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Erster Schweizer an der Darts-WM
Jetzt johlen Tausende, wenn er seine Pfeile wirft

Der erste Schweizer an der Dart-WM: Stefan Bellmont schreibt diesen Dezember im legendären Ally Pally Geschichte. Porträt eines Pioniers.
04.12.2024
(RAHEL ZUBER/TAGES-ANZEIGER)
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In Kürze:
  • Ab Sonntag findet in London die Darts-WM statt.
  • Mit Stefan Bellmont ist erstmals ein Schweizer dabei.
  • Wie der 35-Jährige zum Darts kam und wie er sich auf dieses Spektakel vorbereitet.

Diesmal darf Stefan Bellmont den Hintereingang nehmen. Nicht wie vor elf Jahren, als er in der Schlange stand. Denn diesmal ist Stefan Bellmont kein Fan, keiner aus der Masse, die sich in den Alexandra Palace von London drängt, um dort zu lärmen. Er ist einer von denen, deretwegen gelärmt wird.

Am Sonntag startet die Weltmeisterschaft der besten Darts-Spieler und -Spielerinnen, am 3. Januar findet der Final statt. Es sind drei Wochen Ausnahmezustand im Ally Pally, dem Zentrum dieser Sportart, gelegen auf einer Anhöhe im Norden Londons, Stadtteil Borough of Haringey. 90’000 werden da sein, über den ganzen Anlass verteilt.

Und mittendrin Stefan Bellmont, der gelernte Koch aus Cham.

Damals, im Dezember 2013, war Bellmont 24 und über die Festtage in London, eigentlich um Fussball zu schauen, Boxing Day, noch so ein britisches Spektakel. Bellmont sah sich mit seinen Eltern Chelsea - Liverpool und Fulham - West Ham an, besuchte dazwischen die Darts-WM und sagte sich: «Wenn ich das nächste Mal hier bin, dann als Teilnehmer.»

Das Versprechen hat er sich erfüllt. Er hat sich im November für das Turnier qualifiziert, als erster Schweizer überhaupt. In Kalkar, Nähe Düsseldorf, setzte er sich gegen 91 andere durch.

Der erste Schweizer an der Dart-WM: Stefan Bellmont schreibt diesen Dezember im legendären Ally Pally Geschichte. Porträt eines Pioniers.
04.12.2024
(RAHEL ZUBER/TAGES-ANZEIGER)

Nun sitzt er im Belli’s Darts House am Stadtrand von Cham. Der Raum im Untergeschoss eines Solartechnik-Unternehmens war einst ein Kampfsportstudio, nun ist er Bellmonts kleines Bijou.

Sie rechnen noch selbst

Der 35-Jährige führt gleich selbst durch den Raum, der gerade so etwas wie sein zweites Zuhause ist. Preise, Bilder und Zeitungsberichte sind aufgehängt oder stehen herum, es gibt Brettspiele und die Bar, an der Bellmont abends nach dem Training Gäste bedient. Für sie ist Belli’s Darts House ein Treffpunkt, für «Belli» selbst ein Trainingszentrum.

Die Möglichkeiten, Pfeile zu werfen, sind zahlreich – sechs elektronische Scheiben, die man aus den Bars kennt, die mit den Plastikpfeilen. Und sechs Scheiben ohne Schnickschnack: Steel Darts. Hier rechnen die Spieler und Spielerinnen selbst. 

Und damit zu einem kurzen Exkurs in diese Sportart. 96 Spieler und Spielerinnen werden in London dabei sein. Sie treten im Ausscheidungsverfahren gegeneinander an, 1 gegen 1. Um eine Runde weiterzukommen, braucht es eine unterschiedliche Anzahl an gewonnenen Sätzen, wie im Tennis. Am Anfang reichen drei, im Final braucht es sieben. Ein Satz besteht aus Legs, wer drei gewinnt, holt den Satz.

In einem Leg starten die Kontrahenten mit 501 Punkten, was sie auf der Scheibe treffen, wird abgezogen. Wer zuerst bei null ist, gewinnt, allerdings gilt die Double-Out-Regel. Das heisst: Der letzte Wurf muss landen, wo die Punkte doppelt zählen – also im äusseren Kreis der Dartscheibe oder genau in der Mitte. Braucht eine Spielerin also noch 20 Punkte, um das Spiel zu beenden, wirft sie nicht auf die 20, sondern eine zweifache 10.

Bellmont hat das in seinem Leben schon oft erklärt und führt das Ganze noch einmal vor. Auf einer Kommode in seinem Dart House steht die Scheibe, die ihm die Qualifikation für die WM brachte. 124 Punkte war er noch von der Null weg, dann traf er die dreifache 20 im inneren Kreis der Scheibe, die 14 – und schliesslich ins Bullseye, also genau in die Mitte, was noch einmal 50 Punkte (zweimal 25) wert ist.

Der erste Schweizer an der Dart-WM: Stefan Bellmont schreibt diesen Dezember im legendären Ally Pally Geschichte. Porträt eines Pioniers.
04.12.2024
(RAHEL ZUBER/TAGES-ANZEIGER)

Bellmont jubelte, zumindest kurz. Ein Schrei, dann hob er die Hände, als würde er sich dafür entschuldigen wollen. Dabei war der Verlauf des Finals ja schon Grund genug dafür, kurz die Fassung zu verlieren. Bellmont lag 2:5 hinten und besiegte seinen Gegner 7:5.

Aber es ist eben nicht seine Art, laut zu werden, Bellmont ist eher der gmögige Typ. Auch Interviews sind nicht so seins, das sagt er gleich zu Beginn. Momentan häufen sich die Anfragen, Bellmont sieht sie auch ein wenig als Ablenkung, damit er nicht zu oft an die WM denkt.

Die Arbeit mit dem Mentaltrainer

Darts ist eine mentale und körperliche Herausforderung, die Athleten stehen stundenlang bei höchster Konzentration. An Turnieren kann es sein, dass sie eine Stunde warten zwischen ihren Einsätzen oder nach fünf Minuten wieder ranmüssen. Dazu kommt die Rechnerei, die Athleten sehen zwar, wie viele Punkte noch fehlen, bis sie auf null sind. Wie sie das schaffen wollen, ist aber ihnen selbst überlassen.

Um das auszuhalten, besucht Bellmont regelmässig einen Mentaltrainer. Er hat seine Kniffs, um den Fokus wiederzufinden und den Puls zu kontrollieren. «Es sind Ankerpunkte, auf die ich zurückgreifen kann, wenn ich die Konzentration verliere», sagt er. Gerade bei der WM im Ally Pally wird alles noch einmal eindrücklicher, intensiver und lauter. 

Ally Pally, das heisst für Bellmont, dass er von Beginn an mittendrin ist. Hier gibt es keine Nebenplätze, bevor es zum Centre Court geht, wie beim Tennisturnier in Wimbledon. Hier gibt es eine Bühne, eine kleine Manege, umringt von mehreren Hundert Zuschauenden, von denen mancher schon das eine oder andere Bier getrunken haben wird.

LONDON, ENGLAND - DECEMBER 29: Spectators are seen on day 12 of the 2023/24 Paddy Power World Darts Championship at Alexandra Palace on December 29, 2023 in London, England. (Photo by Tom Dulat/Getty Images)

«Ich darf nicht meckern», sagt Bellmont, er bestreitet bereits die zweite Partie des Turniers, trifft dabei auf den an Nummer 27 gesetzten Niederländer Jermaine Wattimena. Am Sonntagabend wird er seine Pfeile werfen, «ich denke, dass der Ally Pally dann voll sein wird, zumindest voller als an einem Dienstagmittag», sagt er. 

Er rutschte einfach irgendwie rein

Bellmont hofft, dass seine Teilnahme ein bisschen «elektrisiert». Er will einen Beitrag dafür leisten, dass seine Leidenschaft einen Weg aus der Nische findet. Aus den Klischees auch, die sie begleiten, wenn überhaupt Sport, dann Kneipensport, in dem mehr getrunken als gespielt wird. Daran hat der Ally Pally mit seinen Ballermann-Zügen auch Anteil. 

Aber wie kommt Stefan Bellmont überhaupt zum Darts?

Nun, es beginnt schon auch in einer Bar. Bellmont macht in Steinhausen, einem Dorf ein paar Minuten von Cham weg, seine Lehre als Koch, das Feierabendbier gibt es oft in der Piazza Bar. Ein paar E-Dartscheiben stehen da, an denen regelmässig Teams der Region trainieren. 

So kommt es zum Austausch, Bellmont beginnt mitzumachen, und irgendwann finden die anderen: «Der spielt noch gut.» Und er findet: «So weit weg sind die nicht von mir.»

Von da an nimmt alles seinen Lauf, immer an den E-Dartscheiben. Mal ins Training, dann der Beitritt in den Verein, Liga spielen, die Einzelwettbewerbe entdecken und plötzlich an den Schweizer Meisterschaften dabei sein. Immer mit dem Gedanken, nie Steel Darts zu spielen, eben, die Rechnerei. 

«Aber es passierte dann eigentlich genau das Gleiche», sagt Bellmont. Er probiert es doch aus. Und merkt, dass ihm auch das liegt. Je länger er spielt, desto höher werden die Ambitionen. Heute ist er die Nummer 1 der Schweiz.

Und gleichzeitig sagt er: «Hätten in der Piazza Bar sechs Billardtische gestanden, würde ich jetzt vielleicht Billard spielen.»

LONDON, ENGLAND - JANUARY 03: A general view as Luke Littler of England throws during the 2023/24 Paddy Power World Darts Championship Final between Luke Littler of England and Luke Humphries of England on Day Sixteen of the 2023/24 Paddy Power World Darts Championship at Alexandra Palace on January 03, 2024 in London, England. (Photo by Tom Dulat/Getty Images)

Manchmal ist keine Magie dahinter und auch keine grosse Heldengeschichte, sondern einfach die Freude am Spiel. Und vielleicht ist ja genau das das Schöne am Dartsport. Bellmont entdeckte ihn erst so richtig für sich, als er bereits in der Lehre war. Er ist jetzt 35 und in der besten Form, in der er je war, während sich in diesem Alter für die meisten anderen Sportler und Sportlerinnen die Karriere dem Ende zuneigt.

Im Gegensatz zu vielen von ihnen kann er von seinem Sport aber nicht leben. Gerade geht es irgendwie auf, er ordnet der WM viel unter und hat ein kleines Team um sich, das sich auch um das Management, die Sponsoren und die Medienanfragen kümmert. 

«Aber irgendwann muss dann schon wieder ein Job her», sagt er. Was auch immer dann passt, es muss keiner in der Küche sein. Zuerst aber liegt der Fokus auf London, auf dem Ally Pally. «Ich gehe nicht dorthin und sage, ich muss in die dritte Runde kommen», sagt Bellmont. Er freue sich einfach auf das, was ihn nun erwarte. Damit ist er bisher gut gefahren.

Die Lust, an diesem Turnier weit zu kommen, wird schon noch kommen. Spätestens dann, wenn er die Bühne betritt und bis zu 3000 darauf warten, dass er seinen ersten Pfeil wirft.