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Meinung

Cenk testet Lebensweisen
Mein Monat als Veganer

ONLINE TEASER
Portrait von Cenk Korkmaz, Autorenbild der neuen Kolumnistinnen.
02.02.2023
(URS JAUDAS/TAGES-ANZEIGER)

Die Entscheidung, einen veganen Lebensstil anzunehmen, ist oft tief in einer ethischen Überzeugung verwurzelt, die den Wunsch nach Umweltschutz und weniger  Tierleid einschliesst. Während meiner Reise in die Welt des Veganismus wurde ich jedoch mit einer Reihe von Paradoxen und unerwarteten Herausforderungen konfrontiert, die die Grenzen und Komplexitäten dieses Themas beleuchten. Fazit: Sich bewusst ernähren zu wollen, ist einfacher gesagt als getan.

Dabei hatte alles so gut begonnen. Das Internet ist voll von köstlichen Rezepten für vegane Gerichte, und ich fühlte mich fantastisch, als ich meine Einkaufsliste abarbeitete. Mein Einkaufswagen füllte sich mit allerlei Produkten, die frei von tierischen Erzeugnissen waren: Tofu, Seitan, Soja, Mandelmilch, Avocados. Doch während ich durch die Gänge schlenderte, war mir noch nicht bewusst, dass die wirklichen Herausforderungen und Erkenntnisse jenseits meiner Einkaufsliste liegen würden.

Denn die Freude über meine ersten veganen Gerichte hielt nicht sehr lange an. Parallel betrieb ich nämlich weiter Recherche. Dabei wurde mir klar, dass nicht alle Superfoods so tierfreundlich sind, wie sie es vorgeben. Der Anbau von Avocados zum Beispiel  ist anscheinend mit erheblichen Umweltproblemen verbunden. Die Produktion von einem Kilogramm Avocados verbraucht laut einer Wasser-Fussabdruck-Datenbank etwa 1981 Liter Wasser. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die lokalen Ökosysteme und die Tierwelt, die von diesen Ressourcen abhängig sind. Und die wollte ich ja eigentlich schonen. Diese Erkenntnis gab meinem Avocado-Toast einen faden Beigeschmack – und es war die erste und letzte Avocado in meinem Einkaufskorb.

Also begann ich, alle meine Einkäufe genauer zu durchleuchten. Dabei musste ich erkennen, dass viele Produkte eine ähnliche Schattenseite aufweisen. Sojabohnen führen zu umfangreichen Abholzungen, was wiederum den Verlust von Lebensräumen für zahlreiche Tierarten und sogar indigene Völker nach sich zieht. Das wars dann wohl mit Soja. Quinoa ist ähnlich problematisch. Die hohe Nachfrage auf dem globalen Markt lässt die Preise ins Unermessliche steigen, sodass sich die lokale Bevölkerung in Anbauländern ihre eigenen traditionellen Lebensmittel nicht mehr leisten kann. Sogar die Produktion von Mandeln hat eine schockierende Schattenseite. Zehntausende Bienenvölker, Millionen von Bienen, kommen dabei ums Leben.

Diese Beispiele lehrten mich die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung meiner Ernährungsentscheidungen. Und sie führten mir vor Augen, dass nachhaltige Praktiken über den blossen Verzicht auf tierische Produkte hinausgehen müssen.

Andererseits stolperte ich auf meiner veganen Reise auch über Geschichten von Bauernhöfen, für die das Tierwohl nicht nur ein Schlagwort ist, sondern gelebte Praxis. Es gibt sie, die Bauernhöfe, auf denen Tiere nicht als blosse Produktionsmittel gesehen werden, sondern als fühlende Wesen, die mit Respekt und Fürsorge behandelt werden. Höfe, auf denen Kälber und Lämmer bei ihren Müttern bleiben dürfen und nur die überschüssige Milch genutzt wird. Wo Tiere nicht zwangsbefruchtet werden, sondern wo die Natur entscheidet, wann und wie Nachwuchs entsteht. Höfe, auf denen sich die Menschen als Begleitpersonen der Tiere sehen und nicht als deren Besitzerinnen und Besitzer. Diese Höfe sind Beispiele dafür, dass es auch in der Tierhaltung Möglichkeiten gibt, ethische Grundsätze zu leben und Tieren ein glückliches Leben in Würde zu ermöglichen.

Der Monat hat mir gezeigt, dass die richtige Ernährungsweise nicht schwarz oder weiss ist, sondern aus einer Vielzahl von Grautönen besteht, die es zu erkunden gilt. Aus mir wird wohl kein kompletter Veganer, aber ich ernähre mich fortan mit einer erneuerten Perspektive auf das, was auf meinem Teller landet.