch viel gelernt habe; interne Probleme wie die ungleiche Bezahlung von Starmoderatoren und -moderatorinnen oder auch der Skandal um den pädophilen BBC-Star Jimmy Savile, über dessen Verbrechen der Sender jahrelang hinwegsah, seien zwar mühsam und zeitverzögert, aber doch letztlich aufgearbeitet worden.
Ein Gast verwies angesichts der massiven Kritik an den Senderverantwortlichen auch darauf, dass sich selbst Prinz William am Ende seines vernichtenden Statements für die BBC eingesetzt habe. Der ältere Sohn Dianas und Zweite in der Thronfolge nach Prinz Charles hatte Lord Dyson für seinen Report gedankt und die BBC massiv kritisiert. In einer Ära von Fake News, fügte William zum Schluss hinzu, seien eine freie Presse und ein öffentlich-rechtlicher Sender dennoch wichtiger denn je. Es klang, als wolle er sagen: trotz alledem.
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