Streit um SortimentBlumen ja, Schuhe nein – wie es zum Verkaufskompromiss kam
Anders als im ersten Lockdown bleiben Gartencenter und Blumenläden dieses Mal geöffnet. Mitverantwortlich dafür: das erfolgreiche Lobbying des obersten Gewerblers.
Ab nächstem Montag dürfen wir in der Schweiz keine Schuhe mehr kaufen, Blumensträusse aber sehr wohl. Wir dürfen in den Baumarkt, nicht aber ins Möbelgeschäft. Wir können im Handel Briefpapier und Stifte erstehen, aber keine Sportbekleidung.
Mit dem zweiten Lockdown kommen nicht nur neue Einschränkungen, sondern auch neue Abgrenzungsprobleme auf uns zu. Die Verordnung des Bundesrats sieht vor, dass Geschäfte nur noch Güter des kurzfristigen und täglichen Bedarfs verkaufen dürfen. Welche dies sind, geht aus einer Liste im Anhang hervor.
Auffällig ist, dass die Regelung deutlich weniger restriktiv ist als jene im ersten Lockdown: Damals blieben Blumengeschäfte, Papeterien und Baumärkte zu. Gleichzeitig wird trennschärfer definiert, was geht und was nicht: Im Frühjahr variierte es bei den Grossverteilern teilweise von Filiale zu Filiale, ob das Regal mit den Bratpfannen abgesperrt oder frei zugänglich war.
Biglers Lobbying
Massgeblich mitverantwortlich für das neue Regime ist das Lobbying des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV). Schon im Dezember feilschte er mit dem Bund, Migros und Coop sowie der Swiss Retail Federation um einen Kompromiss.
Gewerbedirektor Hans-Ulrich Bigler sagt: «Es war uns wichtig, sicherzustellen, dass kleine und mittlere Detaillisten dieses Mal nicht einfach ausgegrenzt werden.» Als im Frühjahr die Baumärkte geschlossen worden waren, hatte der SGV massiv gegen den Entscheid opponiert, es folgte eine Aussprache mit Gesundheitsminister Alain Berset. «Wir begrüssen es, dass der Bund nun im Zuge der neuen Regulierung das Gespräch mit uns gesucht hat», so Bigler.
«Abgrenzungsprobleme sind nun einmal unvermeidlich, sobald der Staat in die Wirtschaft eingreift.»
Die Rollen waren in den Verhandlungen klar verteilt: Hatten die Detailhändler Coop und Migros ein Interesse daran, möglichst grosse Teile ihres Sortiments weiter anbieten zu dürfen, wollte der Gewerbeverband für möglichst viele Detaillisten die Schliessung vermeiden.
Verworfen wurde das sogenannte Aargauer Modell, wonach nur die Läden hätten offen bleiben können, deren Sortiment zu rund zwei Dritteln aus Gütern des täglichen Bedarfs besteht. Diese Variante hätte die Grossverteiler gegenüber den kleinen Läden klar bevorteilt.
«Resultiert ist ein Kompromiss, den wir gut mittragen können», so Bigler. Nichtsdestotrotz hätten Sportartikelhändler, Modegeschäfte, Uhren- und Schmuckhändler nun ein «Riesenproblem». «Aber Abgrenzungsprobleme sind nun einmal unvermeidlich, sobald der Staat in die Wirtschaft eingreift.»
Die IG Detailhandel, die sich aus Coop, Migros und Denner zusammensetzt, gibt sich auf Anfrage hingegen wortkarg. Zum Ausgang der Verhandlungen sagt Patrick Marty, der Leiter der Geschäftsstelle, lediglich: «Wir haben vom Anhang der Verordnung, welche die Güter des täglichen Bedarfs umschreibt, Kenntnis genommen und werden die Vorgaben entsprechend umsetzen.»
Kiosk sonntags wieder offen
Überrascht hat der Bundesrat am Mittwoch auch mit der Ankündigung, dass Läden, Tankstellenshops und Kioske abends nach 19 Uhr sowie am Sonntag wieder öffnen dürfen. Hans-Ulrich Bigler begrüsst den Schritt: «Wir haben immer gesagt: Wenn man die Frequenz runterbringen will, muss man die Öffnungszeiten nicht reduzieren, sondern im Gegenteil für eine bessere Verteilung ausweiten.»
Dennoch bleibe ein bitterer Nachgeschmack: Die Kehrtwende zeige, dass das BAG zuweilen im Blindflug agiere, kritisiert Bigler. «Man hat nicht gelöscht, wo es brennt, sondern einfach auf gut Glück einmal grossflächig Wasser gesprenkelt.» Der oberste Schweizer Gewerbler stellt sich auf den Standpunkt: Der Detailhandel sei kein Cluster – die meisten Ansteckungen fänden anderswo statt.
Fehler gefunden?Jetzt melden.