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Foto-Serie «Screen Time»
Bilder der Sucht

Besucherinnen und Besucher bei der Eröffnung der Biennale in Venedig im Jahr 2019.
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Die Szenen sind so allgegenwärtig, dass wir sie kaum mehr wahrnehmen. Menschen starren in ihre Smartphones, überall und jederzeit. 

Der britische Fotograf Dafydd Jones macht unsere Fixierung auf die kleinen, leuchtenden Geräte sichtbar. In seiner Bilderserie «Screen Time» lässt er die Menschen dabei seltsam entrückt und doch ganz gewöhnlich aussehen. Es ist die Ambivalenz, die der Smartphone-Nutzung innewohnt: Die Handys sind nicht mehr wegzudenken – und zugleich ist da die Ahnung, dass der Konsum nicht mehr gänzlich kontrollierbar ist.

Ein Bus in London, aufgenommen am 28. Januar 2016.
Bildschirme an der Wand und in der Hand: Menschen auf einer Rolltreppe.

Jones hatte die Idee zur Serie bereits vor 15 Jahren, 2007 hat er das erste Foto der Reihe geschossen. «Ich war an der coolsten Party der Miami Art Fair. Und da war dieser Mann, der den ganzen Abend damit verbrachte, SMS zu schreiben und die Menschen neben ihm komplett zu ignorieren», sagt Jones. Er drückte auf den Auflöser.

«Ich wollte immer zeigen, was wirklich passiert auf diesen Partys.»

Dafydd Jones

Dafydd Jones ist in den 1980ern berühmt geworden als Society-Fotograf, arbeitete für die grossen Magazine wie «Tatler» und «Vanity Fair» und wurde zu einem der bekanntesten Chronisten der britischen Upperclass. In dieser Funktion hatte Jones auch Zutritt zu den exklusivsten Veranstaltungen im Königreich – und so sind auf seinen Bildern auch Adlige oder Rockstars wie etwa Ronnie Wood von den Rolling Stones zu sehen. Auch sie erliegen dem Sog der kleinen Bildschirme, natürlich.

Jones’ Fotos erwischen die Menschen, wenn sie sich unbeobachtet fühlen. «Ich wollte immer zeigen, was wirklich passiert auf diesen Partys.» Das heisst dann eben ganz unspektakulär: Die Menschen hängen auch dort an ihren Handys.

Eine Tatsache, die den Fotografen immer wieder irritiert: «Es ist bizarr. Ich war an glamourösen Events, wo der Champagner in Strömen floss, und am Ende des Abends nehmen alle ihre Handys hervor und schauen, was auf Instagram läuft. Anstatt miteinander weiterzuziehen.» 

Eine Party im Savile Club in London.
Besucherinnen einer Vernissage in London (2015).

Man kann sich verlieren in der Tiefe der Bilder: Auf den ersten Blick sind oftmals gar nicht alle Smartphones zu erkennen, die Handysucht reicht aber bis in die hintersten Winkel von Jones’ Fotografien. Und eben: Auch an Orten und in Momenten, wo man sich bestens in der Gegenwart verlieren könnte – am Strand, im Museum, beim Feiern – erfasst der unheimliche Sog der Geräte die Menschen. Darüber kann man staunen, aber auch schmunzelnd drüberstehen.

Knutschen und Nachrichten checken: Paar bei einem Debütantenball.

Denn es ist nichts als logisch, dass wir Smartphones benutzen, gern auch oft und an den verschiedensten Orten. Wer pendelt, kann sich die Zeit vertreiben. Wer dringend eine Information braucht, kann googeln. Wer einen schönen Moment teilen will, kann ein Bild verschicken oder hochladen.

Dafydd Jones’ Fotos stellen unaufdringlich die Frage: Bin ich mir bewusst, wie oft ich das Ding zücke? Könnte es vielleicht ein bisschen weniger sein? «Das Traurigste, was ich gesehen habe, war ein Fotograf, der so beschäftigt war mit seinem Smartphone, dass er vergass, Fotos zu machen», sagt Jones. 

Dass die Handynutzung problematisch werden kann, ist inzwischen wissenschaftlich belegt, der Übergang zur Handysucht ist fliessend. Gemäss einer Schweizer Studie von 2020 verbringen Jugendliche unter 20 Jahren während der Woche im Schnitt 3 Stunden und 47 Minuten täglich an ihrem Smartphone, an den Wochenenden sogar 5 Stunden 16 Minuten. Tendenz steigend. US-Amerikanerinnen und -Amerikaner aktivieren im Schnitt ihr Smartphone 344-mal pro Tag, wie eine Befragung 2021 ergeben hat.

So haben Smartphone-Softwares längst auch Möglichkeiten einprogrammiert, um die Nutzungszeit besser kontrollieren zu können – über das Erfassen der Bildschirmzeit oder das Blockieren von Apps nach einer bestimmten Dauer. Für die Beklemmung, die Menschen fühlen, wenn sie ihr Handy vergessen haben, gibt es ein Wort: Nomophobia – No-Mobile-Phone-Phobie.

Szene bei einem Charity-Essen.

Auf einem Foto ist eine Frau an einem Restauranttisch zu sehen, Blick und beide Daumen fixiert am Gerät, das Gesicht in sanftem Screen-Blau erleuchtet. Hinter ihr, leicht unscharf, knutscht ein Paar. Dieser Moment macht greifbar, worum es Jones mit seiner Fotoserie, aber auch im alltäglichen Umgang mit dem Gerät geht: Es kann viel aufregender sein, wenn man es weglegt.

Gesammelte Bilder aus der Serie sind im Buch «Screen Time» (Circa Press) bereits 2019 erschienen.