Fotoblog: Cindy ShermanFrankenstein auf Fotopapier
Fratzen und Grimassen: Die US-Fotografin Cindy Sherman zeigt in ihrer neusten Arbeit grotesk verunstaltete Gesichter.

Die Sujets auf Cindy Shermans Porträts sind eher Fratzen als Gesichter: Sie haben verzogene Konturen, schräge Münder, schiefe Nasen – und Augen, die in unterschiedliche Richtungen blicken. Die amerikanische Fotografin hat sie zusammengesetzt wie Doktor Frankenstein einst sein Monster.
Monströs wirken die Frauengesichter denn auch: mit der dicken Schminke, den aufgemalten Augenbrauen, dem übertriebenen Rouge, den Lippenstiftresten auf den Zähnen. Gewisse Partien auf den Schwarzweissbildern sind mit pointierten Farb-Momenten hervorgehoben.

Die Collagen hat Sherman aus Aufnahmen ihres eigenen Gesichts erstellt. Es ist ein Prozess von Dekonstruktion und Rekonstruktion, und das Resultat erinnert an die grotesken Gesichter schönheitsoperierter älterer Frauen. Auch mit Kostümen wie einer Leopardenprint-Kapuze verweist Sherman auf den Look einer abgetakelten High Society.

Die 70-jährige New Yorkerin ist eine Expertin, was die Porträtfotografie angeht, genauer: das Selbstporträt. Seit Jahrzehnten ist sie ihr eigenes bevorzugtes Modell. Ihr Äusseres pflegt Sherman durch Masken, Make-up oder Kostüme unkenntlich zu machen. Damit drückt sie die Konstruiertheit von Identität aus, interpretiert Persönlichkeit als Resultat eines Spiels von Zeigen und Verbergen.

Dafür bedient sich Sherman in ihrer neusten Serie der digitalen Bildbearbeitung. Statt aber das Reale zu verschönern, verzerrt sie die Proportionen, ähnlich wie das manchmal bei Bildern aus dem Digitalhirn einer künstlichen Intelligenz passiert. Die Fratze als Rechenfehler? Womöglich hat Sherman auch an missglückte Promifotos gedacht. Sicher aber karikiert sie den nach wie vor herrschenden Zwang, sich als Frau möglichst schön, sexy und vorteilhaft zu präsentieren – und dreht ihm eine lange Nase.
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