Chile und BolivienAllein auf dem grössten Salzsee der Welt
Unser Autor ist auf über 4000 Metern durch einige der beeindruckendsten Landschaften der Erde gereist: die Atacama-Wüste und den Salar de Uyuni. Manchmal stiess er dabei an seine Grenzen.
Calama im Norden Chiles ist keine schöne Stadt. Dort, wo die Flieger mit den Touristen landen, zeigt sich, wie es aussieht, wenn die Natur nutzbar gemacht wird: Solarparks und Windfarmen überziehen die Erde, und gleich neben der Stadt liegt Chuquicamata, eine der grössten Kupferminen der Welt. Ihre Spuren sind kilometerweit zu sehen.
Der Boden gleicht einer Mondlandschaft, aufgewirbelt von den Rädern der schweren Lastwagen, die sich ihren Weg überall hindurchbahnen. Auch schauen aus der Erde immer wieder Rohre heraus, mit denen ganze Wasserläufe zu den Minen geführt werden.
Sowieso wollen die Besucher aber meist direkt ins eineinhalb Autostunden entfernte San Pedro de Atacama: Ein quirliger Ort auf fast 3200 Metern, umgeben von Vulkanen, voller Restaurants, Bars und Outdoor-Geschäfte und mit einer schönen Kolonialkirche im Zentrum. Von hier lässt sich jeden Tag ein anderer Aspekt dieser faszinierenden Region erkunden, je nach Kondition des Reisenden bis in Höhen von über 5000 Metern.
Noch ein wichtiger Tipp im Voraus: Wen es nach einem Tagesausflug nach einem der schmackhaften chilenischen Biere im Städtchen gelüstet – die durch Einwanderer stark von der deutschen Braukultur beeinflusst sind –, sollte immer seine ID dabeihaben. Es ist nämlich vorgeschrieben, dass jeder vor der ersten Bestellung einen Ausweis zeigen muss, egal, ob 20 oder 60 Jahre alt.
Thermalbecken mitten in der Wüste
Ich entscheide mich für zwei Ausflüge. Der erste führt mich zu den sogenannten Termas de Puritama auf 3500 Metern. Ein Wanderpfad schlängelt sich hier mehrere Kilometer durch einen Canyon. In dessen Mitte befindet sich eine überraschend üppige Grünfläche mit hohen Gräsern mitten in der trockensten Wüste der Welt; genährt wird die Vegetation durch einen Flusslauf, der einer heissen Quelle entspringt. Die Höhe ist hier gut verträglich, einfach regelmässig trinken sollte man.
Auf dem Weg begegnet man immer wieder der Pflanze Rica-Rica (was übersetzt reich heisst; das Wort wird auch verwendet, um auszudrücken, dass etwas gut schmeckt). Die Pflanze versprüht einen wohltuenden frischen Geruch und wird gerne für Tee genutzt, aber auch als Beigabe zum beliebten Cocktail Pisco Sour, der dann zum Pisco Sour Rica-Rica wird.
Das Highlight des Canyons ist aber ein anderes: eine Art Naturtherme, acht Becken, die den Flusslauf durchbrechen. Das Wasser ist angenehm lauwarm und ermöglicht es den Besuchern, mitten in der atemberaubenden Natur zu planschen. Das hinterste Becken ist exklusiv unserer kleinen Ausflugsgruppe vorbehalten, samt Umkleidekabine und vorbereitetem «Wüstenpicknick». Fast etwas viel Luxus, hier draussen im Niemandsland.
Der zweite Ausflug führt mich zum Schauplatz Hierbas Buenas: Felsformationen in der Wüste, an denen Jäger über die Jahrhunderte hinweg gerastet und Felsmalereien hinterlassen haben. Meist von Lamas oder von Füchsen, aber es hat auch manches rätselhafte Bild darunter, wie jenes eines Affen, der in diesen Breiten bekanntlich nicht vorkommt.
Nach der Erkundung dieser Region geht es für mich weiter in die Höhe, in Richtung des Nachbarlands Bolivien. Wobei Bolivianer sagen würden, man sei schon längst da. Es ist einer der vielen, ewig schwelenden Grenzkonflikte in Südamerika. 1878 führte der bolivianische Präsident Hilarión Daza eine Exportsteuer für chilenische Unternehmen ein, die in der Region Salpeter abbauten. Damit verstiess er aus Sicht Chiles gegen einen Grenzvertrag. Im daraus entbrannten Salpeterkrieg eroberte Chile die Landfläche zwischen Pazifik, Atacamawüste und Anden. Bolivien verlor seinen Meerzugang und damit wirtschaftliche Unabhängigkeit. Ein nationales Trauma, bis heute.
In vier Tagen zur grössten Salzwüste der Welt
Das erklärt, wieso nachts regelmässig Kolonnen von unregistrierten Autos, sogenannten Chutos, von Schmugglern durch die Berge nach Bolivien gebracht werden. Es ist ein florierendes Geschäft. Gestohlen werden sie in chilenischen Städten in Grenznähe. Es gibt manches bolivianische Dorf am grossen Salzsee von Uyuni, berichten Ortskundige, in dem nicht ein Auto legal erworben sei.
Doch zurück zur Reise: Die Grenze zu Bolivien liegt nur gut eine Fahrstunde von San Pedro de Atacama entfernt, auch nach Argentinien ist es von hier aus nicht weit. Hier in den Anden, auf 4500 Metern, wird die Umgebung deutlich rauer. Es geht ein frischer Wind, asphaltierte Strassen werden durch Schotterpisten abgelöst, und die einzigen Geschöpfe, die man sieht, sind ein paar Lamas und Flamingos in der Lagune.
Zwischen der Grenze und dem Salar de Uyuni warten auf meiner mehrtägigen Reise drei der wohl spektakulärsten Unterkünfte der Welt, die letzte auf einer Anhöhe gleich über dem Salzsee. Es sind Lodges, bestehend aus Containern mit Aufenthalts- und Schlafeinheiten und Panoramafenstern, die mitten ins Niemandsland auf über 4000 Metern gestellt wurden. Die Lodges sind exklusiv Teil der mehrtägigen «Explora Travesía», bei der man mit privater Guide-Betreuung und allen Annehmlichkeiten von Chile zum grossen Salzsee reist (siehe Box).
Zigaretten für die Göttin
Betreut werden alle drei Unterkünfte von Einheimischen. Sie servieren am Abend auch die ausgefallenen Menüs, die wie alle Gerichte auf der Tour vom peruanischen Spitzenkoch Virgilio Martínez kreiert wurden. In der Nacht bietet sich jeweils ein traumhafter Blick in den Sternenhimmel, der Hobby-Astronomen ins Schwärmen bringt.
Auch tagsüber gibt es einiges zu entdecken: Rote und blaue Lagunen (Laguna Colorado) und brodelnde Löcher, aus denen gelbliche, gehörig nach faulen Eiern stinkende Schwefeldämpfe aufsteigen (Sol de Mañana). Und immer wieder stösst man auf Pacha Mama, die Allmächtige Göttin, welche die Einheimischen hier so verehren. Etwa, wenn die Guides am Aussichtspunkt auf den mächtigen Vulkan Cocablätter in die Luft werfen, um ihr Respekt zu zollen. Oder wenn am Eingang des Cuevo del Diablo, einer Höhle, in der einst die mumifizierten Toten der Andenbewohner lagen, von Besuchern an einem kleinen Schrein Zigaretten und anderes dargeboten wird, um die Göttin milde zu stimmen und böse Geister zu vertreiben.
Es ist eine Landschaft, die einen zwingt, sich der eigenen Grenzen bewusst zu werden. Wie etwa am dritten Tag meiner Reise, als ich mich entscheide, gemeinsam mit meinem Guide Andrea – eine 35-jährige, erfahrene Reiseleiterin aus der Grossstadt Santa Cruz im Süden des Landes – auf 4800 Metern eine fünfstündige Wanderung durch einen Canyon zu machen. Ich will meinen inneren Schweinehund besiegen.
Jeder Schritt fühlt sich auf dieser Höhe wie drei an, und bei jedem Atemzug kommt das Gefühl auf, dass man nicht genügend Luft eingeatmet hat. Irgendwann schmerzt mein Kopf, als würde er gleich bersten. Als ich später in einem Campingstuhl fünf Minuten von einer Sauerstoffflasche inhaliere, um meinen Körper wieder zu beruhigen, realisiere ich, dass ich der typischen touristischen Selbstüberschätzung zum Opfer gefallen bin, wonach man denkt, man sei an jedem Ort auf der Welt einfach zu allem fähig – und immer stärker als die Natur.
Auch hier in den Bergen hat der Konflikt zwischen Chile und Bolivien Spuren hinterlassen. Das einzige Dorf, durch das man auf der Reise kommt, hiess vor dem Krieg San Pedro de Buenavista, also «San Pedro mit der schönen Aussicht». Heute heisst es San Pedro de Quemes, «das verbrannte San Pedro». Im Tal steht nun das neue Dorf, die gut erhaltenen Ruinen am Berg zeugen davon, wie weit die chilenischen Soldaten im Salpeterkrieg gekommen sind.
Doch das wohlhabendere Chile ist in Bolivien auch Sehnsuchtsland. Immer wieder liest man an Hauswänden das Wort Chile, auch hier in San Pedro: Die ehemaligen Bewohner haben es auf ihre Behausungen geschrieben, um zu signalisieren, dass sie ausgewandert sind, um im Nachbarland ihr Glück zu finden.
Weiter gehts auf unserer Reise. In einer kleinen Raststätte am Strassenrand bietet eine Frau Lama-Chorizo an. Die bekannte Paprikawurst, aber aus Lama-Fleisch. Da greife ich gerne zu. Und dann heisst es auch schon: Augen verbinden, um geniessen zu können, was gleich kommt. Denn als Andrea mir die Binde abnimmt, glaube ich, auf einem anderen Planeten zu sein. Ich stehe mitten auf dem Salar de Uyuni, der grössten Salzpfanne der Welt. Ihre Fläche ist fast so gross wie ein Viertel der Schweiz.
Die Gier nach dem neuen Gold
Ein endloses Weiss, aus dem immer wieder Inseln voller Kakteen herausragen. Es wirkt, als würden die Inseln schweben, erinnert doch die Salzfläche in der Distanz mehr an ein Wolkenmeer. Auf dem Salar herrscht so etwas wie grenzenlose Freiheit. Man schwingt sich auf ein Velo – und kann einfach in jede Richtung fahren, ohne Einschränkung. Manchmal ist am Horizont ein Bus sichtbar, der langsam Touristen und Einheimische von der einen Seite der Salzfläche zur anderen bringt. Hat es geregnet, spiegeln sich die umliegenden Berge auf der Salzfläche.
Doch diese Schönheit ist bedroht. Denn unter dem Salzsee befindet sich das weltweit grösste Einzelvorkommen von Lithium. Jenem Rohstoff, der für die Produktion von Elektroautos unerlässlich ist. Ursprünglich sollte dieses mit einem deutschen Unternehmen abgebaut werden – auf Augenhöhe. Doch dazu kam es nicht. Inzwischen hat ein chinesisches Konsortium den Zuschlag bekommen. Der Abbau soll in den nächsten Jahren starten. Die Angst ist gross, dass das nicht spurlos an der fragilen Natur vorbeigehen wird. Und ein Hauch der Minenstadt Calama bald auch durch die bolivianischen Anden weht.
Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde unterstützt von Travelhouse.
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