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Afghanistan-Debakel des Westens
Haben sich die Taliban geändert? Ja und nein

Für den Westen ein bitteres Bild: Talibanführer und -kämpfer im Präsidentenpalast in Kabul.
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Was für ein Bild: Die Taliban im Präsidentenpalast, sie sitzen an den Tischen, an denen kürzlich noch Ashraf Ghani sein Volk beschworen hat durchzuhalten. Diese Aufnahme steht wie keine zweite für diesen gescheiterten Einsatz. Da sitzen nun also nur ein paar Wochen nach dem westlichen Abzug wieder die Männer am Schalthebel der Macht, die für alles stehen, was der Westen doch eigentlich ablehnt, die noch vor gar nicht allzu langer Zeit als Terroristen galten. Das ist zum Gruseln. (Lesen Sie auch den Artikel «In Kabul hat sich die Welt innert Stunden verändert».)

Der Präsident ist geflohen, die Taliban übernehmen das Land. Sie haben es sich in den vergangenen Tagen nicht mehr erkämpfen müssen, sondern überreicht bekommen: von einer Regierung, die sich selbst durch ihre Grabenkämpfe ausgehebelt hat, von afghanischen Kommandanten, die nicht in der Lage waren, die zahlenmässig deutlich überlegenen, aber völlig demoralisierten Sicherheitskräfte noch irgendwie sinnvoll zu lenken; überreicht auch von Pakistan, das schon vor Jahren dem Westen prophezeite, die Taliban seien nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft in Afghanistan.

Passend dazu hat der Premier in Islamabad zuletzt als eine Art Sprecher der Taliban fungiert und den gewählten Präsidenten des Nachbarlandes zum Rücktritt aufgerufen. Überreicht bekommen haben die Taliban das Land aber vor allem: von den USA und deren Verbündeten.

Zwanzig Jahre waren diese mit ihren Soldaten, Entwicklungshelfern und viel Steuergeld am Hindukusch. Nun bricht die Selbsttäuschung in sich zusammen, dass es schon irgendwie gut gehen werde und man andernfalls den Afghanen die Schuld zuschieben könne, wenn sie es mit dem Frieden nicht selbst hinbekämen.

Hybris und Fehler des Westens

Die Taliban waren vertrieben, aber nie besiegt worden. Die Fehler und die westliche Hybris werden vielleicht einige innenpolitische Debatten in Washington, London und Berlin nach sich ziehen, vielleicht gibt es hier eine Untersuchungskommission und dort ein Eingeständnis, möglicherweise sogar einen Ministerrücktritt. Aber entscheidend ist das für die Afghaninnen und Afghanen nicht mehr. Sie haben sich nur auf ein Versprechen verlassen: Wir lassen euch nicht im Stich. Genau das ist nun geschehen, und die Menschen am Hindukusch sind die grossen Verlierer, ohne etwas dafür zu können. (Lesen Sie auch den Artikel «Bilder des Zusammenbruchs».)

Haben sich die Taliban geändert? Ja und nein. Sie haben nicht nur militärische Zähigkeit bewiesen und mit ihrer aus dem Hinterhalt geführten Kriegstaktik die Staaten der hochgerüsteten westlichen Armeen dazu getrieben, den Einsatz endlich beenden zu wollen. Sie haben vor allem auf diplomatischem Parkett dazugelernt, sie werden etwa in Peking bereits mit höchsten Ehren empfangen.

Am Verhandlungstisch übertrumpften sie die dilettantische Trump-Administration, weil sie tatsächlich einen Abzug der ausländischen Truppen ohne grosse Gegenleistung aushandelten. Kaum waren diese fort, hat es nur kurz gedauert, bis die Islamisten in Kabul den Palast übernehmen konnten.

Aber die Taliban haben auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie die afghanische Verfassung ablehnen, dass sie die ungläubigen Westler aus dem Land haben wollen, dass sie die Fortschritte einer zumindest in den Grossstädten vorhandenen Zivilgesellschaft zurückdrehen wollen. Nicht umsonst verlassen nun alle, die können, das Land, werden vor allem die klügsten Köpfe in Afghanistan keine Zukunft für sich sehen. Es kann ihnen ja niemand garantieren, dass die Taliban nicht grausam Rache an ihnen nehmen werden.

Meine Alternative zu den Taliban

Der Westen hat sich als Folge seiner Selbstüberschätzung am Hindukusch selbst entmachtet, aller wesentlichen Optionen beraubt und Afghanistan zuletzt gedemütigt verlassen. Ein letzter, wenn auch kleiner Hebel bleibt: das Geld. Die Taliban vermitteln den Eindruck, dass sie ein paar taktische Zugeständnisse machen werden, dass sie vielleicht zunächst sogar Mädchenschulen offen lassen könnten und die Einrichtungen in den grossen Städten, auf die der Westen schauen wird.

Dass sich auf dem Land, wo der Fortschritt längst nicht angekommen ist, schnell wieder die alten Verhältnisse einstellen werden – davon gehen die Afghanen sowieso aus. Das ist ihre Zukunft: kosmetische Zugeständnisse an der Oberfläche, darunter eine Struktur, die Menschen unterdrückt.

Wahrscheinlich ist, dass nun bald ein Tanz um die roten Linien beginnen wird – hier eine Grenzüberschreitung der Taliban, da ein Menschenrechtsverbrechen. Und so wird der Westen wortreich Gründe finden müssen, warum man jetzt mit Extremisten kooperieren muss, die man zwanzig Jahre lang als Feind gebrandmarkt hat. Es gibt keine Alternative dazu. Bitterer hätte dieser Krieg nicht enden können.

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