Feuer auf Hawaii-Insel MauiDas Paradies ist abgebrannt
Viele Menschen konnten sich nur mit Glück aus der Küstenstadt Lahaina retten, andere harrten aus. Eine Umweltexpertin warnt von den Folgen der Brände für das Ökosystem.
Vielleicht ein kleines bisschen eher losfahren aus Lahaina, nur ein paar Minuten. So beschreibt die Fotografin Radka Leitmeritz am Telefon ihre Gedanken am Dienstagnachmittag, als die Wirbelsturmwarnung im Nordwesten der Hawaii-Insel Maui sie erreichte. Der Strom war ohnehin bereits ausgefallen, warum nicht ein wenig eher aufbrechen in Richtung Flughafen?
Leitmeritz war in diesem Paradies, um gemeinsam mit ihrem Sohn ein wenig auszuspannen vorm Tennis-Grand-Slam in New York, wo die Arbeit wieder wartet auf sie. Ein Freund hatte sie begleitet, um ein Nachhaltigkeitsprojekt mit den Restaurants und Hotels in der Gegend voranzutreiben. «Eine Stunde nach unserem Aufbruch begann es zu brennen», sagt Leitmeritz. Das Paradies wurde zur Hölle.
55 Menschen sind offiziellen Angaben zufolge bei den verheerenden Busch- und Waldbränden gestorben. Es ist durchaus möglich, dass noch mehr Tote geborgen werden. Gouverneur Josh Green schätzt, dass etwa 1700 Gebäude im Küstenort abgebrannt sind, der Sachschaden liege schon jetzt bei mehr als einer Milliarde Dollar. Es ist eines der schlimmsten Feuer in der Geschichte der USA. Man fühlt sich erinnert an das sogenannte «Camp Fire» 2018 in Kalifornien, bei dem 85 Menschen starben und insgesamt 19’000 Gebäude abbrannten - darunter eine Stadt, die tatsächlich Paradise heisst.
So einen Namen braucht es auf Hawaii nicht, die Inselgruppe ist berühmt als Paradies im Pazifik, und dieses Paradies brennt noch immer, das Feuer ist nicht komplett unter Kontrolle. Unklar ist, wie viele Leute gestorben und verletzt sind oder womöglich noch vermisst werden. «Es ist, als wäre eine Bombe explodiert. Das Ausmass der Zerstörung in Lahaina dürfte ein Schock für alle sein», sagt Gouverneur Green bei einer Pressekonferenz am Donnerstag.
«Es herrschte komplettes Chaos»
Radka Leitmeritz hat erlebt, wie schnell die Katastrophe sich ereignete. «Es herrschte komplettes Chaos», sagt sie. Die Fotografin konnte sich zum Flughafen retten, verbrachte dort eine Nacht und wurde dann nach Honolulu gebracht, Hawaiis Hauptstadt, wo sie nun auf den Rückflug nach Los Angeles wartet: «Jeder musste sich um sich selbst kümmern. Aber das ist freilich nichts gegen das, was die Leute erlebt haben, die nicht rausgekommen sind.»
Der Taxifahrer Alan Barrios etwa, der seit 20 Jahren in Lahaina lebt. Er ist dort geblieben, als es zu brennen begann, auf einem Parkplatz, um sich um seine Katzen zu kümmern. Eine ist dennoch gestorben. Seine Wohnung in der Stadt: abgebrannt, und damit so ziemlich alles, was er besitzt. «Es ist wie in einem Kriegsgebiet, es gab links und rechts Explosionen», sagt Barrios. Mittlerweile hat er in der Turnhalle der Maui High School Unterschlupf gefunden, gemeinsam mit etwa 2100 anderen, zwei Drittel davon sind Touristen. Barrios sagt: «Ich habe alles verloren, es ist nichts mehr da in Lahaina. Nur Asche.»
Überlebende berichten, dass sie von den Bränden überrascht worden seien. Einer zum Beispiel sagte der «New York Times», dass er und seine Frau überhaupt erst von den Feuern erfahren hätten, als sie die Flammen weniger als 500 Meter von ihrem Haus entfernt entdeckt hätten. Auf die Frage, ob es Warnungen oder eine Evakuierungsanordnung gegeben habe, sagt er: «Oh, ganz sicher nicht.» Manche Bewohner waren derart hilflos, dass sie den Pazifik als einzigen Ausweg sahen; die Küstenwache meldete, dass sie 17 Personen auf dem Ozean geborgen habe - und 40 weitere, die sich aus dem Wasser wieder an Land gerettet hatten.
Die Situation ist anders als in Kalifornien
Es sind Augenzeugenberichte wie diese, die einem neben den schrecklichen Bildern klarmachen, was gerade los ist auf Maui. Und es sind Aussagen wie die von Elizabeth Pickett, Direktorin der Hawaii Wildfire Management Organization: «Das Ökosystem von Hawaii ist nicht an Feuer angepasst, es wird davon zerstört.» In Kalifornien ist immer wieder die Rede von guten Bränden - also jenen, durch die sich die Wälder in Nationalparks seit Jahrhunderten selbst reinigen; und die nur zu schlechten Bränden werden, weil der Mensch unbedingt dort Häuser hinstellen muss, wo es bekanntermassen immer wieder brennt. «Es gibt keine guten und schlechten Feuer auf Hawaii», sagt Pickett, «es gibt ausschliesslich schlechte Feuer, Punkt.»
Das ist die Botschaft, die das Inferno gesendet habe: Maui ist im sogenannten «Age of Flames» angekommen, dem Zeitalter der Flammen. Wie in Kalifornien war es zuletzt heiss und trocken, wie in Kalifornien gab es eine Dürre. Das Tiefdruck-Gebiet durch Hurrikan Dora im Süden sowie ein Hochdruck-Gebiet im Norden sorgten für Winde, die mit bis zu 130 km/h über Maui fegten und Funken über trockene Gräser hinweg zu Städten wie Lahaina wehten. Mehr als ein Viertel des Bundesstaats ist Pickett zufolge derzeit von solchen feuergefährdeten Gräsern bedeckt.
Ein weiterer Grund: «Wildland-urban interface» (WUI). Städte wie das kalifornische Paradise oder Lahaina auf Maui sind quasi in die Natur eingebettet, die Vegetation ist in Berührung mit Gebäuden. «Jede Gemeinde auf Hawaii ist eine WUI-Gemeinde, wir sind ein WUI-Bundesstaat», sagt Pickett. Also bei Feuern besonders gefährdet.
Gouverneur Green kündigte an, Strategien entwickeln zu wollen für den Umgang mit dem Zeitalter der Flammen auf Hawaii. Nun aber gelte es, mit der aktuellen Situation umzugehen - die viel schlimmer sein könnte als bislang bekannt. Die Zahl der Toten bislang: 55. Die Zahl der Vermissten: unbekannt. Im Jahr 1960 starben 61 Menschen, als eine riesige Welle The Big Island des Archipels erwischte, die Insel Hawaii. Gouverneur Green sagte nun: «Es könnte sein, dass die Zahl der Toten diesmal bedeutend höher liegen wird.»
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