Schäfer im InterviewWoran erkennt man schwule Schafe, Herr Stücke?
Michael Stücke ist Schäfer einer Herde, die nur aus schwulen Böcken besteht. Sogar Bill Kaulitz macht Werbung dafür. Gibts das wirklich, oder ist das woker Marketing-Quatsch?
- Michael Stücke hat eine Herde schwuler Böcke in seiner Schäferei.
- Ungefähr zehn Prozent der Tiere zeigen homosexuelles Verhalten.
- Produkte aus ihrer Wolle sind bei der jungen Generation beliebt.
- Gewinne gehen an Projekte des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland.
Michael Stücke betreibt zusammen mit seinem Mann eine Schäferei mit mehreren Hundert Schafen. Vor etwa einem Jahr ist eine besondere Herde dazugekommen: schwule Böcke. Seit Tokio-Hotel-Sänger Bill Kaulitz für sie Werbung macht, klingelt ständig das Telefon auf dem Hof im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen.
Herr Stücke, in Ihrer Herde leben 21 Schafböcke, die angeblich alle schwul sind. Wann hatten die ihr Coming-out?
Wir wissen nicht, ob die schwul sind. Das haben die Halter der Tiere festgestellt, die sie verkauft haben an eine Werbeagentur. Dort arbeitet eine Freundin von mir. Im Gespräch mit ihr kam die Idee mit der schwulen Herde auf, da wir selber hier als Männerpaar auf dem Hof leben. Die Agentur hat dann die schwulen Schafe gekauft, und unser Hof kümmert sich um sie.
Woran erkennt man denn einen schwulen Bock?
Daran, dass er kein Interesse an Mutterschafen, also an weiblichen Tieren, zeigt. Solche Böcke kann man zur Zucht nicht verwenden, deshalb sind sie für uns Landwirte … ich will jetzt nicht sagen wertlos, aber nicht so hoch angesehen. Ihr weiterer Werdegang ist normalerweise der, dass sie recht jung geschlachtet und zu Fleisch oder Wurstwaren verarbeitet werden.
Schwule Schafe, das klingt ein bisschen nach wokem Marketing-Quatsch.
Ich wusste vorher auch nicht, dass es das gibt. Aber dann habe ich mich eingelesen und unsere Hoftierärztin gefragt. Von den tierärztlichen Hochschulen gibt es mehrere Studien zu dem Thema, da ist herausgekommen, dass ungefähr zehn Prozent der Tiere homosexuelles Verhalten zeigen. Ich kann auf jeden Fall bestätigen, dass die Böcke, die wir hier haben, eindeutig schwules Verhalten zeigen.
Die besteigen einander?
Genau so ist es.
«Die junge Generation findet Schnürsenkel aus der Wolle schwuler Böcke cool.»
Sie arbeiten seit Jahrzehnten als Schäfer. Haben Sie in Ihren anderen Herden nie schwule Böcke gesehen?
Wir haben einige Böcke, aber die kommen nicht aus irgendeinem Hobbybetrieb, sondern werden alle zwei Jahre aus sogenannten Herdbuchbetrieben dazugekauft zur Blutauffrischung, damit wir eine gesunde Nachzucht bekommen. Das sind von einer Zuchtkommission ausgesuchte Böcke mit einer besonders guten Genetik. Die werden klassifiziert in Zuchtwertklassen und bewertet nach äusserer Erscheinung, Bemuskelung und Wollqualität.
Die sind also schon mal nicht schwul.
Nein, es gibt sogar eine Deckgarantie, wenn man die auf den Auktionen erwirbt. Wenn sie die Muttertiere nicht decken, kann man also reklamieren. Aber so einen Fall habe ich noch nie gehabt.
Warum brauchen schwule Böcke extra eine Herde? Ist das nicht Ghettoisierung?
Nein. Böcke werden ja generell getrennt von den Mutterschafen gehalten. Schon die jungen Böcke nehmen wir spätestens mit vier Monaten aus der Herde, weil sie irgendwann geschlechtsreif werden. Im Extremfall trinken die noch bei der Mutter Milch, können aber schon ihre Mütter, Tanten oder Geschwister decken.
Allein von der Wolle kann normalerweise kein Schäfer leben, weil die Kosten für das Scheren fast so hoch sind wie die Einnahmen durch die Wolle. Schnürsenkel für 40 Franken – zahlen die Leute so viel?
Das musste ich auch lernen, dass die junge Generation es offensichtlich cool findet, Schnürsenkel aus der Wolle von schwulen Böcken zu tragen. Das ist anscheinend etwas ganz Besonderes für die. Wir freuen uns, dass die Wolle gerettet werden kann und dass der Gewinn, der da abfällt, an Projekte des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland geht.
Sie bekommen nichts vom Gewinn?
Nein, wir leben von den Patenschaften, die Leute für einzelne Tiere übernehmen können. Davon bezahlen wir das Futter, das Scheren, die medizinische Versorgung…
21 Schafe werfen nicht viel Wolle ab, wie stellen Sie sicher, dass die Produkte wirklich aus «schwuler» Schafwolle sind?
Die Wolle wird schon bei der Schur getrennt und vorsortiert. Wir scheren die Schafe nicht nur bei uns auf dem Hof, sondern waschen und kämmen die Wolle auch selbst. Dann geht sie zum Verspinnen und Zwirnen, das organisiert die Agentur. Eine ganze Pulloverkollektion könnte man daraus nicht machen, aber für Schnürsenkel braucht man ja nicht viel Wolle.
«Bill Kaulitz war wie jeder andere, der es nicht gewohnt ist, zwischen Schafen zu stehen.»
Bill Kaulitz wirbt für die Produkte und hat zwei Patenschaften übernommen.
Als ich das erste Mal gehört habe, Bill Kaulitz kommt zu Dreharbeiten zu uns auf den Hof, da musste ich mich erst mal setzen und zweimal ein- und ausatmen. Ich dachte: Warte erst mal ab, ob der wirklich kommt.
Aber er kam.
Ja. Es gibt da ja zwei Designer aus Berlin, die aus der Wolle diesen Anzug – ich weiss gar nicht, ob ich die richtigen Worte benutze – oder dieses Kostüm für ihn geschneidert haben. Das wurde ihm dann auch angezogen, und darin war er hier bei uns.
Wie war Bill Kaulitz so inmitten einer Bockherde?
Völlig normal. Also so wie eben jeder andere, der es nicht gewohnt ist, zwischen Schafen zu stehen. Er war sehr liebevoll, hat interessiert Fragen gestellt. Das war nicht abgehoben, das war total okay. Hätte ich vorher nicht erwartet.
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Ihre anderen Lämmer werden irgendwann geschlachtet. Droht den schwulen Böcken dieses Schicksal auch?
Nein, die sind zu alt, das Fleisch schmeckt sehr streng. Früher, etwa zu Kriegszeiten, hielt man Schafe, um Wolle zu gewinnen, und kurz bevor sie eines natürlichen Todes starben, hat man sie geschlachtet. Deshalb spukt heute noch in der alten Generation das Vorurteil herum, dass Lammfleisch nicht schmackhaft sei. Aber das schmeckt wunderbar, wenn es denn Lammfleisch ist und nicht von alten, ausgewachsenen Tieren. Das Leben der schwulen Böcke endet wahrscheinlich wie das eines Haustiers: Wenn die Gebrechlichkeiten des Alters zu gross werden und Schmerzmittel nicht mehr helfen, dann werden die Tiere eingeschläfert. Oder sie sterben eines natürlichen Todes.
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