Gaza-Hilfsgelder bleiben blockiertDer erhoffte Befreiungsschlag des UNRWA-Chefs misslingt
Der Schweizer an der Spitze des kritisierten UNO-Palästinenser-Hilfswerks musste zum Verhör bei der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats antraben. Das Ergebnis: nicht gut für Philippe Lazzarini.
Die Vereinten Nationen haben am Montag in New York eine historische Resolution für einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza beschlossen. Wenige Stunden später sitzt einer ihrer wichtigsten Männer im Nahostkrieg in Genf auf der Anklagebank.
Philippe Lazzarini, der Schweizer Chef des UNO-Palästinenser-Hilfswerks UNRWA, musste am Dienstag vor der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats antraben – in der Maison de la Paix in Genf. Es ging um die Anschuldigung Israels, dass mehrere UNRWA-Mitarbeiter am Hamas-Massaker vom 7. Oktober beteiligt gewesen sein sollen. Und um die weiteren Vorwürfe, die seither die Arbeit des Hilfswerks überschatten: Wusste es von einem Tunnel der Hamas unter seinem Hauptquartier? Warum waren antisemitische Inhalte an UNRWA-Schulen verbreitet?
Vor allem aber ging es um die Frage, ob die Schweiz ihre Zahlungen an die UNRWA einstellt.
Mehrere Staaten haben ihre Zahlungen sistiert, darunter die grössten Beitragszahler USA und Deutschland. Berlin hat am Montag zwar entschieden, wieder Geld an die UNRWA zu überweisen – aber nur für die Arbeit in Regionen ausserhalb Gazas. Andere Länder wie Schweden oder Kanada haben die Zahlungen wieder aufgenommen.
Die Schweiz, die mit jährlich 20 Millionen Franken ebenfalls zu den bedeutendsten Geldgeberinnen gehört, wartete bisher ab. Und will es auch noch eine Weile tun, wie die Aussenpolitische Kommission am Dienstagnachmittag mitteilte. «Wir haben uns entschieden, noch weitere Stimmen respektive die andere Seite anzuhören», sagte SVP-Nationalrat Franz Grüter. Also jene, die Vorwürfe erhoben hatten, wie die Nichtregierungsorganisation UN Watch mit Sitz in Genf. Welche weiteren Organisationen angehört würden, sei noch offen.
Anschuldigungen «nicht bewiesen»
Diese neue Anhörung soll am 29. oder 30. April stattfinden. Die SVP will bis dahin die Zeit nutzen, um zu prüfen, ob das Geld auch an andere Organisationen in Gaza fliessen könnte. Denn SVP-Aussenpolitiker Grüter konnte Lazzarini nicht überzeugen: «Es war aus meiner Sicht eine verpasste Chance. Seine Ausführungen haben nicht wesentlich zur Klärung der zahlreichen Vorwürfe beigetragen.»
Für den Grünen Nicolas Walder ist nach der Anhörung hingegen klar, dass die Schweiz weiter zahlen muss. Zu Recht habe Lazzarini darauf hingewiesen, dass Israels schwere Anschuldigungen bisher «nicht bewiesen sind». Zudem könne keine andere Organisation die UNRWA ersetzen. Mirjana Spoljaric, die Präsidentin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), trat am Montag ebenfalls vor der Kommission auf und sagte, dass sie nur rund 100 Mitarbeitende im Gazastreifen habe, während es bei der UNRWA noch rund 4000 Aktive seien. Ein Zusammenbruch der UNRWA hätte daher verheerende Folgen für die Menschen in Gaza, sagte Walder.
Dass diese Argumente die SVP überzeugen werden, glaubt Walder nicht. Darum setzt er seine Hoffnungen auf die Parteien im Zentrum. Es sei an Aussenminister Ignazio Cassis, seine eigene Partei und die Mitte davon zu überzeugen, die UNRWA weiter zu finanzieren «und der SVP auf ihrem gefährlichen Weg nicht zu folgen».
Helfen ohne Umweg über die UNRWA
Ob das gelingt, ist nach Lazzarinis Anhörung mehr als fraglich. FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann sagt, Lazzarini sei zu wenig selbstkritisch gewesen. Es sei in einem solchen Kontext gar nicht möglich, als Hilfsorganisation zu operieren, ohne mit der Hamas zu kooperieren, doch das habe Lazzarini so nicht explizit zugeben wollen. Portmann lehnt aber aus verschiedensten Gründen eine momentane Weiterfinanzierung der UNRWA ab. «Persönlich bin ich überzeugt, dass man im Gazastreifen selber erst wieder humanitäre Hilfe leisten kann, wenn die Hamas kapituliert hat», sagt Portmann. Bis dahin könne die Schweiz allenfalls den USA oder anderen Staaten helfen, die Hilfsgüter aus der Luft abzuwerfen.
Auch Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter sagt, dass Lazzarini eine Chance verpasst habe. Vor allem habe er «nicht glaubhaft widerlegen können, dass die Schweizer Gelder für die UNRWA eventuell doch in terroristischen Händen landen.»
Ähnliches sagt EVP-Nationalrat Nik Gugger: «Ich bedaure es sehr, dass es Herr Lazzarini nicht gelungen ist, mir aufzuzeigen, wie er die Gelder nachhaltig den Vulnerabelsten zugutekommen lassen will. Ich wünschte mir, er wäre auf die Befindlichkeiten der Politiker und letztlich der Bevölkerung klarer eingegangen.» Darum würde er das Geld im Moment blockieren.
Gleichzeitig betont Schneider-Schneiter aber, dass der palästinensischen Zivilbevölkerung keine Hilfsgelder entzogen werden dürften. Sie erwarte darum vom Bundesrat eine Alternative: «Er muss jetzt dringend Wege aufzeigen, wie die Schweiz den Menschen in Gaza humanitäre Hilfe leisten kann, ohne über die UNRWA zu gehen.»
2024 floss noch kein Rappen ans Hilfswerk
Schon in der Dezember-Session stritten sich National- und Ständerat drei Wochen lang um die UNRWA. Schliesslich resultierte ein Last-Minute-Kompromiss. Die Gelder an die UNRWA wurden zwar nicht gestrichen. Das Parlament verlangte aber, dass das Aussendepartement (EDA) dieses Jahr sämtliche humanitäre Hilfe für den Nahen Osten nur in Tranchen ausbezahlen darf – und dass es vorgängig die Aussenpolitischen Kommissionen beider Räte nochmals um ihre Meinung fragen muss.
Bis jetzt, Ende März, hat der Bund noch keine weiteren Zahlungen an die UNRWA geleistet. Die eigentlich vorgesehenen 20 Millionen für die UNRWA plus die Unterstützung für andere im Nahen Osten tätigen Organisationen wie das IKRK sind damit seit Jahresbeginn faktisch eingefroren. Bevor das EDA über das weitere Vorgehen entscheide, warte es die Ergebnisse hängiger Untersuchungen zur UNRWA ab, sagt EDA-Sprecher Michael Steiner. Die UNO hat die frühere französische Aussenministerin Catherine Colonna mit einer Untersuchung beauftragt. Ihr Bericht wird in der zweiten Aprilhälfte erwartet.
Gestützt darauf werde dann der Bundesrat entscheiden, ob er die UNRWA weiter finanzieren wolle – und das den Aussenpolitischen Kommissionen zur Konsultationen vorlegen. Diese dürften dann das finale Urteil über die Weiterführung oder Nichtweiterführung der Schweizer Finanzierung fällen.
Nach Angaben der UNRWA hat sie momentan noch Geld bis Ende Mai.
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