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Abschlussbericht zu Corona-Leaks
200 Indiskretionen, eine heisse Spur – und keine Täter

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Dieses Mal, wenigstens dieses eine Mal, sollte alles bis zum Schluss geheim bleiben. Verständlich bei einer Untersuchung zu Informationslecks im Bundeshaus.

Eine Arbeitsgruppe der Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) sollte herausfinden, wer hinter den häufigen Indiskretionen zu Corona-Massnahmen steckte. Deshalb trafen ihre sechs Mitglieder aus National- und Ständerat für sich selbst strenge Sicherheitsmassnahmen: Zu ihren Sitzungen durfte niemand elektronische Geräte mitnehmen. Unterlagen wurden, wenn überhaupt, nummeriert abgegeben.

Trotz allen Massnahmen, trotz aller Geheimhaltung – Informationen sickerten durch. Immerhin gelang es der Arbeitsgruppe, ihren Untersuchungsbericht einigermassen unter Verschluss zu halten. Und nun zu publizieren.

Bundespraesident Guy Parmelin, 2. von rechts, und Bundesrat Alain Berset, links, sowie Peter Lauener, 2. von links, und Christian Favre, rechts, von der Kommunikation EDI, erscheinen an einer Medienkonferenz zu Covid 19 Massnahmen, am Mittwoch, 12. Mai 2021, in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)

Und so konnten am Freitag Spitzen von GPK und Arbeitsgruppe in Bern vor die Kameras treten und ihre Erkenntnisse präsentieren. Sie zeichneten ein düsteres Bild vom Bundesrat während der Pandemie. SVP-Nationalrat Thomas de Courten sagte, 37 der untersuchten Bundesratssitzungen seien durch Indiskretionen «kontaminiert» gewesen. Die dauernden Indiskretionen hätten zu einem «Vertrauensverlust» innerhalb des Gremiums geführt. Niemand habe etwas dagegen unternommen.

Ein Leck löste alles aus

Was für Verwaltung und Politik Lecks sind, sind für Medien und ihr Publikum Enthüllungen. Eine solche Enthüllung – beziehungsweise die darauf folgende Empörung – hatte Anfang Jahr zur Gründung der Leck-Arbeitsgruppe geführt: Die «Schweiz am Wochenende» hatte einen intensiven Mail-Austausch publik gemacht zwischen Peter Lauener, dem langjährigen Medienchef von Gesundheitsminister Alain Berset, und Marc Walder, dem Geschäftsführer des Ringier-Verlags.

Der damals zuständige Sonderermittler Peter Marti liess Lauener deswegen sogar verhaften. Der bis heute bestrittene Verdacht: Amtsgeheimnisverletzung. Marti musste Lauener aber bald wieder laufen lassen, da Gerichte keinen dringenden Tatverdacht gegeben sahen.

Die sechs Parlamentarierinnen und Parlamentarier von SP bis SVP machten sich an die Arbeit. Sie liessen Lauener und alle in der Corona-Zeit aktiven Bundesrätinnen und Bundesräte zu Anhörungen antraben, Berset sogar zweimal. Marc Walder lehnte eine Befragung ab. Der Ringier-Geschäftsführer berief sich auf den journalistischen Quellenschutz.

Vor allem in «Blick» und Tamedia

Das Kontrollgremium arbeitete, unterstützt von der Parlamentsbibliothek, einen riesigen Aktenberg ab: Es untersuchte, zu welchen Covid-Bundesratsgeschäften Medienberichte mit klassifizierten Angaben erschienen waren. Allein in den ersten eineinhalb Pandemiejahren waren in der Schweiz über eine halbe Million Artikel mit Corona-Bezug publiziert worden.

Das Ergebnis der Fleissarbeit: Rund 200 Artikel enthielten Informationen, die «mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit» auf Indiskretionen zu Bundesratsgeschäften zurückzuführen waren. Etwa 60 dieser Enthüllungen erschienen in «Blick» oder «SonntagsBlick» (Ringier-Verlag), ebenso viele bei Tamedia, die auch diese Zeitung herausgibt. Der Rest verteilte sich auf andere Titel.

Oft waren die Informationen zuvor vom Bund für Konsultationen breit gestreut worden, zum Beispiel an alle Kantone und Wirtschaftsverbände. Manchmal umfasste der Kreis der Mitwissenden wenige Personen. Dies war etwa bei Anträgen von Departementen der Fall, die trotzdem nicht selten bereits am Vorabend der Bundesratssitzungen online zu lesen waren.

Die Arbeitsgruppe mutmasst, gestützt auf ihre Befragungen, dass ein Teil dieser Indiskretionen das «federführende Departement stärken» sollten – dies war meist jenes von Gesundheitsminister Berset. Ein anderer Teil habe aber auch geholfen, Minderheitspositionen – zum Beispiel Widerstand von SVP-Bundesräten – publik zu machen.

Viele Mails nicht angefordert

Nun begann das schwierigere, aber entscheidendere Unterfangen: Die Arbeitsgruppe sollte Belege für ihre Thesen liefern. Dafür wertete sie E-Mails aus – allerdings sehr eingeschränkt: nur die geschäftlichen Mails Laueners und den Austausch Bersets mit Lauener und mit Walder.

Dabei war der Auftrag, den die GPK gegeben hatten, nicht aufs Departement Berset beschränkt. Die Arbeitsgruppe sollte ganz allgemein Indiskretionen in der Covid-Zeit untersuchen und herausfinden, wer diese begangen hatte. Doch aus anderen Departementen lud sie, abgesehen vom Gesamtbundesrat, niemanden vor. Weitere Mails wurden nicht durchforstet – obschon viele der vorzeitig publik gewordenen Informationen Gesundheitsminister Berset offensichtlich nichts genützt oder ihm sogar geschadet hatten. Die Arbeitsgruppe rechtfertigt die Beschränkung damit, dass man dort genauer hingeschaut habe, wo es bereits Hinweise gab.

Die parlamentarischen Kontrolleurinnen und Kontrolleure versäumten es, die private Mailbox Laueners rechtzeitig einzuholen – obschon seit Januar 2023 bekannt war, dass er sich auch über sein Bluewin-Konto mit Marc Walder ausgetauscht hatte. Erst im Sommer forderte die Arbeitsgruppe diese E-Mails beim Provider an. Die Arbeitsgruppe sagt, sie habe zuerst ein Gutachten einholen müssen. Und so kam sie zu spät: Lauener hatte den Account ein paar Wochen zuvor gekündigt.

Was wie ein Vertuschungsversuch wirkte, dürfte keiner gewesen sein: Einerseits wäre er reichlich verzögert erfolgt, rund zwei Monate nach Laueners GPK-Anhörung; andererseits war die gesamte Mailbox längst von der Strafverfolgung sichergestellt und ausgewertet worden. Über die Justiz hätte die Arbeitsgruppe gemäss dem Gutachten «auch aus dem Strafverfahren» auf die Bluewin-Mails zugreifen dürfen.

«Viele und häufig direkte Kontakte»

So könnten die GPK nun in ihrem Abschlussbericht nur bestätigen, was seit Anfang Jahr ohnehin bekannt ist: Lauener hatte «viele und häufig direkte Kontakte» zu Walder, wobei der Kommunikationschef mehrfach auf Vertraulichkeit pochte. Im Austausch ging es beispielsweise um eher allgemeine Einschätzungen zu Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat, und es flossen «oft Informationen zu anstehenden Entscheiden des Bundesrates», zum Beispiel Entwürfe von Medienmitteilungen. Gemäss der Bundeskanzlei und der Arbeitsgruppe sind solche Unterlagen klassifiziert und dürfen vor Publikation nicht mit Aussenstehenden geteilt werden – oder höchstens mit einer Sperrfrist für Medien.

Ein Mitarbeiter aus Bersets Generalsekretariat sprach in seiner Anhörung von einem «Graubereich», da man Covid-Massnahmen mit Stakeholdern habe absprechen müssen, um die Krise so gut wie möglich zu bewältigen. Auch bei weniger dringlichen Geschäften informieren Departemente Parteien oder Wirtschaftsorganisationen oft mit Verweis auf Vertraulichkeit vorab.

Bundesrat Alain Berset diskutiert mit seinem Kommunikationschef Peter Lauener, nachdem er ueber die neuen Massnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus informiert hat, am Freitag, 28. Februar 2020 in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)

Lauener machte gemäss Untersuchungsbericht geltend, die Corona-Krise habe «eine aktive Information notwendig gemacht»: Seine Aufgabe sei es gewesen, «den Boden für die Akzeptanz des Mittelwegs» zu bereiten, den die Schweiz bei der Bewältigung der Pandemie gewählt habe. Die Arbeitsgruppe bezeichnet diese Haltung als «nicht nachvollziehbar».

Berset stuft gemäss Untersuchungsbericht einige E-Mails Laueners an Walder «als unangebracht» ein. Man könne daraus aber nicht auf Indiskretionen aus seinem Departement schliessen. Die Auswertung von Bersets E-Mails ergab keine Hinweise darauf, dass der Gesundheitsminister Kenntnis hatte vom konkreten Inhalt des Austausches zwischen seinem Kommunikationschef und Walder. «Nur beschränkt nachvollziehbar» ist für die GPK, dass Berset im Wissen um die Kontakte und die zahlreichen Indiskretionen keine spezifischen Massnahmen in seinem Departement ergriff.

Der SP-Bundesrat sagte in einer Befragung, er betrachte Vorabinfos Laueners an Walder «eher als Kontaktpflege» – nicht in der Absicht, dass sie an die Redaktion weiterflössen. Dorthin scheinen sie auch nicht gelangt zu sein: Jedenfalls ergab die aufwendige Medienanalyse der Arbeitsgruppe keine Hinweise darauf, dass die von Lauener an Walder gelieferten Informationen vorzeitig im «Blick» oder anderen Ringier-Titeln erschienen wären. Für Lauener, der heute beruflich selbstständig ist, ist die Untersuchung entlastend: Von den 200 in den Medien identifizierten Indiskretionen konnte die Arbeitsgruppe ihm keine einzige zuweisen.

«Wir sollten das leaken.»

Aus einem E-Mail aus Bersets Generalsekretariat

Berset erklärte, er selbst sei «immer wieder einmal» in Kontakt mit Walder gestanden. Eine besondere Nähe oder gar Freundschaft habe aber nicht bestanden. Der Ringier-Geschäftsführer habe sich während der Pandemie immer wieder mit Ideen an Bersets Departement gewandt, beispielsweise zur Unterstützung der Impfkampagne oder beim Covid-Zertifikat. Auch zu anderen Bundesräten hat Walder gemäss GPK Kontakt gesucht. Dem ging die Arbeitsgruppe nicht vertieft nach.

Sie stiess auf ein einziges verfängliches Covid-E-Mail. Darin ging es um eine anstehende Anpassung einer Verordnung über den internationalen Personenverkehr. Ein anderer Mitarbeiter aus Bersets Generalsekretariat, dessen Name im Untersuchungsbericht nicht genannt wird, schrieb an Lauener: «Wir sollten das leaken.»

Ob und allenfalls wie Lauener darauf reagierte, ist nicht bekannt. In den ausgewerteten Geschäftsmails fand sich keine Reaktion.

Ein Artikel «mit der fraglichen Information» sei erschienen, wie die Arbeitsgruppe schreibt. Sie nennt aber das Medium nicht. Zu ihren spärlichen Angaben passt ein «Blick»-Bericht mit dem Titel «Portugal und Polen fliegen von der Corona-Quarantäneliste». Er erschien online drei Tage nach dem «Wir sollten das leaken»-Mail – und einen Tag bevor die entsprechende Anpassung offiziell kommuniziert wurde.

Ärger über Leck

Die Arbeitsgruppe hält fest, dass es sich dabei nicht um einen klassifizierten Bundesratsbeschluss, sondern um ein Geschäft in der Kompetenz des Gesundheitsdepartements gehandelt habe. Und dass es keine Hinweise gebe, dass diese Information von Lauener oder einem anderen Mitarbeiter Bersets weitergegeben worden sei.

Überhaupt liess sich in der Untersuchung kein einziger Beweis finden für die Weitergabe von Informationen, die zu Medienenthüllungen geführt hätten.

Im Sommer gab es Ärger in der Leck-Arbeitsgruppe, als der «Blick» vorab über ihre Erkenntnisse wie etwa das «Wir sollten das leaken»-Mail berichtete – nicht detailliert zwar, aber zutreffend. «Bedauerlicherweise», heisst es nun im Untersuchungsbericht, sei es auch bei ihnen, trotz all den Massnahmen, «mutmasslich zu einzelnen Indiskretionen gekommen». Man habe Strafanzeige erstattet.