Im Winter nach ItalienIschia für dich allein
Heisse Quellen, Grün fürs Auge und relaxte Einheimische: warum sich ein Besuch der Insel vor Neapel in der Nebensaison lohnt.
Eins gleich vorweg. Und nicht wie sonst klein gedruckt bei den Anreiseinformationen: für die Fahrt von Neapel nach Ischia nicht das Schnellboot nehmen. Sondern unbedingt die Fähre. Die flotten, kleinen Tragflügelboote schaffen die Strecke von Neapel nach Ischia zwar in unter einer Stunde. Aber nur in den wenigsten kann man draussen sitzen. Auf den Autofähren dagegen gibt es ein grosses Freiluftdeck, und es stellt sich – okay, einigermassen trockene Witterung vorausgesetzt – mit dem Auslaufen im Hafen und dem Wind in den Haaren umgehend dieses wunderbare Reisegefühl ein, einfach fortgetragen zu werden, sich um nichts kümmern zu müssen, um keine Routenplanung, keinen Stau, keine Weichenstörung. Und stattdessen nur aufs Wasser schauen zu dürfen.
Die Fahrt geht hinaus aus dem Golf von Neapel, links der Blick auf den Vesuv, später auf die Silhouette von Capri. Procida erscheint am Horizont, dahinter wird Ischia sichtbar. Nach eineinhalb Stunden läuft die Fähre im kreisrunden Hafenbecken ein. Es fühlt sich an, als habe sie einen deutlich länger und weiter weggetragen.
Kein Wunder, sagen die Inselbewohner selbst voller Überzeugung: «Ischitaner sind keine Neapolitaner.» Und schieben als Beweis hinterher: «Bei uns muss man die Haustüren nicht absperren.» Und wo man gerade beim Abgrenzen ist: So wie auf Capri, nein, so sei es auf Ischia übrigens auch ganz und gar nicht. Die Heerscharen an Touristen, die wolle man gar nicht. Da verzichte man auch gern auf das bisschen mehr Glamour.
Entdecken lässt sich Ischia, die grösste – zehn Kilometer lange und sieben Kilometer breite – der Inseln im Golf von Neapel, besonders gut ausserhalb der Hauptsaison: Bei kühleren Aussentemperaturen ist es angenehm zum Wandern und Herumstreifen in den Inselorten, und natürlich entfaltet sich der Reiz der heissen Thermalquellen auch erst dann so richtig. Wenn der touristische Rummel, den es durchaus auch auf Ischia gibt, Platz macht für den Inselalltag, für einen Caffè hier, einen Schwatz dort. Was ohnehin die beste Methode ist, die Insel kennen zu lernen. Denn die Ischitaner erzählen gern davon, wo sie selbst es am schönsten finden.
Zugegeben, ab November wird es ruhiger als ruhig. Dann haben viele Hotels geschlossen, ebenso die öffentlichen Thermalbäder. Doch Unterkünfte lassen sich auch während des Winters finden, in Appartements oder Gästehäusern. Oder, etwas exklusiver, im Leuchtturm, der am westlichsten Punkt der Insel 170 Meter über dem Meer thront. Gerade mal vier Zimmer gibt es in dem weissen, kubusförmigen Gebäude, in dem früher der Leuchtturmwärter mit seiner Familie lebte. Heute wird das Leuchtfeuer automatisch gesteuert; alle 15 Sekunden wischt der helle Streifen über Meer und Fels.
Früher kam man zur Kur, heute zum Wellnessen
Ziemlich grün ist Ischia, nicht nur der vielen Kastanien und Steineichen wegen. Auch das Gestein changiert zwischen Grün und Braun. Oft ist es zu bizarren Formen erodiert. Wind und Wetter formen den weichen Tuff, der nichts anderes ist als gepresste Asche. Ischia ist vulkanischen Ursprungs, und das sieht man nicht nur, sondern man riecht es an schwefeligen Dampflöchern im Boden und spürt es im heissen Wasser der Thermalwasserquellen. Mehr als 100 davon gibt es, mit Temperaturen von bis zu 100 Grad Celsius und unterschiedlicher Mineralienzusammensetzung.
In der Traditionstherme Antiche Terme Belliazzi im Ort Casamicciola ist das Wasser, das dort aus dem Boden tritt, 72 Grad heiss. Daneben stehen offene Wannen für den Fango: Mit Thermalwasser versetzte Tonerde reift dort sechs Monate, in den Behandlungsräumen kann man sich die graubraune, warme Pampe auf schmerzende Gelenke und Muskeln schmieren lassen. Das Thermalwasser von Ischia gehöre zu den stärksten der Welt, sagt man, es enthält unter anderem Radon, Schwefel, Eisen und Lithium. Haut, Knochen und Atemwege könnten davon profitieren – auch wenn man noch gar keine Beschwerden hat. Früher kam man zur Kur nach Ischia, heute zum Wellnessen.
Viele Hotels haben eigene Quellen und meist gleich eine ganze Reihe von Pools mit Wasser unterschiedlicher Temperaturen. Ausserdem gibt es über die Insel verteilt mehrere öffentliche Thermalparks, die Poseidon-Gärten unweit des Dorfes Forio zum Beispiel, ziemlich spektakulär zwischen dem Meer und einer Tuffsteinfelswand gelegen. Mehr als 20 Schwimm- und Badebecken gibt es auf dem weitläufigen Gelände mit Zugang zum Strand, zwischen 28 und 40 Grad ist das Wasser warm. Vom heissesten Pool wechselt man ins 15 Grad kalte Abkühlbecken: Tief durchatmen, abtauchen, die knallgelbe Pflichtbadekappe lenkt hoffentlich vom schockgefrosteten Gesichtsausdruck ab.
Das heisse Wasser gibt es nicht nur in Becken gezähmt, sondern auch in freier Wildbahn. In der Sorgeto-Bucht im Süden blubbert die Quelle nah am Strand knapp unterhalb der Meeresoberfläche. Und eine Bucht weiter erwärmt am Maronti-Strand heisser Dampf den Sand. Dazwischen liegt der Ort Sant’Angelo, von den Ischitanern auch gern Sant’Angela genannt, weil die frühere deutsche Bundeskanzlerin dort jahrelang Urlaub machte. Das Dorf ist autofrei, vorgelagert ist eine Felseninsel, durchaus pittoresk, aber in der Nachsaison dann doch sehr ausgestorben.
Deutlich mehr los ist im Hauptort Ischia, sowohl in Ischia Porto rund um den Hafen als auch in Ischia Ponte, von wo aus man über eine Brücke das unbedingt sehenswerte Castello Aragonese erreicht: eine Burg im Meer, früher eine kleine Stadt mit einem Dutzend Kirchen und mehr als tausend Einwohnern. Auch heute noch ist die Anlage eine Welt für sich: Es gibt ein Hotel und ein Restaurant, einen Weinberg und einen Gemüsegarten. In den Sechzigerjahren war hier eine kleine Künstlerkolonie entstanden, Maler und Schriftsteller aus ganz Europa liessen sich nieder.
Auch Filmschaffende kamen in den Sechzigern und Siebzigern gern nach Ischia, zahlreiche Blockbuster wurden auf der Insel gedreht. Im Restaurant Il Focolare in Barano hängen verschiedene Plakate an der Wand. Aber vor allem lernt man dort noch etwas ganz anderes: So präsent das Meer rund um eine Insel auch sein mag: Ischitaner sind Landmenschen. Statt Fisch kommt Kaninchen auf den Tisch, im Tontopf geschmort mit Tomaten und Kräutern.
Aber einige Ischitaner zieht es dann doch auch hinaus aufs Meer. Die Gründer des Projekts Oceanomare Delphis, zum Beispiel. Die Non-Profit-Organisation erforscht das Leben der Meeressäuger in der Region. Neben verschiedenen Delfinarten sind auch Pott-, Finn- und Grindwale in den Gewässern um die Insel heimisch. Beobachtungsposten ist die Jean Gab, ein 1930 gebautes Segelschiff. Viele Insulaner wissen überhaupt nicht, dass es Wale in «ihren» Gewässern gibt. So hat es sich die Organisation zur Aufgabe gemacht, zu sensibilisieren. Der Bootsverkehr hat im Laufe der letzten Jahrzehnte sehr zugenommen, der Lärm stört die Tiere.
Jetzt, im Winter, ist es auch auf dem Meer ruhig, kaum ein Schiff ist zu sehen. Doch so schön es auf dem Wasser ist, zum Abschluss der Reise wünscht man sich dann noch einmal den Überblick über die Insel. Also hinauf auf den Monte Epomeo, mit 789 Metern der höchste Berg. Auf einem Wanderpfad geht es durch den Kastanienwald. Auch Wein wächst an den steilen Hängen, vorwiegend die inseltypische weisse Sorte Biancolella.
Oben liegt einem die Insel rundum zu Füssen, früher hielt man vom Gipfel aus Ausschau nach Piraten. Die Festlandküste ist in der Ferne zu erkennen, die Region um Pozzuoli machte jüngst Schlagzeilen, weil dort in den Phlegräischen Feldern, einem Supervulkan, immer wieder die Erde bebte. Aufgeregt deswegen wirken die Ischitaner nicht. Vielleicht, weil vulkanische Aktivität zur Geschichte der Insel gehört. Vielleicht aber auch, weil das Festland weit mehr als eine Schiffsreise weit entfernt scheint.
Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluggesellschaften und/oder Tourismusagenturen.
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