Monstergipfel in PragBundesrat Cassis will dabei sein
Die Schweiz möchte das neue Forum auch für bilaterale Kontakte nutzen: Bundespräsident Ignazio Cassis reist am Donnerstag zum ersten Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft nach Prag. Was sind die Erwartungen vor dem Monstertreffen?
Es ist eine Premiere, und die Schweiz ist dabei: Am Donnerstag kommen auf der Prager Burg 44 Staats- und Regierungschefs zum ersten Treffen der sogenannten Europäischen Politischen Gemeinschaft zusammen. Das Forum war eine Idee von Emmanuel Macron. Dem französischen Präsidenten ging es ursprünglich vor allem darum, die Beitrittskandidaten zu vertrösten. Doch davon ist inzwischen keine Rede mehr. Zum Treffen sind neben den EU-Mitgliedern ausser Belarus alle europäischen Staaten eingeladen. Thema wird sein, wie vor dem Hintergrund von Russlands Krieg in der Ukraine Stabilität und Prosperität in Europa gesichert werden kann. Für die Schweiz reist Bundespräsident Ignazio Cassis nach Prag.
Was will die «Europäische Politische Gemeinschaft»?
EU-Ratspräsident Charles Michel und der tschechische Premier Petr Fiala haben zum Treffen eingeladen. Prag soll aber keine «EU-Veranstaltung» sein. EU-Mitglieder und Drittstaaten sollen sich «auf Augenhöhe» austauschen. Die EU sei «nur neutrale Moderatorin», sagen Diplomaten. Das gilt auch als Zusicherung an die britische Premierministerin Liz Truss, die zuerst zögerte, erstmals seit dem Brexit wieder mit allen EU-Staaten am Tisch zu sitzen. Zwischen einem Austausch im Plenum und bei einem Arbeitsessen am Abend soll es zwei runde Tische geben, zu denen sich die Staats- und Regierungschefinnen einschreiben mussten. Am einen Tisch wird es um Sicherheit und Stabilität gehen, am anderen um die Energiekrise und die Wirtschaftslage.
Was sind die Erwartungen an den Gipfel?
Gastgeber Charles Michel und Petr Fiala verweisen in ihrer Einladung auf die «dramatischen Konsequenzen von Russlands Krieg» in der Ukraine, von denen alle europäischen Staaten betroffen seien. Die Europäische Politische Gemeinschaft soll Plattform für «politische Koordination» sein. Das Ziel sei es, den politischen Dialog und die Zusammenarbeit zu Themen von «gemeinsamem Interesse» zu fördern. Im Fokus die Frage, wie Europa ohne Stromausfälle und grössere Betriebsschliessungen durch den Winter kommen kann. Vor dem Hintergrund der Sabotage der Nordstream-Pipelines in der Ostsee wird es auch darum gehen, wie wichtige Infrastrukturen zur Energieversorgung oder Kommunikation geschützt werden können. Eine formelle Schlusserklärung ist nicht vorgesehen. Das Treffen soll aber eine «Botschaft der Solidarität und Geschlossenheit» aussenden. Geplant ist, dass man sich alle sechs Monate oder zumindest einmal im Jahr trifft. Nachdem Liz Truss bei der Premiere zuerst gar nicht teilnehmen wollte, will die Britin die hochkarätige Runde nun nach London einladen.
Mit welchen Erwartungen fährt Cassis nach Prag?
Ignazio Cassis ist da vorsichtiger, auch wenn er mit der Zusage anders als Liz Truss nicht lange gezögert hat. Eine Einladung nach Bern hat der Bundespräsident nicht im Gepäck. Für die Schweiz geht es in erster Linie darum, dabei zu sein. Ganz nach dem Motto, dass Abwesende immer unrecht haben. Das neue Forum ist auch aus Schweizer Perspektive ein Experiment. Wie alle Beteiligten wird auch die Schweiz zuerst sehen wollen, ob das hochkarätige Rendez-vous abgesehen von Fototerminen und Handshakes auch Mehrwert bringt. Die Chancen sind nicht schlecht, weil eine andere Organisation, in der die Schweiz sonst gleichberechtigt am Tisch sitzt, derzeit ausfällt: Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wird von Mitglied Russland blockiert.
Kann Cassis in Prag das institutionelle Dossier voranbringen?
Ignazio Cassis wird in Prag einen Slot von drei Stunden für bilaterale Treffen haben. Welche der anderen 43 Staats- und Regierungschefs der Bundespräsident zum Tête-à-Tête sehen wird, ist noch offen. Das neue Forum wird zwar nicht die Plattform sein, um Marktzugangsfragen zu diskutieren. Cassis dürfte aber die Gelegenheit nutzen, um auch für das institutionelle Dossier zu lobbyieren. Richtig zur Sache geht es aber erst nächste Woche, wenn Staatssekretärin Livia Leu zu einer neuen Runde der Sondierungsgespräche in Brüssel erwartet wird. Zudem ist ein weiteres Treffen auf Expertenebene geplant. Auf der Agenda sind die Streitpunkte Staatsbeihilfen und regelmässige Zahlungen der Schweiz an die Kohäsionspolitik der EU. Im November wollen dann beide Seiten Bilanz ziehen.
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