Analyse zur Rolle der UNODas Gewissen der Welt
Die UNO kann Putins Krieg nicht stoppen. Doch als helfende und als moralische Institution ist sie gerade wichtiger denn je.
In den Vereinten Nationen wird bisweilen so unendlich viel geredet und so wenig getan, dass es einen zur Verzweiflung bringen könnte. Im Sicherheitsrat, dem wichtigsten Gremium, führen die Mitglieder oft Diskussionen, die sich nur als Farce beschreiben lassen, und in den weniger wichtigen Gremien werden teils so abseitige Themen verhandelt, dass man sich fragt, ob die Organisation mit Absicht versucht, im Obskuren zu verschwinden. Und doch hatte der frühere deutsche UNO-Botschafter Christoph Heusgen recht, als er kürzlich sagte: «Wenn es die UNO nicht gäbe, müsste man sie erfinden.»
Dass UNO-Generalsekretär António Guterres letzte Woche nach Moskau und nach Kiew gereist ist, wird unmittelbar nichts daran ändern, dass Russland einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Aber niemand wird bestreiten wollen, wie wichtig es ist, dass die Weltgemeinschaft wieder und wieder kundtut, dass sie den Angriffskrieg von Wladimir Putin in jeder Hinsicht verurteilt, und dafür gibt es keine geeignetere Organisation als die UNO.
Gegründet wurden die Vereinten Nationen im Jahr 1945 unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs, explizit mit dem Ziel, Kriege zu verhindern. Dass sie dazu nicht in der Lage sind, zeigt sich gerade wieder in Anbetracht des russischen Überfalls. Das heisst aber nicht, dass sie überflüssig wären. Im Gegenteil, sie sind zum einen eine Bühne, auf der die Weltgemeinschaft öffentlich debattiert, und sie sind zum anderen das grösste Hinterzimmer der Welt, in dem Diplomaten sondieren, worum es den jeweils anderen wirklich geht.
Der Präsident der USA, ausgelacht auf dieser Bühne? Das hatte es noch nie gegeben.
Heute sind die Vertreter von 193 Ländern im Hauptquartier am New Yorker East River versammelt. Als diese nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine über eine Resolution abstimmten, die das russische Vorgehen verurteilen sollte, stimmten 145 dafür. Lediglich fünf Länder votierten dagegen, ausser Russland waren es Belarus, Nordkorea, Eritrea und Syrien. Direkte Folgen für den Krieg hat das nicht, aber Russland weiss seit dieser Abstimmung, welche Freunde es in der Welt noch hat.
Nebenbei: Ein weniger wichtiges, aber immerhin halb heiteres Zeichen setzte die Vollversammlung der UNO, als der ehemalige US-Präsident Donald Trump dort 2018 seine Rede damit begann, sich als einen der erfolgreichsten Präsidenten der Geschichte zu preisen. Im Saal brach Gelächter aus. Trump hielt inne. Der Präsident der USA, ausgelacht auf dieser Bühne? Das hatte es noch nie gegeben. Mit einem Mal wusste Trump, was weite Teile der Welt von seinen Prahlereien hielten. Natürlich hat das sein Verhalten nicht geändert, aber auch in diesem Fall war es so: Das Zeichen war gesetzt.
Die UNO ist so viel mehr als der Sicherheitsrat.
Was die Diskussionen im Sicherheitsrat angeht, so sind diese in der Tat oft fruchtlos, doch immerhin sieht die Welt, wer sich dort in welcher Weise verhält. Der russische UNO-Botschafter und sein Stellvertreter haben seit Beginn der Invasion ihre Kolleginnen und Kollegen ungerührt angelogen. Das führte den Mitgliedern der UNO nicht bloss vor Augen, wie schamlos auch der Krieg der Desinformation geführt wird, sondern es bot zudem die Gelegenheit, darauf eine direkte, eine öffentliche Antwort zu formulieren.
In Konfliktsituationen in aller Welt wird die UNO stets als «zahnloser Tiger» beschrieben. Aber: Die UNO hat Hunderte Tonnen an medizinischen Gütern in die Ukraine geliefert. Auch wegen dieser Initiativen haben die USA mittlerweile angekündigt, die Ukraine mit mehr als 30 Milliarden Dollar unterstützen zu wollen. Zudem ist die UNO so viel mehr als der Sicherheitsrat. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist in die Ukraine-Hilfe involviert, ebenso das Kinderhilfswerk Unicef, und um die Flüchtlinge kümmert sich in Teilen die UNHCR. Der gesamte Apparat der UNO leistet Hilfe.
Das russische Militär kann die UNO nicht aufhalten. Doch als helfende und als moralische Institution, als Gewissen der Welt, ist sie gerade wichtiger denn je.
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