Neue Corona-MassnahmenBundesrat holt sich die Lizenz zum Lockdown
Die Landesregierung bereitet eine ganze Serie von weiteren Corona-Massnahmen vor. Wir sagen, was das konkret bedeutet. Und welcher brisante Vorschlag von Viola Amherd für die Bundesratsmehrheit tabu war.
Die Beizen sind zu, Museen und Kinos sind zu, Kultur findet schon lange nicht mehr statt, und die Sportanlagen sind geschlossen.
Doch das genügt nicht.
Zu diesem Schluss kommt die Landesregierung nach ihrer jüngsten Krisensitzung. Einziges Traktandum: die Pandemie. Die Lage in der Schweiz: «Schlecht», sagte Gesundheitsminister Alain Berset anschliessend. Der R-Wert: wieder im Steigen begriffen. Die hochansteckende britische Mutation: in die Schweiz eingeschleppt, wenn auch noch in kleiner Zahl, doch bei fast vollen Spitälern.
Darum hat der Gesamtbundesrat den Gesundheitsminister nun ermächtigt, die ganz grosse Kanone gegen das Coronavirus zu laden. Eine Reihe von noch schärferen Massnahmen würde aus dem Teil-Lockdown, der in der Schweiz seit dem 22. Dezember in Kraft ist, einen fast vollständigen Lockdown machen.
Die Landesregierung ist jedoch noch nicht bereit, diese Kanone sofort abzufeuern. Die derzeitige Datengrundlage sei dafür zu wenig verlässlich, sagt Berset. Über die Festtage hätten zu wenig Tests stattgefunden.
Die Regierung hofft nun, dass bis in einer Woche zuverlässigere Zahlen vorliegen. Und dann will der Bundesrat bereit sein, die Zusatzmassnahmen unverzüglich in Kraft zu setzen.
Bis dahin legt die Regierung die neuen Massnahmen den Kantonen zur Stellungnahme vor. Das heisst: Die Landesregierung will sich von den Kantonen die Lizenz zum Shutdown geben lassen. Doch noch hofft sie, davon nicht Gebrauch machen zu müssen. Sie lädt die Kanone nur für den Fall der Fälle.
Amherd will Schulschliessung diskutieren
Eine Bundesrätin wollte weiter gehen als Berset: Viola Amherd wollte den Kantonen auch eine erneute Schliessung der Schulen zur Vernehmlassung unterbreiten. Das forderte die Verteidigungsministerin in einem vertraulichen Mitbericht.
Doch Berset und die Bundesratsmehrheit sperrten sich gegen einen nationalen Lockdown der Schulen. «Wir haben nicht vor, die Schulen zu schliessen», stellte Berset anschliessend klar. Zuvor werde man alle anderen denkbaren Massnahmen ausschöpfen. «Die Jugend zahlt jetzt schon einen hohen Preis», sagte Berset.
Ein hochrangiger Berater eines Bundesratsmitglieds sagt, eine Schulschliessung bestrafe nur die Kinder. Viele aus eher bildungsfernen Familien hätten den Bildungsrückstand vom Frühjahr noch nicht aufholen können.
Die Kantone sollen sich aber darauf vorbereiten, den Schutz der Schüler zu verstärken oder die Schulen ganz zu schliessen. «Wir müssen bereit sein für eine Situation wie im Winter, in der es sehr schnell gehen kann», sagte Berset – und verwies auf Grossbritannien, wo die Fallzahlen mit der Virusmutation explodiert und die Schulen deswegen wieder geschlossen sind.
Was schon ab Samstag gilt
Eine Massnahme hat der Bundesrat jedoch bereits definitiv beschlossen. Er hebt eine Ausnahmeregelung auf, nach der Kantone mit einem tieferen R-Wert Restaurants, Kultur- und Sporteinrichtungen öffnen durften. Diese Ausnahmeregelung fällt am Freitag um Mitternacht. Das heisst: Ab dann ist keine einzige normale Beiz in der Schweiz mehr offen, auch nicht in den Skigebieten. Ausnahmen gibt es nur noch für Kantinen, Take-aways und Hotelrestaurants (nur für Gäste).
Für die Gastrobranche sind die neuen Bundesratsbeschlüsse brutal. Denn Berset hat auch eine Mehrheit gefunden für seinen Vorschlag, den Gastro-Lockdown um fünf Wochen zu verlängern – bis am 28. Februar. Zwar schickt der Gesamtbundesrat auch diese Massnahme noch in die Konsultation bei den Kantonen, doch das sei nur noch eine Formalie, heisst es auch in bürgerlichen Departementen.
Was in einer Woche kommen soll
Welche weiteren Massnahmen er in Erwägung zieht, hat der Bundesrat am Mittwoch nur ansatzweise mitgeteilt. Anhaltspunkte dafür liefern Vorschläge des Bundesrats vom Dezember.
Läden: Alle Einkaufsläden und Märkte werden geschlossen, die Abholung von Bestellungen bliebe aber erlaubt. Offen bleiben dürften nur Geschäfte für Güter des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel, dafür auch am Sonntag. Der Bund würde eine Liste von Gütern definieren, die noch verkauft werden dürfen, die anderen Regale werden abgedeckt.
Private Veranstaltungen: Derzeit sind private Anlässe mit bis zu zehn Personen erlaubt. Eine Option wäre laut Bundesamt für Gesundheit, diese auf fünf zu begrenzen. Das entspräche den Regeln bei der ersten Welle.
Versammlungen im öffentlichen Raum: Derzeit sind Ansammlungen im öffentlichen Raum mit maximal fünfzehn Personen erlaubt. Diese Grenze könnte der Bundesrat auf fünf Personen senken.
Homeoffice: Bisher gilt nur eine Empfehlung. Eine Pflicht zum Homeoffice war bisher im Bundesrat umstritten, weil die bürgerlichen Vertreter die Wirkung bezweifeln, aber für die Wirtschaft hohe Kosten befürchten. Konkret: Entschädigungen an Arbeitnehmer für Bürokosten, Druckerpatronen und Ähnliches.
Besonders gefährdete Personen: Personen aus Risikogruppen erhielten denselben Schutz wie bei der ersten Welle; unter anderem ein Recht auf Homeoffice, in Ausnahmefällen mehr Schutz am Arbeitsplatz oder eine bezahlte Freistellung.
Unklar ist, nach welchen Kriterien der Bundesrat entscheiden wird, ob diese Verschärfungen nötig werden. Berset beantwortete Fragen danach ausweichend: «Es ist immer ein Strauss von Indikatoren, die uns helfen, den richtigen Weg zu finden.» Für die Festtage hatte der Bundesrat drei Schwellenwerte festgelegt, wobei er sich auf den Infektionsfaktor, den R-Wert, und auf die Belegung der Intensivstationen abstützte. Von einem solchen fixen Regelwerk ist er inzwischen jedoch wieder abgekommen, um flexibler zu bleiben, wie es aus Bundesratskreisen heisst.
Und die Entschädigungen?
Primär mit warmen Worten begnügen müssen sich vorerst all die Unternehmen, deren Geschäft verboten wurde. Berset anerkannte zwar, dass die Gastronomie sowie die Kultur-, die Sport- und die Freizeitanbieter «einen sehr hohen Tribut zahlen». Und er räumte auch ein, mit der Verlängerung der Massnahmen spitze sich ihre Situation noch einmal zu. Doch es dauere noch bis nächste Woche, bis der Bundesrat weitere Finanzhilfen diskutiere.
Dann dürfte kaum Neues zur Debatte stehen: Gemäss Auskunft des Finanzdepartements soll lediglich der Zugang zu den bereits bestehenden Härtefallgeldern vereinfacht werden. Im Umfeld des Bundesrats sorgt das für Unmut – teilweise auch in bürgerlichen Departementen.
Finanzminister Ueli Maurer und Wirtschaftsminister Guy Parmelin werden verdächtigt, die Finanzhilfen aus ideologischen Gründen zu verzögern. Die beiden SVP-Bundesräte wollten kein zusätzliches Bundesgeld ausgeben. Und indem sie die Entschädigungsfrage nicht lösten, erhöhten sie die Hürden für weitere Massnahmen gegen die Pandemie.
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