Spektakuläres Comeback«Big Joe» Thornton kehrt zurück auf Schweizer Eis
Der 41-jährige Superstar überbrückt die Pause bis zum NHL-Start beim HC Davos. Er ist sicher, dass sein Debüt am Samstag auch Arno Del Curto verfolgen wird – auch wenn der gar nicht mehr sein Trainer ist.
«Ja, die 97!», sagt Joe Thornton, gerade vom Eis nach dem Mittagstraining gekommen, angesprochen auf die Nummer auf seinem Traineranzug und lächelt: «Wie in den alten Zeiten.» Die «alten Zeiten», das war die Saison 2004/05, als während des Lockouts in der NHL die Stars aus Nordamerika ganz Europa und vor allem die Schweiz fluteten und bei den Eishockey-Fans für unvergessene Erinnerungen sorgten. Ganz auf «Tutti» ging damals der HC Davos, er setzte voll auf die «Lockout-Taktik», obwohl zunächst nicht klar war, dass die ganze NHL-Saison ausfallen würde. Die Bündner holten nicht nur Thornton, sondern auch noch den damaligen NHL-Torschützenkönig Rick Nash sowie den Finnen Niklas Hagman. Am Ende der Saison war Davos Schweizer Meister.
Thornton spielte damals mit der 97 statt seiner ewigen NHL-Nummer, der 19. Es gibt «reguläre» Importspieler, die sich die Rückennummer im Vertrag garantieren lassen, Thornton wollte damals schon nicht HCD-Verteidiger Michael Kress die Nummer «klauen», obwohl der darauf verzichtet hätte. Nun macht es Thornton gleich: «Marc Aeschlimann trägt hier die 19, ich werde ihn sicher nicht fragen, ob er wechseln will. Und mein kleiner Sohn bat mich, wieder die 97 zu nehmen.»
Das sind kleine Episödchen, die aber im Grossen und Ganzen die «Figur Joe Thornton» in Davos ausmachen. Knapp 110 Millionen US-Dollar hat er in seiner mittlerweile 23-jährigen NHL-Karriere verdient, er wurde in Davos dennoch stets als bodenständiger Spieler, als «Einer von uns» wahrgenommen.
(Fast) gratis für den HCD
Thornton weilt bereits seit August in Davos, machte das volle Trainingsprogramm der Bündner mit und absolvierte zusätzliche Privat-Einheiten. Während der Saison 2004/05 lernte er seine heutige Ehefrau Tabea kennen, eine Aargauerin, die in Davos arbeitete. Seither verbrachte er praktisch jeden Sommer im Landwassertal, das Paar besitzt hier eine Wohnung. Seit einem Jahr ist Thornton im Besitz des Schweizerpasses, er wird das Ausländerkontingent des HCD nicht belasten.
All diese Komponenten tragen auch dazu bei, dass Thornton vorerst gratis für den HCD spielen wird. Ein NHL-Vertrag muss auch nicht versichert werden, da Thornton gerade auf Clubsuche für 20/21 ist. Davos hat sich mit Thornton darauf geeinigt, ihm eine kleine Entschädigung für seinen Einsatz in blau-gelb zu zahlen, allerdings erst nächste Saison und auch nur dann, wenn je nach Folgen der «Corona-Saison» es die Umstände dem Club erlauben.
Das haben die Verantwortlichen auch mit der Mannschaft so besprochen. Der Hintergrund: Auch in Davos wurden die Spielerlöhne wegen Corona teilweise erheblich gekürzt, es kommt darum in den meisten NL-Teams derzeit nicht nur gut an, wenn plötzlich neue Spieler verpflichtet werden. In Davos sehen sie das anders: Thornton besitzt seit Jahren einen eigenen Schlüssel für die Arena und auch für die Trainingshallen. Er kann kommen und gehen, wann und wie er will. Für Trainer Christian Wohlwend ist darum klar, dass keiner im Team sauer sein wird, weil Thornton einen Platz belegt: «Joe ist keiner, der neu dazu stösst. Er ist bereits einer von uns.»
Der Respekt vor Spiel 1
Die Rapperswil-Jona Lakers werden am Samstag der erste Gegner für den HC Davos mit Thornton sein. Das weckt Erinnerungen an 2012/13, als während des zweiten Lockouts in der Karriere des Kanadiers er und Rick Nash erneut nach Davos zurückkehrten und im ersten Match gegen die St. Galler für einen 9:3-Sieg sorgten. Das Duo war nicht aufzuhalten, Nash feierte, jeweils auf Zuspiel Thorntons, schon im Startdrittel einen Hattrick.
So rund wird es am Samstag kaum laufen. Die Frage stellt sich generell: Wie gut wird Thornton mit 41 Jahren in der etwas wilden Schweizer Tempo-Liga sein? Wie gut wird sein Körper damit umgehen, dass er seit März und dem letzten Spiel mit San Jose, als Corona kam und alles beendete, kein Spiel mehr bestritt? Die Sharks verpassten das Playoff bekanntlich. Der Respekt sei gross vor diesem ersten Match am Samstag, sagt Thornton: «Mein Timing in Spielsituationen wird nicht mehr da sein, das muss ich erst wieder finden. Und ich werde müde sein nach dem ersten Shift, müde sein nach dem ersten Drittel. Und am nächsten Morgen erst … Es wird eine Herausforderung sein.»
Das schlechte Ende in San Jose
Dieses in allen Belangen unbefriedigende Ende im März, es war nicht einfach zu verdauen für Thornton. «Wir waren uns seit Jahren gewohnt, lange zu spielen, 2019 standen wir ja sogar im Playoff-Halbfinal.» Nun waren die Sharks aber eines der drei schlechtesten Teams der NHL, Thorntons Vertrag war ausgelaufen, Corona schlug an der Westküste besonders schnell und heftig zu – den Stürmer plagten viele unangenehme Fragen. Er fasst 2020 so zusammen: «Ein komisches Jahr, eines, das wir so hoffentlich nie mehr erleben.» Seine Worte in Gottes Ohr …
Ungewöhnlich wird auch das sein: Thornton wird am Samstag nicht nur sein erstes NL-Spiel als Schweizer bestreiten («Das ist eine Ehre für mich! Und mein Deutsch ist mittlerweile ganz passabel …»). Sein Coach wird erstmals auch nicht Arno Del Curto heissen. Es war der «ewige HCD-Trainer», der ihn 2004 nach unzähligen nächtlichen Telefonaten und der ihm eigenen nötigen Portion «positivem Wahnsinn» und Mut nach Davos gelotst hatte. Der Kontakt blieb bestehen, es war auch 2012 sofort klar, dass Thornton zu Del Curto nach Davos kommen würde.
Die beiden sind bis heute Freunde geblieben. «Ich habe schon mit Arno gesprochen», sagt Thornton. Ich bin sicher, er wird zuschauen bei meinem ersten Spiel.» Und ja, komisch werde das auch sein, für Davos zu spielen und nicht von Del Curto gecoacht zu werden: «Er ist ein guter Freund. Er ist einfach der Grösste, eine Legende hier in der Schweiz.» Auch Christian Wohlwend, seinen neuen Davoser Coach, hat Thornton bereits gut kennen gelernt – und auch bei ihm diesen «positiven Wahnsinn» festgestellt: «Er hat da definitiv etwas von Arno.»
Die Schlagzeilen aus Toronto
Thornton macht nun Schlagzeilen in der Schweizer Eishockeyszene. Für solche sorgte er bereits am Mittwoch, aber in Nordamerika. Die Spekulationen, dass er bei den Toronto Maple Leafs einen 1-Jahres-Vertrag zum «Discount-Preis» von einer Million Dollar unterschreiben würde, machte die Runde, auch in seriösen Medien. Mit diesem für NHL-Verhältnisse «kleinen» Lohn könnten die Maple Leafs Thornton in einer kleineren Rolle in ihre bereits teure Star-Truppe integrieren, ohne den Salary Cap, die Lohnobergrenze in der NHL, zu überschreiten.
«Ich habe das mitbekommen, den ganzen ‹Buzz›, die Fragen, was passieren wird mit mir …», sagt Thornton. Er hoffe, in ein paar Tagen mehr sagen zu können, wie seine Zukunft in der NHL aussieht. Der Saisonstart in der NHL ist vorerst auf den 1. Januar 2021 geplant, vieles bleibt aber nach wie vor ungewiss. «Der Wunsch, weiter dort zu spielen, ist da», sagt Thornton. «Ich werde mich hier in der Schweiz gut darauf vorbereiten können.»
Ebenfalls mitbekommen habe er die unzähligen Meldungen von Sharks-Fans via soziale Medien. Der Tenor: Nach 15 Jahren im Sharks-Dress könne es doch nicht sein, dass er nun noch andere Farben trage in der NHL. Thornton lächelt verlegen und sagt: «Ich kann immer noch dorthin zurückgehen, es ist alles offen. Ich habe auch gesehen, dass mein alter Kollege Patrick Marleau nun auch wieder in San Jose spielen wird.»
Flügel oder Center? Beides möglich
In Davos ist natürlich auch noch diese Frage offen: Wie und wo wird Thornton spielen? Seine ganze Karriere spielte er als Center – ausser in Davos, wo ihn Del Curto vor allem 2004/05 sehr oft als Flügelstürmer brachte. Auch Wohlwend hat sich diese Option offen gelassen: «Er kann ja beides, wir können ihn dort einsetzen, wo wir ihn gerade am meisten benötigen.» Besonders auf Thorntons Rolle als Spielmacher freut sich der HCD-Coach: «Joe ist ein Powerplay-Gott!»
Thornton selbst denkt, dass er in der Mitte beginnen wird: «Es ist vorgesehen, dass ich mit Luca Hischier und Aaron Palushaj eine Linie bilde. Aber auch Luca kann Center spielen, vielleicht werden wir also rotieren. Wir werden so oder so eine gute Linie sein.»
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