Spektakel im «Ally Pally»Laut, wild und trinkfest
94 Männer, 2 Frauen und Fans im Grenzbereich – in London beginnt die Darts-WM. Warum der Alkoholkonsum auch unter den Protagonisten eine Rolle spielt: Antworten vor dem Start.
Männer, die auf Scheiben werfen? Das stimmt nicht ganz, bei der Darts-Weltmeisterschaft in London sind auch Frauen am Start. Insgesamt 96 Pfeilwurfsportler und -sportlerinnen treten dieses Jahr im Londoner Alexandra Palace an, besser bekannt als «Ally Pally» – und Zehntausende Fans stimmen sich auf die 31. Auflage dieser Grossveranstaltung ein.
Am Freitag beginnt das Turnier, der Final ist für den 3. Januar vorgesehen. Was macht die Faszination des «Ally Pallys» aus? Warum ist die beste Dartsspielerin nicht dabei? Und wie hat sich die Bedeutung des Alkoholkonsums unter den Protagonisten verändert?
Der Wahnsinn «Ally Pally»
Der Alexandra Palace in London ist im Dezember durchaus vergleichbar mit dem Oktoberfest in München, wo man verkürzt von der Wiesn spricht, in Nordlondon sagen sie zu ihrem Event «Ally Pally». Zwei Pints gingen dort zuletzt für umgerechnet 15 Franken über den Tresen, sie befinden sich also auf ähnlichem Literpreisniveau wie beim weltweit grössten Volksfest. Überhaupt eignet sich London im Dezember für jene, die von der Theresienwiese im Herbst noch nicht genug hatten. Man meidet diese Orte, oder man taucht in sie ein, mit allem, was dazugehört.
Der Alexandra Palace war 1873 als Erholungspark eröffnet worden. Von den Architekten John Johnson und Alfred Meeson stammt die Idee, der sicherlich nicht innewohnte, dass dieses Gebäude zwei Wochen nach der Erbauung nahezu komplett niederbrannte. Die Londoner errichteten es neu – und alsbald diente dieser Bau Geflüchteten als Obdach. Heute ist der Alexandra Palace, wenn man das so sagen darf, vor allem ein Ort, an den sich Menschen aus dem Alltag flüchten. Nicht selten mit Verkleidungen, wild, übertrieben, laut, die Münchner wissen in dieser Hinsicht Bescheid. Der grosse Unterschied vom «Ally Pally» zum Wiesn-Zelt: Niemand muss hier fesch sein, im Gegenteil, damit läge man pfeilgrad daneben.
Die WM-Favoriten
Im Darts war es schon mal einfacher, die Besten der Branche zu sortieren. Oder anders gesagt: Es war vielleicht nie so kompliziert wie vor dieser Weltmeisterschaft, einen Titelkandidaten zu benennen. Der Grund, und das ist für alle Anhänger dieser Sportart eine gute Nachricht: Die Weltspitze liegt sehr eng beieinander, oder besser, die Spitzen der weltbesten Pfeilewerfer. Natürlich ist Michael Smith (Spitzname: «Bully Boy») aus dem Mutterland des Darts zu nennen. Dem 33-jährigen Engländer wollte allerdings nach seinem grossen WM-Triumph vor einem Jahr nicht mehr sonderlich viel gelingen.
Zuletzt war jedoch ein ganz anderer Mann in den Endrunden des Weltdartsverbands (PDC) zu beobachten: James Wade wirkt auf der Bühne zwar meist wie der Verkäufer einer Fish-and-Chips-Bude, der nach einem langen Tag gerne Feierabend hätte. Er verweilte aber stets so lange in den Turnieren, dass seine Feierabendzeiten inzwischen mit jenen von Michael van Gerwen vergleichbar sind. «Mighty Mike» aus den Niederlanden ist zwar nicht mehr der überragende Dominator der Dartsszene wie einst, aber immer noch jener dreimalige Weltmeister, den es eben beim wichtigsten Branchenturnier erst einmal zu schlagen gilt.
Der Beste dieses Dartsjahres indes trägt den Namen Luke Humphries. Sein Weltranglistenplatz Nummer drei mag darüber hinwegtäuschen, weil diese Liste über zwei Jahre geführt wird. Der 28-jährige Engländer räumte zuletzt aber alles ab. Er gewann den Grand Slam of Darts und die Players Championship Finals, also zwei der wichtigsten Turniere. Mit dem WM-Titel hätte er quasi das Triple beisammen.
Eine Frau sagt Nein
Die beste Frau im Darts? Ist aktuell zweifellos Beau Greaves. Doch nach Jahren, in denen stets laut gejubelt wurde, wenn eine der wenigen Frauen im Starterfeld auf einen der vielen Männer traf (Fallon Sherrock zog 2019 sogar in die dritte Runde ein und wurde als «Queen of the Palace» gefeiert), geht Greaves einen anderen Weg: Sie sagte für diese WM ab.
Keine Duelle mit den besten Männern, stattdessen trat die 19-jährige Britin bei der WM der Frauen an. Und einen Doppelstart verbietet der Weltverband PDC. Warum, das ist nicht so recht logisch. Greaves war es letztlich egal, sie holte den WM-Titel bei den Frauen und zeigte sich «sehr zufrieden» mit ihrer Entscheidung. Zwei andere Frauen treten im «Ally Pally» an: neben Sherrock die Japanerin Mikuru Suzuki. Sportlich mithalten können beide mit Greaves derzeit allerdings nicht.
Die Leistung und der Durst
Anders als im klassischen Leistungssport lässt sich die Genese der Pfeilwurfbranche auf Kneipenverbundenheit zurückführen und wird demnach bisweilen nicht ganz zu Unrecht beäugt. Der deutsche Dartsspieler Jochen Graudenz hatte den Alkohol, dieses in der Dartsszene gern verschwiegene Thema, im Sommer öffentlich angesprochen und dabei unter anderem die Vermutung verlauten lassen, dass 70 Prozent aller Dartsprofis unter Alkoholeinfluss auf die Bühne träten.
Und so ist es wohl kein Zufall, dass etwa der Deutsche Darts-Verband (DDV) unlängst ankündigte, Alkoholkontrollen bei Spielern vornehmen zu wollen, mit der interessanten Begründung, dass Alkohol «durchaus ein gewisses leistungssteigerndes Potenzial» aufweise. Auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) findet sich kein Eintrag.
Die «Bild»-Zeitung wollte unlängst herausgefunden haben, dass die erlaubte Grenze im deutschen Darts zunächst 0,8 Promille betragen soll und schon bald auf 0,5 gesenkt werde. Wer durchfällt, dem drohe ein Ausschluss. Dem Vernehmen nach ist auch in der internationalen Dartsszene ein Wandel zu beobachten. Die jüngeren Profis, von denen nicht wenige ganz vorn in der Weltelite mitmischen, halten sich beim Thema Alkohol auffällig und bewusst zurück – was womöglich zielführend ist in der dicht besetzten Weltspitze.
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