Premiere «Billy Elliot»Die neuen Zürcher Musicalstars drücken noch die Schulbank
Der Musical-Hit «Billy Elliot» feierte in der Maag-Halle auf Deutsch Premiere. Die Kinder in den tragenden Rollen sorgten in der 5 Millionen Franken teuren Produktion für Standing Ovations.

- «Billy Elliot» zieht in Zürich zahlreiche Politikprominenz an.
- Das Musical erzählt die berührende Geschichte eines Knaben aus Nordengland.
- Mit über 5 Millionen Franken zählt es zu den grössten Produktionen der Betreibenden der Maag-Halle.
- Die Zürcher Inszenierung besticht durch talentierte Kinder und eindrucksvolle Gruppenchoreografien.
Zürich hat mit «Billy Elliot» ein neues Musical, und ein Teil des Stadt- und Regierungsrats hat es schon gesehen: An der Premiere in der Maag-Halle am Wochenende wurden unter anderen Natalie Rickli (SVP), Martin Neukom (Grüne), Jacqueline Fehr (SP), Mario Fehr (parteilos) und Filippo Leutenegger (FDP) gesichtet.
Sie verfolgten die Geschichte vom Halbwaisen Billy Elliot, die im englischen Arbeitermilieu angesiedelt ist. Der Knabe will lieber Ballett tanzen, als im Boxring zu stehen, was er entgegen allen Widerständen schafft.
Die deutschsprachige, nicht subventionierte Zürcher Produktion hat ein Budget von über 5 Millionen Franken. 140 Personen auf und hinter der Bühne sind involviert – inklusive Liveorchester. Es stehen viele Kinder aus der Deutschschweiz auf der Bühne: Wegen arbeitsrechtlicher Gründe sind deren Rollen mehrfach besetzt.
2005 wurde das Musical um Billy Elliot mit den Songs von Elton John erstmals aufgeführt. Es basiert auf dem gleichnamigen Film aus dem Jahr 2000. Und wie der Film war auch die Musicaladaption ein Hit: Das Stück, das unter anderem im Londoner West-End und am New Yorker Broadway lief, haben mittlerweile 12 Millionen Menschen gesehen.

«Billy Elliot» ist die grösste Produktion, die die Betreibenden der Maag-Halle jemals gestemmt haben. Darko Soolfrank und Guido Schilling konnten sich als Erste die Aufführungsrechte für die deutschsprachige Inszenierung sichern. Im Vorfeld musste Regisseur Mitch Sebastian in der Deutschschweiz monatelang nach geeigneten Kinderdarstellern suchen.
Billy auf Deutsch ist zuerst gewöhnungsbedürftig
Dass Billy in Zürich Hochdeutsch spricht und singt, ist zuerst gewöhnungsbedürftig. Die Geschichte ist während des britischen Bergarbeiterstreiks 1984/85 in Nordengland angesiedelt. Margaret Thatcher ist im Amt. Die Bergleute, und damit auch Billy Elliots Vater und Bruder, wehren sich gegen die Schliessung staatlicher Bergwerke. Derbe Wörter wie «Wichser», «Scheisse» und «Arschloch», die auf der Bühne immer wieder fallen, kommen nicht an den ursprünglich nordenglischen Slang heran.
Entscheidend ist allerdings nicht die Sprache, sondern, dass die universelle Geschichte von einen Buben, der seinen Traum verfolgt, sofort ins Herz geht. Die Leistung der Kinder dürfte zudem auch jene begeistern, die sonst nicht viel mit Musicals anfangen können.
Der 12-jährige Schüler Moritz Fischli aus Luzern, der im richtigen Leben seit drei Jahren Ballett tanzt, spielt am Premierenabend Billy Elliot. Auf der Bühne verwandelt sich sein breiter Innerschweizer Dialekt in geschliffenes Bühnendeutsch.
Mit glockenheller Stimme intoniert er eine Menge Songs, er schauspielert, ohne dass es aufgesetzt wirkt, und dann kann er auch noch Ballett tanzen, an einem Seil in der Luft performen und steppen.
Der Zürcher Justin Périer begeistert als Michael
Ein Talent ist auch der Zürcher Justin Périer, der Billy Elliots besten Freund Michael spielt. Michael trägt gern die Kleider seiner Schwester, weiss, dass er Jungen mag, und steht gern im Mittelpunkt.

Das Publikum ist entzückt, wie der 14-jährige Périer mit seinem französischen Akzent einen durchgehend divenhaften Auftritt hinlegt. Überzeugend ist auch die Ballettlehrerin Mrs Wilkinson (Isabelle Flachsmann). Billy begegnet ihr nach dem Boxtraining im Gemeindesaal, als im Anschluss ihre Ballettlektion beginnt. Mrs Wilkinson fördert Billy als Tänzer, sodass er am Ende bei der Royal Ballet School in London aufgenommen wird.
Die Provinzlehrerin überzeugt, ebenso die Massenszenen
Die «Mittelstandskuh», wie Billys Vater (Pasquale Aleardi) sie bezeichnet, mimt die perfekte Provinzballettlehrerin. Immer mit einer Zigarette im Mundwinkel, entgeht ihr beim Training nichts. Sie gehört zu den wenigen, die in ihren bunten Trainingsklamotten den schrillen Modestil der Achtzigerjahre auslebt. Die streikenden Bergarbeiter aus Billys Umfeld, stets in Holzfällerhemden gekleidet, geben da optisch weniger her.

Eindrücklich sind auch die Gruppenchoreografien. Etwa, wenn das Kinderballettensemble, ausgestattet mit rosafarbenen Federfächern, erstmals mit Billy Elliott tanzt. Oder wenn ein Dutzend schwarz gekleideter Polizisten, die wegen einer Streikszene auf der Bühne auftauchen, mit Tänzerinnen im weissen Tutu performt.
Am Ende gibt es Stehapplaus
Am Schluss gibt es minutenlange Standing Ovations. Ein Fan, unschwer an seinem Shirt mit Billy-Elliot-Schriftzug zu erkennen, der bisher sämtliche Musicalversionen gesehen hat, ist begeistert von der Zürcher Produktion. «Vor allem, weil die jungen Darsteller auch steppen.» Das sei nicht überall der Fall, sagt er im Foyer nach der Vorführung. Im Merchandise-Shop decken sich die Leute mit Billy-Elliot-Socken ein, neben dem Eingang kann man Selfies mit Tutu-Kleidern machen, die Politprominenz schreitet zur Premieren-Afterparty.
Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis Schweizer Ballett- und Stepptanzschulen wegen dieses Musicals vermehrt aufgesucht werden – hoffentlich auch von Knaben.
Billy Elliot (empfohlen ab 12 Jahren), jeweils Mi–So, bis März 2025, billy-elliot.ch
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