Aus dem Leben eines Hockey-Referees«Da fragte ich mich: Warum mache ich das?»
Im besten Fall werden sie ignoriert, im schlimmsten Fall beschimpft oder gar attackiert. Micha Hebeisen ist dennoch mit Leidenschaft Eishockeyschiedsrichter.
Schiedsrichter haben es auch im Eishockey nicht einfach. Sie können es nie allen recht machen, mindestens bei einer Mannschaft ist am Ende häufig jemand wütend. Und sie dienen oft als Ventil für den Frust von Zuschauern, nicht selten auch für jene, die die Regeln des Spiels kaum kennen. Micha Hebeisen kennt all dies und noch viel mehr, er ist einer der sieben Profischiedsrichter, die Spiele in der Schweizer Meisterschaft leiten.
Wenn das ganze Stadion nach einem seiner Entscheide tobt, ihn mit vulgären Beschimpfungen eindeckt. Wenn im Gegensatz zu Begegnungen mit unzufriedenen Trainern oder Spielern die für ihn so wichtige Kommunikation weder möglich ist noch sinnvoll wäre. «All das gehört auch dazu», sagt der 34-jährige Berner lachend. Lieber so, mit vollen Stadien, als ohne Zuschauer und folglich ohne Pfeifkonzerte, wie zuletzt während der Corona-Saisons ebenfalls erlebt: «Jene Erfahrung war auch für mich als Schiedsrichter eher komisch.»
Hebeisen war einst selbst Nachwuchsspieler in Langnau, der heutige SCB-Captain Simon Moser war einer seiner Mitspieler, eine Verletzung beendete seine Karriere früh. Hebeisen kennt also auch die andere Seite, er sagt, als Spieler sei auch er nicht immer der Einfachste für die Refs gewesen. Das helfe ihm heute im Umgang mit reklamierenden Spielern: «Sie kritisieren ja nicht den Menschen Micha Hebeisen, sondern den Schiedsrichter.»
Wenn es hilft, alles auszublenden
Es ist für Schiedsrichter ein Prozess, zu akzeptieren, dass ihre Leidenschaft bei kaum jemandem Begeisterung hervorruft, obwohl sie diese in einem emotionalen Umfeld mit vielen gefeierten Helden ausüben. «Gerade für junge Refs ist das nicht einfach», sagt Hebeisen. Auch er habe lernen müssen, negative Schlagzeilen auszublenden. Ein Erlebnis während seines ersten Playoffs auf höchster Stufe habe ihm als Lehre gedient: «Da fiel ich fast in eine Krise. Seither lebe ich während des Playoffs nur noch in meiner eigenen Welt, konsumiere keine Medien. Das hat mir geholfen.»
Warum wird man Schiedsrichter? Hebeisen fand den Zugang zu den Unparteiischen früh, wenn er neben seiner Spielerkarriere auch als Punktrichter amtierte. Dennoch habe er als 16-Jähriger nie gedacht, einst Referee zu werden. Zu seiner Feuertaufe kam er, als für ein Spiel, in dem er als Punktrichter vorgesehen war, ein Schiedsrichter fehlte und er sich überreden liess, einzuspringen. Es war schwieriger als erwartet, erinnert sich Hebeisen: «Ich merkte, wie wenig Ahnung ich von den Regeln hatte.»
Das Interesse war dennoch geweckt, er besuchte die nötigen Kurse, bis er Spiele in den Nachwuchsligen sowie im Breitensport auf tiefsten Stufen leiten konnte. Es sind keine vergleichbaren Zustände, wie er sie heute als Profi in der National League oder bei internationalen Einsätzen in der Champions League erlebt. Die Partien werden damals nicht im 4-Mann-System mit je zwei Head-Schiedsrichtern und Linienrichtern arbitriert, sondern bloss zu zweit: Beide sind für alles zuständig, für das Ahnden von Offsides, Icings, Fouls. Die höchste Stufe mit dem 2-Mann-System ist die 2. Liga, wo sich teilweise auch ehemalige Profispieler tummeln und somit Niveau und Tempo ansprechend sind: «2.-Liga-Spiele im 2-Mann-System ist etwas vom Herausforderndsten, das es gibt», sagt Hebeisen.
Seine «Horrorerlebnisse», von denen wohl jeder Schiedsrichter berichten kann, hat Hebeisen entsprechend auf tieferem Niveau erlebt. Zum Beispiel, als sich bei einem U-17-Spiel Eltern der Spieler zu prügeln begannen, sich auch mit den Akteuren auf dem Eis anlegen wollten und der Abgang für Hebeisen und seine Kollegen nach dem Spiel nur mithilfe von Sicherheitsleuten möglich war. Oder sein erster internationaler Einsatz in Bulgarien bei einem Spiel zweier rivalisierender Teams aus Sofia und Istanbul, die die ganze Partie für die Begleichung alter Rechnungen missbrauchten und wo Hebeisen am Ende 256 Strafminuten aussprechen musste. «Nach diesen Spielen fragte ich mich schon: Warum mache ich das?»
Und dennoch waren für Hebeisen solche Episoden auch hilfreiche Erfahrungen und überwogen am Ende für ihn immer die positiven Aspekte. Denn auch wenn es für einen Schiedsrichter keine Siege oder Titel zu feiern gibt: Es gebe sie auch immer wieder, die guten Momente. Zum Beispiel wenn die Analyse eines Spiels ergibt, dass nur wenige Fehler unterliefen und die meisten kniffligen Situationen korrekt beurteilt wurden.
Hebeisen spricht bewusst nicht von der fehlerfreien Partie. Weil das Spiel immer schneller wird, ist dies kaum noch möglich, zudem können durch immer bessere TV-Bilder selbst kleinste Fehlentscheide entlarvt werden. Die Bilder stehen den Refs in vielen strittigen Fällen für die Nachbetrachtung zwar zur Verfügung. Doch genau diese immer besseren technischen Hilfsmittel haben nicht dafür gesorgt, dass die Schiedsrichter und ihre Entscheidungen seltener Gegenstand von Diskussionen wurden. Im Gegenteil.
«Sollte mir einst ein fehlerfreies Spiel gelingen, höre ich auf.»
Nicht dass Hebeisen auf diese verzichten würde. Natürlich ist er dankbar, dass klare Fehlentscheide auf dem Eis dank Videobildern sofort korrigiert werden können. Er hätte auch nichts gegen die Einführung eines in der NHL oder in Schweden und Finnland bereits existierenden «Situation Rooms», also einer Einrichtung vergleichbar mit dem VAR im Fussball. Dort würden alle Spiele auf Bildschirmen verfolgt und die Aufgabe des Video-Reviews nach auf dem Eis möglicherweise falschen Entscheiden dem Schiedsrichter abgenommen: «Das nimmt dir als Schiedsrichter ein wenig den Druck, gerade in Extremsituationen wie einem siebten Finalspiel.»
Doch weil eben immer mehr Fehler entdeckt werden können, wird der Wunsch nach noch besserer Infrastruktur mit noch schärferen Bildern seitens der Spieler, Trainer, aber auch Fans immer grösser. Derzeit steht zum Beispiel die Einführung von Kameras auf der blauen Linie für bessere Reviews von Offside-Entscheiden im Fokus. Dass ein fehlerfreies Spiel für Schiedsrichter aber dennoch eine Utopie bleibt, ist Hebeisen bewusst, darum darf er scherzen, ohne dabei wirklich den Rücktritt riskieren zu müssen: «Sollte mir dereinst ein fehlerfreies Spiel gelingen, höre ich auf.»
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