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Philosophin über Gewalt und Klima
Warum werden radikale Fantasien rechten Ideologen überlassen?

05.11.2018; Berlin, Deutschland, DEU, Autorin Dr. Carolin Emcke
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In den sozialen Medien bekommen Leute kindliche Wutanfälle, weil sich Luisa Neubauer, die Klimaschützerin, jetzt auch noch für die Demokratie einsetzt. Dann kommt das neue Buch der Philosophin und Publizistin Carolin Emcke jetzt gerade recht. Sie hat zwei Poetikvorlesungen über Gewalt und Klima gehalten, die jetzt als Buch unter dem Titel «Was wahr ist. Über Gewalt und Klima» erschienen sind. Darin schreibt Carolin Emcke: «Das Ringen um mehr Klimaschutz und das um Menschen- und Bürgerrechte gehören immer zusammen.»

Dass Gewalt und Klima durchaus etwas miteinander zu tun haben, mag einige nicht überraschen, aber viele Menschen glauben eben auch, die Klimakrise komme nur noch obendrauf, auf all die Kriege und Katastrophen, die es zu lösen gilt. Die Klimakrise kenne aber kein Aussen, so Emcke. Wir seien alle in sie eingelassen und mit ihr verwoben.

Die Zerstörung der Ressourcen sei nicht auszuhalten, schreibt Emcke in der Vorlesung zum Klima. Die Klimakrise nehme alles auseinander, woran zu glauben einen sich sicher fühlen liess. «Was wahr ist, soll nicht wahr sein, will nicht glaubwürdig scheinen.» Und so scheine es für viele gar nicht denkbar, weil das eigene Versagen reflektiert werden müsste.

Veränderung als Emanzipation

Wie aber sollen uns Zahlen und Kurven deutlich machen, wie ernst es ist? Eine kahle Landschaft verbinden wir vermutlich nicht sofort damit, dass dort Flora und Fauna einmal anders war und wir bereits in eine versehrte Landschaft schauen.

Es sei genauso wichtig, nicht nur die Dystopien zu erzählen, sondern auch, worauf es sich zu hoffen lohnt. «Anstatt die Veränderungen, die nötig sind, immer als Schrecken zu beschreiben, mit diesem abstrakten Wort von «Transformation», könnte das, was nötig ist, zutreffender als Emanzipation beschrieben werden.»

Emcke verurteilt scharf, wenn Menschen wie Luisa Neubauer kriminalisiert werden, obwohl sich eine Gesellschaft verantwortlich fühlen müsste. Daran zeigt sich auch, wie beunruhigend die Destabilisierung der Demokratien voranschreitet.

Ein blinder Fleck sei, dass man lange in der rechtsradikalen und rechtsextremen Szene keine intellektuellen, rhetorisch geschickten Menschen vermutet habe. Nein, alles schlichte Gemüter mit Glatze und Bier in der Hand. «Es gab dieses ressentimentgesättigte Vorurteil, die rechtsextremistische Szene könnte «so etwas wie die RAF» nicht hervorbringen, das erst zerbrach, als der NSU sich selbst enttarnt hatte.» Und man denkt an die Recherchen von Correctiv, die ein geheimes Treffen zwischen dem Rechtsextremisten Martin Sellner und Politikern unter anderem von der AfD aufdeckte und dabei entlarvte, welch menschenverachtende Pläne diskutiert wurden, um Deutschland wieder zu einem «reinen Volk» zu machen.

Es würden die katastrophischen Kulissen überwiegen, nicht die Visionen des guten Lebens. Für die Autorin könnte es daran liegen, dass nach dem Fall der Mauer das utopische Denken diskreditiert wurde und es heute die postfaschistischen Bewegungen für sich reklamieren. Es sei nicht nachzuvollziehen, warum es ausgerechnet den rechten Ideologen überlassen werde, radikale Fantasien zu entwickeln und warum eben all die demokratischen für eine ökologisch-soziale Zukunft richtig düster klingen.

Ein Erzählen, das sich der Gewalt widersetzt

Viele Jahre war Carolin Emcke als Reporterin in Kosovo, Irak und Afghanistan unterwegs. Sie schreibt von Menschen, die entrechtet, verfolgt, gequält und getötet werden. Und immer lotet sie dabei aus, wie Leid bezeugt und gleichzeitig erzählt werden kann, wer die Menschen waren, bevor sie der Gewalt zum Opfer fielen, um sie nicht zu pathologisieren.

Während sich Schriftstellerinnen immer wieder fragen, wozu eigentlich schreiben, stelle sich diese Frage denen nicht, die als Journalistin einmal in einem Flüchtlingslager oder in einem rudimentär ausgerüsteten Krankenhaus in Kabul waren. «Nicht zu schreiben, hiesse; sich einverstanden zu erklären mit der Gewalt, zu schweigen, hiesse; das, was geschehen ist, was jemandem angetan wurde, als normal, als üblich zu behaupten.»

Ein Text als Intervention?

Es brauche ein Erzählen, das wahr sei, sich dem verschreibe, was gesellschaftlich gelten solle – und sich der Gewalt widersetze. In der ersten Hälfte des Buches erklärt die Autorin ihre Auffassung von einem inklusiven und würdevollen Berichten gegen das Verstummen vor schier unvorstellbarer Gewalt, die Menschen einander antun.

Ein Text als Intervention? Ja, vielleicht kann man dieses Buch als solche verstehen. Ob Emcke warnt? Gar alarmiert? Nein, die Fakten sind ja klar und jedem halbwegs aufgeklärten und informierten Menschen bekannt.

Nur befinden wir uns auch in einem Zustand der Verdrängung, als sei die Klima-Apokalypse schon Wirklichkeit und Trump jetzt schon wieder Amerikas Präsident. Die Prognosen sind insofern zwar beunruhigend, aber Carolin Emcke sagt auch, dass es Utopien brauche, die am Horizont erkennbar seien, denn sie würden Hoffnungen transportieren.

So könnte man nach Emcke also folgern, wenn niemand die Geschichte der Utopie erzählt, dann kann sie auch nicht wahr sein. Denn nur das Erzählen macht etwas wahr. «Es braucht ein Erzählen, das gleichermassen wahr und utopisch ist, das der Apokalypse und der Gewalt absagt und schreibend das begründet, was es herstellen will: Humanität.»

In der aktuellen Folge «SRF Sternstunde Philosophie» bei Barbara Bleisch sind Carolin Emcke und die Künstlerin Miriam Cahn zu Gast. Zu dritt sprechen sie darüber, wie man dem Leiden eine Stimme geben kann.

Carolin Emcke: Was wahr ist. Über Gewalt und Klima. Herausgeber: Christian Klein und Matías Martínez. Reihe: Wuppertaler Poetikdozentur für faktuales Erzählen. Wallstein-Verlag, 124 S., ca. 28 Fr.