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Weniger Strom, dafür mehr Fische
Bundesrat soll Notfall-Regime vorzeitig stoppen

Umstritten: Wie viel Restwasser soll in die Gewässer unterhalb von Wasserkraftanlagen fliessen?
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Niemand weiss, wie dieses Experiment ausgehen wird. In diesem Winter dürfen die Betreiber von 45 Wasserkraftwerken mehr Wasser als erlaubt für die Stromproduktion nutzen. Es handelt sich um jene Anlagen, die nach 1992 eine neue Nutzungskonzession erhalten haben. An sich müssen sie seither schärfere Umweltauflagen erfüllen, sprich: mehr Restwasser als das gesetzliche Minimum abgeben – das ist jenes Wasser, das unturbiniert abfliesst, damit die Gewässer unterhalb der Stauseen nicht zur ökologischen Wüste werden. Nun ist diese Verschärfung vorübergehend ausgesetzt. 

Verfügt hat diese Notmassnahme der Bundesrat im letzten Herbst, als die Schweiz vor ungewissen Monaten stand: Wird es diesen Winter an Strom mangeln? Inzwischen deutet einiges darauf hin, dass die Befürchtungen nicht wahr werden. 

«Wir möchten verhindern, dass die Äschen noch stärker unter Druck kommen.»

David Bittner, Fischerei-Verband

Der Schweizerische Fischerei-Verband fordert deshalb, dass der Bundesrat das Regime nicht wie geplant Ende April aufhebt, sondern bereits Ende Februar. «Wir möchten damit insbesondere verhindern, dass die Äschen noch stärker unter Druck kommen, als sie es ohnehin schon sind», sagt Geschäftsführer David Bittner. Ab März beginnt die Laichzeit des Fisches, der als stark gefährdet gilt. 2019 hatte das Bundesamt für Umwelt (Bafu) den Gefährdungsstatus mehrerer Fisch- und Krebsarten erhöhen müssen, die Äsche war eine davon. Fische und Krebse zählen zu den am stärksten bedrohten Tieren der Schweiz. 

Das Bafu hatte im Herbst die temporäre Massnahme des Bundesrats als «vertretbar» bezeichnet. Gemäss Bafu ist es zwar möglich, dass sich die Äsche und andere Fischarten in diesem Frühjahr nicht wie üblich fortpflanzen können. Das Amt rechnet aber damit, dass sich die Populationen im nächsten Jahr wieder erholen würden. Eine Untersuchung dazu gibt es nicht – weil es im Herbst pressiert hat, blieb keine Zeit dafür.

Was macht Albert Rösti?

Bis jetzt hat der Bundesrat nicht gehandelt. Prüft er nun zumindest die Forderung? Das Departement von Energieminister Albert Rösti (SVP) lässt die Frage offen, es hält allgemein fest, der Winter sei noch nicht vorbei, für eine generelle Entwarnung sei es zu früh. Dies betonen auch die Kantone. Der Vorstand der kantonalen Bau- und Umweltdirektoren (BPUK) zeigt zwar Verständnis für die Forderung der Fischer. Generalsekretärin Mirjam Bütler sagt: «Der Nutzen einer früheren Aufhebung wäre für die Umwelt unter dem Strich aber eher marginal. Und die Kraftwerkbetreiber haben nun mit dieser Frist ihre Planungen gemacht.» Zudem, so Bütler, werde jede Kilowattstunde, die nicht mit einheimischer, erneuerbarer Wasserkraft produziert werde, im Winter grösstenteils durch importierte, fossil erzeugte Energie ersetzt. Nach Abwägung aller Interessen hält es der BPUK-Vorstand daher für «vertretbar», wenn die Regel wie geplant erst Ende April ausläuft.

Die Strombranche dagegen zeigt sich offen für die Forderung der Fischer. «Die Aufhebung der Massnahme wäre für die Versorgungslage im Moment wohl verkraftbar», sagt Claudia Egli, Sprecherin des Branchenverbands VSE. Sollte sich die Versorgungslage jedoch wieder verschärfen, insbesondere mit Blick auf den nächsten Winter, brauche es die Massnahme unverzüglich wieder. «Die Schweiz darf diese Option zur Verhinderung einer Strommangellage nicht aus der Hand geben.» 

Neuer Vorschlag der Politik

So oder so bleibt das Feld politisch umstritten. Zur Debatte steht neu, die Restwassermengen dauerhaft zu senken – und zwar dort, wo es sich um ökologisch weniger wertvolle Gewässerabschnitte handelt. Als Kompensation müssten anderswo zum Beispiel Flussabschnitte ökologisch deutlich aufgewertet werden. Lanciert hat diesen Vorschlag die Umweltkommission des Nationalrats (Urek) letzte Woche in der Gestalt eines Postulats. 

Warum diese Forderung? Zwischen 2025 und 2050 müssen zahlreiche Wasserkraftwerke ihre Konzession erneuern und fortan – gleich wie die eingangs erwähnten 45 Wasserkraftwerke – strengere Auflagen beim Restwasser erfüllen. Das könnte die Stromproduktion bis 2050 um 1,9 Terawattstunden (TWh) pro Jahr schmälern, schätzt das Bundesamt für Energie. Zur Einordnung: Heute produziert die Wasserkraft pro Jahr etwa 37 TWh. Gemäss Energieperspektiven des Bundes sollen es 2050 deren 45 sein.

Wird nun die Produktion der bestehenden Wasserkraft eingeschränkt, muss neben dem erforderlichen Ausbau auch noch ein Verlust ausgeglichen werden – wahrscheinlich durch den Bau weiterer Anlagen mit «erheblichen ökologischen Auswirkungen auf ihre Umgebung», warnt die nationalrätliche Umweltkommission und fordert: «Die Ökobilanz muss ganzheitlich betrachtet werden.» 

Forscher warnt vor Ablasshandel 

Dass es eine grundsätzliche Überprüfung des Restwasser-Regimes braucht, scheint unbestritten. Allerdings sind damit unterschiedliche Erwartungen verknüpft. Die Wasserwirtschaft hofft, dass mit dem Vorschlag der Urek die befürchteten Produktionsverluste gemindert werden können. «Eine differenzierte Betrachtung zwischen ökologisch wertvollen und weniger wertvollen Gebieten ist sinnvoll», sagt Andreas Stettler, Geschäftsführer des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbands. Die Gewässerschutzorganisation Aqua Viva ihrerseits erwartet eine «ergebnisoffene Überprüfung» der Restwassermengen. «Dies könnte gegebenenfalls auch eine Erhöhung der Restwassermengen zur Folge haben», sagt Sprecher Tobias Herbst. 

Wissenschaftler postulieren just diesen Schritt schon seit Jahrzehnten. «Wir können nicht länger damit zuwarten», sagt Bernhard Wehrli, der vor seiner Pensionierung letztes Jahr Professor für Aquatische Chemie an der ETH Zürich und der Forschungsanstalt Eawag war. Die Fliessgewässer stünden jetzt schon unter grossem Druck, sie würden sich des Klimawandels wegen immer stärker erwärmen, mit drastischen Folgen für die Wasserlebewesen. Wehrli befürchtet, dass der Vorstoss der Urek in einen ökologisch zweifelhaften Ablasshandel münden wird. «Kritisch wird es spätestens dann, wenn in einem Fliessgewässer die Restwassermengen reduziert und anderswo Ausgleichsmassnahmen geschaffen würden, die ohnehin geplant waren.»