US-Präsident weist Kritik von sich Biden schiebt die Schuld den Afghanen und Trump zu
Trotz des chaotischen Abzugs verteidigt der US-Präsident sein Vorgehen. Doch das überzeugt nicht einmal alle in der eigenen Partei.
Es könnten die Fluchtbilder aus Kabul sein, die Joe Bidens Präsidentschaft prägen werden. Ausgerechnet er, der sich als gewiefter Aussenpolitiker – im Gegensatz zu Donald Trump – präsentiert hatte, ausgerechnet er steckt die grösste aussenpolitische Niederlage der USA seit Jahrzehnten ein.
Bereits geht der Begriff von «Biden's Kabul moment» um, vergleichbar mit Bushs Blamage beim Hurrikan Katrina oder mit Obamas und Clintons Debakel beim Angriff auf die Botschaft in Benghazi.
Während die Taliban am Sonntag in Kabul einmarschierten, schwieg Biden. Am Montag entschied er sich, vom Sommersitz in Camp David ins Weisse Haus zurückzukehren, um in die Offensive zu gehen. Kritik wischte er vom Tisch. «Es gibt nie einen guten Zeitpunkt für einen Abzug.» Wohl sei die Evakuierung nicht optimal gelaufen, die Taliban hätten das Land zwar schneller erobert als erwartet. Aber die USA seien auf alle Eventualitäten vorbereitet gewesen.
Die Schuld für das Chaos schob Biden anderen zu: Von Donald Trump habe er eine Verpflichtung geerbt, das Land bis Mai zu verlassen. Keine Option sei es gewesen, eine neue jahrelange Mission zu starten. «Ich nehme lieber die Kritik auf mich, als die Verantwortung einem fünften Präsidenten weiterzureichen», sagte Biden.
Mehrmals machte der US-Präsident die Afghanen selbst für die Lage verantwortlich. Die politischen Führer und die Armee hätten das Land im Stich gelassen. «Jetzt zu gehen, war die richtige Entscheidung», folgerte Biden. «Amerikanische Soldaten sollten nicht in einem Krieg sterben, den nicht einmal die afghanische Armee für sich selbst zu kämpfen bereit ist.»
Auf die Taliban einwirken will Biden in Zukunft mit Diplomatie, diese soll Gewalt und Instabilität beenden – obwohl sie das schon bisher nicht schaffte. Und für den Notfall drohte Biden den Taliban militärische Vergeltungsschläge an.
Das Unbehagen ist gross
Einige Demokraten priesen Bidens Rede als stark, andere scheinen skeptischer. Der Kalifornier Scott Peters etwa räumte ein, man werde untersuchen müssen, «warum wir das so falsch gemacht haben». Priorität habe aber jetzt, die Amerikaner in Afghanistan und ihre Helfer sofort ausser Landes in Sicherheit zu bringen.
Über diese Rettungsübung referieren demokratische Vertreter derzeit in allen Details – ohne je den Elefanten im Raum zu erwähnen: die Frage, ob Zeitpunkt und Art des Abzugs richtig waren. Das Ausweichmanöver ist ein Zeichen dafür, dass das Unbehagen vieler mit Bidens Afghanistan-Politik gross ist, sie das aber nicht jetzt zur Sprache bringen wollen.
Hart formulieren die Republikaner ihre Kritik. Bidens Rede sein eine einzige Lüge gewesen, wetterte die Abgeordnete Lauren Boebert aus Colorado, berüchtigt für ihre ultrarechten Ansichten. «Das amerikanische Volk argumentiert nicht, wir hätten in Afghanistan bleiben sollen», schimpfte Boebert. «Wir sind wütend, dass du Amerikaner am Boden im Stich gelassen hast und der inkompetenteste Präsident der amerikanischen Geschichte bist.»
Bidens wunder Punkt
Die Kritik der Trump-Freunde ist teilweise falsch – alle Amerikaner konnten in Sicherheit gebracht werden -, vor allem aber ist sie unehrlich: Trump hatte die Truppenpräsenz in Afghanistan jahrelang zurückgefahren, was die Taliban erstarken liess. Trump versprach ihnen darauf den Abzug schon für Mai dieses Jahres.
Einen wunden Punkt in Bidens Argumentation treffen die Republikaner aber. Der US-Präsident stellt seine Auswahl binär dar, als habe er nur zwischen sofortigem Abzug und langjährigem Engagement entscheiden können. Dabei lagen zahlreiche Pläne für einen schrittweisen Rückzug vor, viele Experten hatten vor den Folgen eines überstürzten Abmarschierens gewarnt.
Biden argumentiert populistisch, kann aber für sich beanspruchen, seiner Linie treu zu bleiben. Schon als Vize-Präsident hatte er den Afghanistan-Einsatz hinterfragt. Er ist sich sicher, mit seiner Entscheidung auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen – wiewohl der frühere Verteidigungsminister Robert Gates einmal spitz bemerkt hatte: «Biden lag fast bei jeder grösseren aussen- und sicherheitspolitischen Entscheidung der vergangenen vierzig Jahre falsch.»
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