BundesratsreisliUnser Bundesrat, so volksnah, so königlich!
Die Landesregierung trinkt sich an ihrem traditionellen Reisli einmal quer durch das Wallis.
Es muss einen metaphysischen Zusammenhang geben, irgendeinen. Genau dann, als der Bundesrat mit Regieren aufhört, fängt endlich der Sommer an.
Über dem Wallis brennt die Sonne, das Thermometer überschreitet die 30-Grad-Grenze, und im Hof des prächtigen Stockalperschlosses von Brig warten Hunderte von Menschen auf ihre Regierung.
Es ist der Tag nach der letzten Bundesratssitzung vor den Sommerferien, in der die Regierung im Akkord regiert hat wie noch nie. 48 Medienmitteilungen zu Entscheiden hat sie verschickt. Claude Gerbex, der seit fast 20 Jahren in der Bundeskanzlei Communiqués versendet, kann es auch am Tag danach kaum glauben: «48 Mitteilungen an einem Tag – das ist ein Rekord.»
Den neuen Nationalbankchef gewählt (er ist Vegetarier, haben Sie das gewusst?). Das Bundesbudget verabschiedet. Die SVP-Volksinitiative «Keine 10-Millionen-Schweiz!» abgeschmettert. En passant zwei weitere Volksinitiativen zur Ablehnung empfohlen. Mehrere Gesetzesvorlagen verabschiedet – zum Urheberrecht, zum Obligationenrecht, zum Zivilgesetzbuch. Und, und, und.
Ist das noch seriöse Regierungsarbeit? Sogar ein Mitglied des Bundesrats verdreht die Augen, als man ihm unterwegs die Frage stellt. Doch egal! Jetzt sind die Schubladen im Bundeshaus leer – und die Regierung kann sich der Liebe ihres Volkes hingeben.
Im VIP-Zug heim zu Viola
Der VIP-Zug verliess Ostermundigen um 8 Uhr in Richtung Wallis, der Kanton von Bundespräsidentin Viola Amherd. Erster Halt Sitten, wo schon um 10 Uhr der erste Apéro aufgefahren wird. Gratis-Gamay und -Fendant aus den kantonalen Rebbergen für die Bevölkerung, 60 Minuten Bad in der Menge für die Bundesräte.
Der Streit vom Vortag um den 10-Milliarden-Fonds, den Amherd für die Armee einrichten will? Spätestens beim ersten Zweierli Châteauneuf vergessen. Der Konflikt um das umstrittene Gutachten zum EU-Dossier? Völlig obsolet, als Ignazio Cassis für die Selfies mit seinen Fans gleich selber den Auslöser drückt.
Albert Rösti überwindet Sprachgrenzen. Älterer Welschwalliser: «Grüezi, ich rede bitzeli Deutsch.» Rösti: «Et moi un peu français.» Rösti erhält an diesem Tag besonders viel Lob dafür, dass er den Wolf abschiessen lässt, Karin Keller-Sutter bekommt Dank dafür, dass sie so gut auf die Bundesfinanzen achtgebe. Eine Deutschschweizerin sei zum Glück in Finanzfragen schon mehr «têtue», sturer, als die Welschen – sagen ihr welsche Walliser.
Jedes Jahr ein bisschen legerer
Jene, die das Detailprogramm des zweitägigen Reisli vorgängig studiert haben, wissen: Es wird nicht der letzte Apéro sein. «Ihr habt da ein rechtes Ausdauerprogramm zusammengestellt», sagt der bundesrätliche Winzer Guy Parmelin halb beeindruckt, halb anerkennend zu einem Walliser aus Amherds Stab. Am Morgen Volksapéro mit den Welschwallisern in Sitten, am Nachmittag Volksapéro mit den Deutschwallisern in Brig. Und dazwischen tafeln die sieben Magistraten ganz ohne Volk in der noblen Cave du Rhodan in Salgesch, wenige Hundert Meter neben dem Flüsschen Raspille, das die Sprachgrenze bildet.
Sprachlich und politisch ist die Reise so perfekt ausbalanciert, der Dresscode ist Casual fédéral. Als die Regierung in der Mittagspause eine kleine Wanderung macht, borgt sich Ignazio Cassis vom Walliser Staatsrat Christophe Darbellay einen Werbestrohhut mit dem Schriftzug «Val d’Anniviers». Guy Parmelin ist besser vorbereitet und hat selber einen Knautschwanderhut mitgebracht, den er fachgerecht unter dem Kinn festbindet. Es ist nicht Parmelins erste Wanderung. Während sich der Rest des Kollegiums von Jahr zu Jahr eine Spur legerer zu kleiden scheint, hat Parmelin eher aufgerüstet. Die kurzen Hosen und das fancy Gürteltäschli, optische Highlights früherer Bundesratsreisli, durften nicht mehr mit.
Modeopfer Beat Jans
Dafür schafft der Turnschuh an diesem Tag seinen Durchbruch auf Regierungsebene. Fünf Bundesratsmitglieder tragen Sneakers. Die von Amherd haben ein Schlangenleder-Muster (und scheinen nicht ganz so teuer wie das 900-Franken-Modell vom Bürgenstock), die von Parmelin sind aus Wildleder, die von Rösti königsblau wie sein einziger Anzug, die von Keller-Sutter schlicht braun. Beat Jans, Fashion-Victim, trägt On-Sneakers (wie sie gerne Rentner tragen). Nur Baume-Schneider und Cassis entziehen sich dem Gruppendruck und bleiben bei Strassenschuhen.
Dann der Höhepunkt der Volksnähe. Zwei Musikgesellschaften vereint intonieren im Hof des Stockalperschlosses den Marignano-Marsch, die offizielle Walliser Hymne, und der Bundesrat zieht dazu in corpore in den Hof. Die Musik ist ohrenbetäubend in den barocken Schlossgemäuern, es ist ein Einmarsch wie aus einer Verdi-Oper. Albert Rösti ist so ergriffen vom Moment, dass er – es muss eine Art magistraler Reflex sein – dem Publikum zuwinkt wie König Charles aus seiner Kutsche.
Die Regierungskörper
So volksnah wie auf dem Bundesratsreisli gibt sich die Landesregierung nie. Und auch selten so königlich. Schon im Mittelalter wurden Königen heilende Kräfte zugeschrieben. Wer den Körper des Königs berührte, wurde von Seuchen geheilt. «Le Roi te touche, Dieu te guérit», sagte man in Frankreich.
Und so drängen sich in diesem königlich wirkenden Stockalperschloss schwitzende Bürgerinnen und Bürger um die schwitzenden Körper ihrer Regierenden. Paul Imhof, ein Strahler aus Brig, hat ein Plastiksäckli mitgebracht. Er geht von einem Bundesratsmitglied zum nächsten, steht geduldig Schlange, bis er an der Reihe ist, und drückt dann jedem und jeder einen polierten Bergkristall in die Hand. «Hier haben Sie etwas Energie, Sie können sie brauchen.»
Und sei es nur, um den nächsten Walliser Apéro zu überstehen.
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