Kampf gegen Behandlungsfehler und Spitalkeime blockiertBund spart bei der Patientensicherheit
Die viel gelobte Stiftung Patientensicherheit kann ihre Arbeit kaum noch machen, weil ihr das Geld fehlt. Dabei wollte der Bundesrat die Fachstelle ursprünglich stärken.
Mindestens sechs Prozent der Spitalpatientinnen und -patienten erleiden während ihres Aufenthalts eine Infektion. Das sind pro Jahr 70'000 Fälle, rund 2000 verlaufen tödlich. Viele dieser sogenannten nosokomialen Infektionen wären vermeidbar – genauso wie andere unerwünschte Ereignisse, die jede zehnte hospitalisierte Person treffen.
Es sind beunruhigende Zahlen, die einen wichtigen Teil der Schwachstellen der Schweizer Gesundheitsversorgung betreffen, die die Stiftung Patientensicherheit verbessern möchte. Die Fachstelle sorgt mit Programmen dafür, dass beispielsweise in Pflegeheimen seltener falsche Medikamente abgegeben werden, in Spitälern Infektionen und dank chirurgischen Checklisten Operationsfehler verhindert werden.
Nur noch halb so viel Geld zur Verfügung
Doch jetzt muss die Stiftung den Gürtel enger schnallen: Wie diese Zeitung erfahren hat, wurde das Budget für 2022 auf rund 1,5 Millionen Franken gestutzt – das entspricht knapp der Hälfte der jeweiligen Vorjahresbudgets. Für die Stiftung ist dies eine existenzielle Einbusse, die dazu geführt hat, dass ein beträchtlicher Teil ihrer Arbeit liegen bleibt.
Wieso es so weit gekommen ist, ist nur schwer nachvollziehbar. Die 2003 gegründete Organisation erhält im In- und Ausland nur Lob für ihre Arbeit. Auch der Bundesrat erachtet «die Arbeit der Stiftung Patientensicherheit als sehr wichtig» und wollte im Rahmen der Strategie Gesundheit 2020 dafür mehr Ressourcen zur Verfügung stellen.
Vor dem nun eingetretenen Szenario wurde allerdings bereits vor anderthalb Jahren gewarnt: Statt wie beabsichtigt Qualitätsbemühungen im Gesundheitswesen zu stärken, wurden sie von Politik und Behörden empfindlich geschwächt.
«Wir können jetzt viele Projekte auch deshalb nicht machen, weil uns die Leute fehlen.»
Auslöser ist das neue Verfahren, mit dem der Bund Qualitätsprojekte im Gesundheitswesen finanziert. Das Geld, das die Stiftung bislang direkt von den Kantonen erhalten hat, geht jetzt an die neu geschaffene 15-köpfige Eidgenössische Qualitätskommission (EQK), die damit Projekte unterstützen soll. Innerhalb von vier Jahren kann die Kommission 45,2 Millionen Franken verteilen. Die Anforderungen sind jedoch so ausgestaltet, dass die Stiftung Patientensicherheit viele ihrer Tätigkeiten nicht mehr finanzieren kann.
Urs Brügger, interimistischer Stiftungsratspräsident, bestätigt: «Die Finanzmittel sind knapper.» Nachdem die Stiftung zwei durch die EQK finanzierte Projektaufträge ausgehandelt hat, hofft sie auf weitere Aufträge. Zudem werde man versuchen, wie bisher zusätzliche Finanzierungsquellen wie Krankenversicherungen und Spitäler zu erschliessen, sagt er.
Ob das gelingen wird, ist allerdings offen. Vor allem aber: Die eigentliche Arbeit zur Patientensicherheit liegt derzeit zu einem beträchtlichen Teil brach: «Ein Grossteil der Projekte wurde abgeschlossen, andere Projekte können vielleicht verzögert aufgenommen werden», so Brügger. Weitergeführt werden kann derzeit immerhin der Betrieb des wichtigen Fehlermeldesystems Cirrnet, in das Spitäler und andere Institutionen kritische Vorkommnisse einspeisen.
Direktor und Stiftungsratspräsident haben gekündigt
Der Beinahe-Stillstand hat auch mit einschneidenden Abgängen zu tun: Der langjährige Direktor David Schwappach kündigte im Dezember per Ende März, und Stiftungsratspräsident Dieter Conen – Gründungsmitglied und seit bald 20 Jahren bei der Stiftung – nahm Ende Januar den Hut. Hinzu kommen fünf weitere Abgänge aus dem Team mit rund einem Dutzend Mitarbeitenden. «Wir können jetzt viele Projekte auch deshalb nicht machen, weil uns die Leute fehlen», sagt Brügger. Für die Patientensicherheit sind die Kündigungen ein herber Know-how-Verlust und ein sicheres Zeichen, dass bei der Stiftung viele nicht mehr an eine Zukunft glauben.
Bei der EQK und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist man jedoch der Ansicht, eine akzeptable Lösung gefunden zu haben. Der Weiterbestand der Stiftung sei dank der EQK-Gelder für 2022 abgesichert, heisst es auf Anfrage. Es sei nun das Ziel, in den nächsten Monaten die Diskussion über weitere Abgeltungen für die kommenden Jahre zu führen.
«Die Verantwortlichen sind sich der Tragweite ihrer Entscheidungen nicht bewusst.»
«Die Leute bei der EQK und dem BAG sind sich der Tragweite ihrer Entscheidungen nicht bewusst», sagt der zurückgetretene Stiftungsratspräsident Dieter Conen. «Es gibt in der Schweiz derzeit niemanden, der uns im Bereich Patientensicherheit ersetzen könnte.» Ursprünglich haben Conen und Stiftungsdirektor Schwappach die angestrebte Neuorganisation begrüsst, denn schliesslich wollte der Bundesrat damit die Arbeit der Stiftung stärken. Beide haben sich auch im Parlament stark für entsprechende Gesetzesänderungen eingesetzt. Die konkrete Umsetzung sei jedoch eine Enttäuschung und verunmögliche die bisherige Arbeit, sagt Conen.
Im Kern geht es um die Finanzierung der Basisleistungen der Stiftung Patientensicherheit, die nicht auf einzelne Projekte beschränkt sind, insbesondere die wissenschaftliche Grundlagenarbeit sowie Schulung und Vernetzung der Akteure des Gesundheitswesens. Das alleine kostet gemäss Conen rund eine Million Franken pro Jahr, rund ein Drittel des früheren Budgets. «Unter den neuen Bedingungen kann die Stiftung die Basisarbeit nicht mehr durchführen, weil jetzt eine hundertprozentige Projektfinanzierung erfolgt», so Conen.
Ergebnislose Gespräche
Seit bald zwei Jahren führe man Gespräche, ohne zu einem tragfähigen Ergebnis zu kommen, sagt Conen. «Unsere Vorschläge, wie sich die Basisarbeit auch auf Projektbasis finanzieren liesse, wurden von der EQK alle als zu teuer befunden.»
Zusätzlich wurde für die Projekte ein enges administratives Korsett geschnürt, das die Arbeit zunehmend bürokratisiert und eine unabhängige und innovative Arbeit unmöglich gemacht habe. «Behörden und Kommission argumentieren unnötig fundamentalistisch und defensiv», so Conen.
Der zurückgetretene Stiftungsratspräsident glaubt nicht mehr daran, dass sich an der Situation noch etwas ändern und die Stiftung die für die Patientensicherheit notwendige Unabhängigkeit als Kompetenzzentrum erhalten könnte: «Ich hoffe, dass die Stiftung Patientensicherheit die Turbulenzen überstehen wird und die austretenden Expertinnen und Experten an anderen Orten ihre Expertise für die Patientensicherheit einbringen.»
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