Kolumne «Miniatur des Alltags»Blind-Date mit Mandarine
Redaktorin Fabienne Sennhauser über die Begegnung mit einem ganz besonderen Früchtchen.
Klein und etwas unförmig lag sie vor mir, die Mandarine. Ihre besten Zeiten hatte sie längst hinter sich. Das tat ihrer Süsse jedoch keinen Abbruch. Zwar mochten die meisten ihrer Artgenossen eine weit attraktivere Gestalt abgeben als sie. Dennoch war sie es, die in diesem Moment meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog.
Dieses kleine Früchtchen faszinierte mich. Völlig unberührt lag sie vor mir. Um uns herum nahm derweil alles seinen gewohnten Gang. Ein kleines Kind quengelte, die Gruppe Erwachsener unterhielt sich ungeachtet dessen angeregt weiter. Ausser mir schien niemand von dem kleinen Ding Notiz genommen zu haben. Als gäbe es sie gar nicht.
Wer wohl schon alles seine Hand nach ihr ausgestreckt haben mochte, fragte ich mich. Und als hätte sie meine Gedanken gehört, hob die Pudeldame plötzlich ihr Köpfchen und richtete ihre dunklen Knopfaugen auf mich.
Zwischen uns lagen keine zwei Meter und trotzdem, das wusste ich, konnte mich die Hündin nicht sehen. Schon vor einigen Jahren war sie erblindet. Auch sonst machten der Kleinen mit ausgefallenem Namen zahlreiche Altersgebrechen zu schaffen. Ihr Gärtchen verlies sie deshalb kaum noch.
Auch wenn ihre Welt dunkel sein mochte. Ihr Gehör und vor allem ihre Nase funktionierten noch. Langsam trottete die Pudeldame an den Gartenzaun heran. Und ich, die sonst jeweils panisch die Strassenseite wechselte, wenn mir ein Hund jeglicher Grösse begegnet, legte doch tatsächlich meine Hand auf ihr Köpfchen.
Während ich ein schockverliebtes «Jöö» von mir gab, schien der Funke bei der Hündin nicht übergesprungen zu sein. Schon nach wenigen Sekunden entzog sie sich meiner Hand, trottete gemächlich zurück in den Garten und lag bald schon da, als hätte es dieses Aufeinandertreffen nie gegeben.
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