Wahlen in PolenDas liberale Lager hat wieder einen Hoffnungsträger
Einst trat er nur als Ersatzmann an, doch jetzt hat der oppositionelle Präsidentschaftskandidat Rafal Trzaskowski realistische Chancen, die Präsidentschaftswahlen in Polen zu gewinnen.
Schon lange bevor der Kandidat zu sehen ist, ruft eine Frau mit weissem Haar und lilafarbener Regenjacke so laut «Rafal! Rafal!», dass sie sich verschluckt. Vor ihr werden Polen- und Europa-Flaggen geschwenkt, immer paarweise, sie stellt sich auf die Zehenspitzen, eine Freundin stützt sie. Sie stehen in einer Menge von vielleicht 2000, vielleicht mehr Menschen, die auf Rafal Trzaskowski wartet. Er ist Oberbürgermeister, der Stadtpräsident von Warschau, will nun aber Präsident des ganzen Landes werden. Er hat diesen Ort in Stettin wohl mit Bedacht gewählt. Es ist der Platz der Solidarität, der Solidarność.
Hier befindet sich das «Dialogzentrum Umbrüche», das sich mit der neueren Geschichte des Landes auseinandersetzt. Trzaskowski möchte nun auch Geschichte schreiben, er will die Macht der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit, kurz PiS, brechen. Am Sonntag geht er gegen Andrzej Duda in die Stichwahl, den amtierenden Präsidenten, der von Gegnern als «Kugelschreiber» verspottet wird, weil er alle Gesetze unterschreibe, die ihm die PiS vorlegt. Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet.
«Wir wollen die Demokratie zurück»
Hier in Stettin, im äussersten Nordwesten des Landes, ist Trzaskowski auf sicherem Boden. Auf dem Platz stehen Junge, Alte, Frauen, Männer – sie eint nur, dass sie alle in einer westlich orientierten wohlhabenden Grossstadt leben. Hier wird traditionell die Partei unterstützt, die Trzaskowski aufgestellt hat, die Bürgerplattform, kurz PO. «Danke, danke!», rufen die Menschen ihm zu. Noch bevor er überhaupt etwas sagt. Er spricht von einem toleranten und offenen Polen. Sein Publikum hält ihm Plakate hin: «Rafal, help!», «Wir wollen die Demokratie zurück!».
Der jugendlich wirkende Trzaskowski, smart, gebräunt, ist ungeheuer populär, dabei ist er erst seit knapp zwei Monaten Kandidat der PO, nachdem sich die ursprüngliche Bewerberin, Parlamentspräsidentin Malgorzata Kidawa-Blonska, wegen schlechter Umfragewerte zurückgezogen hatte. Den Platz umrunden während seines Auftritts zwei Lieferwagen mit grossen Plakaten auf den Ladeflächen. Auf dem einen lächelt Trzaskoswki, dazu sein Wahlslogan «Starker Präsident, einiges Polen». Auf dem anderen aber wird Trzaskowski als unfähig verunglimpft und es wird behauptet, dass er das Kindergeld von 500 Złoty, knapp 120 Franken, wieder zurücknehmen wolle. Dieses hatte die PiS eingeführt. Trzaskowski hat sich allerdings klar dazu bekannt. Zudem hat der Präsident in Polen zwar einige Befugnisse: Er kann Gesetze blockieren – sie rückgängig machen, das kann er aber nicht.
Präsident Duda, der Vater aller
Andrzej Duda ist unterdessen in den letzten Tagen vor der Wahl im Osten und Südosten des Landes unterwegs. In ländlichen Gebieten schwenken die Menschen auch weiss-rote Polen-Flaggen, aber dazu Fahnen mit dem Staatswappen, dem Adler. Dudas Facebook-Account quillt über von Fotos: Der Präsident drückt alte Frauen, der Präsident beugt sich zu Kindern hinunter, der Präsident ehrt Kriegsveteranen. Die Familie ist das höchste Gut und der Präsident der Vater aller.
Auf dem Account zu seiner Kandidatur geht es weniger harmonisch zu. Unterstützer diffamieren hier Trzaskoswki auf jede erdenkliche Weise. Besonders auffällig in den vergangenen Tagen ist der Hass auf alles Ausländische. So wird Trzaskowski vorgeworfen, in Warschau zur öffentlichen Wärmeversorgung ein französisches Unternehmen zu beschäftigen und für andere Dienstleistungen deutsche, italienische und türkische Firmen.
«Es steht alles auf dem Spiel»
Bartosz Wielinski kennt solche Angriffe auf die Medien. Seine Zeitung, die «Gazeta Wyborcza», hat sich deshalb im Wahlkampf auf die Seite Trzaskowskis gestellt. «Es steht alles auf dem Spiel, was wir errungen haben», sagt der stellvertretende Chefredaktor der Tageszeitung. Die staatlichen Medien seien vollständig vereinnahmt worden. Schmähkampagnen würden dort geführt. Zeitungen wie seine, sagt Wielinski, würden ignoriert und ausgeblutet. 2016 seien ihnen die Anzeigen aller staatlichen Unternehmen entzogen worden. In 55 Fällen habe die Regierung gegen die Gazeta geklagt.
Dabei, das räumen auch PiS-Gegner ein, habe die Partei in den vergangenen Jahren nicht alles falsch gemacht. Als Duda 2015 ins Amt gewählt wurde, hatte sich die Gesellschaft einen Wandel versprochen. Viele Polen hatten genug von der PO, die zwischen 2007 und 2014 regierte. «Einige Menschen, besonders auf dem Land, fühlten sich abgehängt», sagt der Politbeobachter Adam Traczyk. «Sie fühlten sich als Polen zweiter Klasse.» Die PO habe sie in ihrem Willen nach Aufbruch vergessen und einigen Menschen zu viel zugemutet. Das hat die PiS erkannt.
Noch bis Freitagabend werden Trzaskowski und Duda durch das Land touren. Zwei gleichaltrige Männer, 48 Jahre alt, beide studiert. Auch ihre Frauen sind dabei, Agata Kornhauser-Duda, frühere Deutschlehrerin, und Malgorzata «Gosia» Trzaskowska, eine Wirtschaftswissenschaftlerin. Es geht also nicht um Akademiker gegen Nicht-Akademiker oder um Jung gegen Alt. Zur Wahl stehen vielmehr Rechtsstaatlichkeit und Offenheit für die EU – oder Abschottung und Rückzug.
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