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Meinung

Gastkommentar zur Covid-19-Politik
Corona legt die Schwächen von Autokraten offen

Trotz «Volksquarantäne»: Die Opposition gegen Staatschef Alexander Lukaschenko  drängt zu Tausenden auf die Strassen, um zu demonstrieren. Hier am 31. Mai 2020 in Minsk.
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Chinas rigoroses und letztlich erfolgreiches Vorgehen gegen die Ausbreitung des Coronavirus blendet aus, dass autokratische Systeme grundsätzliche Schwächen im Umgang mit Pandemien zeigen. Dies gilt besonders für Regimes, die auf eine starke Führungsperson ausgerichtet sind – wie in Weissrussland.

Belarus, wie der ex-sowjetische Staat auch genannt wird, ist Europas autoritärstes Land. Statt um die Gesundheit ihrer Bürger sorgen sich politische Eliten vornehmlich um ihr Selbstbild, die Wirtschaft – und letztlich die eigene Macht.

Obschon Wahlen in Weissrussland seit dem Antritt von Präsident Alexander Lukaschenko 1994 eine Farce sind, hat seine Politik in der Bevölkerung meist Zustimmung gefunden. Sie bewahrte die Unabhängigkeit des Landes – trotz oder gerade dank eines Bündnisses mit Russland – und einen umfassenden und funktionierenden Sozialstaat.

Der Umgang mit der Corona-Pandemie misslang dem Präsidenten gründlich.

Der Umgang mit der Corona-Pandemie misslang dem Präsidenten jedoch gründlich. Erst kritisierte er Nachbarländer für ihre Überreaktion und schlug obskure Kuren wie Wodkakonsum oder Traktorfahren vor. Mittlerweile zählt Weissrussland über 40’000 Infizierte und ist damit in Osteuropa verhältnismässig am stärksten betroffen. Dennoch bleiben das öffentliche und das wirtschaftliche Leben kaum eingeschränkt. Das ist eine gefährliche Wette auf einen milden Verlauf der Pandemie.

Vielen auf eine starke Führungsperson ausgerichteten Ländern behagt es nicht, sich einem Virus zu beugen, das sich ihrer ansonsten üblichen Kontrolle entzieht. Sie versuchen stattdessen, ein Bild der Stärke und der Normalität zu erhalten. Deshalb leugnen Lukaschenko oder Brasiliens Präsident Bolsonaro die Gefahr oder delegiert Putin unbeliebte Massnahmen an die Regionen.

Noch im Mai führte Weissrussland Siegesparaden zum Zweiten Weltkrieg durch, mit Tausenden Beteiligten. Auch die Angst vor einer wirtschaftlichen Krise ist grösser als vor der Pandemie. Ein Wirtschaftseinbruch käme einem Bruch mit dem impliziten Gesellschaftsvertrag für Vollbeschäftigung und Stabilität gleich. Gerade wegen des hohen Grades an staatlicher Kontrolle ist die weissrussische Wirtschaft ineffizient, ungenügend diversifiziert und fragil.

Im Unterschied zu Schweden, das auch eine Politik lockerer Massnahmen verfolgt, kann eine autoritäre Regierung wie die weissrussische zudem nicht an die Eigenverantwortung der Bevölkerung appellieren. Eine solche Mündigkeit spricht ihr Lukaschenko mit seiner oft paternalistischen Politik ab.

Die Weissrussen üben sich in «Volksquarantäne».

Er hat sich dabei aber verkalkuliert. Zwar sind Eliten und staatlich kontrollierte Medien loyal und nicken die Regierungspolitik ab. Viele Weissrussinnen und Weissrussen sind hingegen gut informiert, misstrauen den verdächtig tiefen offiziellen Todeszahlen und wünschen sich drastischere Einschränkungen. Sie üben sich in einer «Volksquarantäne», indem sie Veranstaltungen oder Gaststätten meiden und sich solidarisch mit Beschäftigten im Gesundheitswesen zeigen.

Wahlen waren in Weissrussland bisher meist eine Farce: Alexander Lukaschenko, Langzeitpräsident seit 1994, in einem Wahllokal.

Dies bleibt nicht ohne politische Konsequenzen. Tausende machen in diesen Wochen eine Ausnahme von der selbst auferlegten Quarantäne: Sie protestieren in grossen Städten gegen die Regierungspolitik und geben ihre Unterschrift für Gegenkandidaten in der Präsidentschaftswahl im August ab.

Die weissrussische Bevölkerung legt damit eine jahrzehntelange politische Passivität teilweise ab. Hinter Schutzmasken scheint die Angst vor dem Geheimdienst KGB zu schwinden. In Russland mit seinem ähnlichen politischen System sinken indes in Umfragen die Zustimmungswerte für Putin.

Die Pandemie erodiert das politische Systemdes starken und unfehlbaren Präsidenten.

In Weissrussland und ein Stück weit auch in Russland erodiert die Pandemie so das politische System des starken und unfehlbaren Präsidenten. Dass Lukaschenko reflexartig den Austausch des gesamten Kabinetts angekündigt hat, wird wenige Bürger überzeugen. Die Unzufriedenheit und die unübliche Eigenverantwortung in Weissrussland angesichts der Pandemie dürften sich in zunehmende Proteste und politische Opposition ummünzen.