US-Sanktionen wegen CyberangriffenBiden erhöht den Druck auf Russland
US-Präsident Joe Biden setzt neue Prioritäten: Nach dem Abzug der Truppen aus Afghanistan nimmt er sich Russland vor und geht gegen die Geheimdienste des Kreml vor.
«Statt in den Krieg mit den Taliban zurückzukehren, müssen wir uns auf die Herausforderungen konzentrieren, die vor uns liegen», sagte US-Präsident Joe Biden, als er am Mittwoch das Ende des längsten Kriegs der USA ankündigte. Ja, man müsse Terrornetzwerke bekämpfen, aber längst seien die weit über Afghanistan hinaus verbreitet. Vor allem aber «müssen wir die Wettbewerbsfähigkeit der USA stärken, um im harten Wettbewerb mit einem zunehmend selbstbewussten China zu bestehen». In diesem Satz liegen die beiden wichtigsten Prioritäten, die Bidens Politik leiten.
Zum einen konzentriert sich der neue US-Präsident auf die Bekämpfung der Corona-Pandemie, aber mehr noch auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau. Er hat ein gewaltiges Infrastruktur- und Konjunkturprogramm aufgelegt, das die USA nicht nur international konkurrenzfähiger machen soll, sondern auch sozial gerechter.
Zum anderen legt Biden den Fokus in der Aussen- und Sicherheitspolitik auf China, das er als globalen systemischen Wettbewerber sieht. Aussenminister Tony Blinken hatte sich bei einem ersten Treffen mit hohen Regierungsvertretern aus Peking im März in Anchorage entsprechend heftige Wortwechsel geliefert.
Der grösste Hackerangriff der US-Geschichte
Ebenso will Biden Russland, dem ewigen Gegner in Europa – anders als Trump – entschieden entgegentreten. Das wurde am Donnerstag einmal mehr klar: Als Reaktion auf Hackerangriffe gegen die Computersysteme der US-Regierung und Netzwerke von Unternehmen verhängte der Präsident Sanktionen gegen Moskau. Die Spionageattacke über das Programm Solarwinds gilt gemäss Sicherheitsexperten als die grösste der US-Geschichte, der Schaden ist bis heute nicht eingegrenzt. Die USA machen nun explizit den russischen Auslandsgeheimdienst SWR dafür verantwortlich. Weiter führte Biden als Begründung an, dass Russland in Afghanistan Aufständischen Kopfgeld versprochen habe, wenn sie amerikanische Soldaten töten.
Während Trump den Hack, im Widerspruch zu Experten seiner Regierung, ebenso herunterspielte wie Moskaus Versuche, zu seinen Gunsten die US-Wahlen zu beeinflussen, greift Biden zu scharfen Mitteln der Vergeltung: US-Finanzinstitutionen wird es verboten, neu ausgegebene russische Staatsanleihen bei der Zentralbank, dem Finanzministerium oder dem Staatsfonds zu kaufen oder diesen Staatsanleihen zur Verfügung zu stellen.
Zugang zum Dollarmarkt einschränken
Wie stark Russland darunter leiden wird, ist fraglich. Zwar wird es für den Kreml komplizierter, Geld aufzunehmen und an Dollar zu gelangen. Doch ist die Schuldenlast Russlands vergleichsweise gering, und lokale Banken könnten für die nun fehlenden US-Investoren einspringen. Die Behörden in Moskau werden nun versuchen, die Risiken für Investoren aufzufangen. Wie die amerikanische Handelskammer in Moskau der Nachrichtenagentur DPA sagte, dürften US-Banken die Geschäfte in Russland erschwert werden.
Auf begrenzte unmittelbare Auswirkungen deuten auch Vorgänge an den Finanzmärkten hin: Die Staatsanleihen und die russischen Börsen gerieten nach den ersten Nachrichten über die Ausweitung der Sanktionen unter Druck, auch der russische Rubel verlor zunächst an Wert. Doch im Verlauf des Tages verringerten sich die Verluste wieder. Eine mögliche Lesart ist, dass die US-Regierung zunächst testen wollte, welche Folgen die Finanzsanktionen haben werden – um sie später allenfalls zu vertiefen.
Zudem weisen die USA zehn Diplomaten der russischen Botschaft aus, unter ihnen Geheimdienstmitarbeiter. Ähnliche Schritte hatte schon Obama unternommen, als er auf die russischen Versuche der Wahlmanipulation vor fünf Jahren reagierte. Neu werden sechs Technologiefirmen, die dem Geheimdienst zuarbeiten, mit Sanktionen belegt. Desgleichen 32 Personen und Organisationen, die im Auftrag des Kreml versucht hätten, die US-Wahlen zu manipulieren. Gegen acht weitere Personen oder Firmen erliessen die USA Strafen wegen der anhaltenden Besetzung der Krim durch Russland; dies ist mit der EU und anderen Verbündeten abgestimmt.
Russland bezeichnet Sanktionen als illegal
Russland bestellte den US-Botschafter ins Aussenministerium ein. Bereits zuvor hatte der Kreml mit Gegenmassnahmen gedroht. Sprecher Dmitri Peskow sagte am Dienstag, derartige Schritte seien illegal. Biden hatte Russland Präsident Wladimir Putin ein Gipfeltreffen angeboten, um Streitthemen zu besprechen, nicht zuletzt den Aufmarsch russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine. Darüber werde aber erst nach einer «Analyse der realen Situation, der realen nächsten Schritte» entschieden, warnte Peskow. Nach dem Telefonat der Staatschefs hatten die USA zwar die geplante Verlegung von zwei Kriegsschiffen ins Schwarze Meer gestoppt. Doch die Sanktionen machen ein Treffen nicht wahrscheinlicher.
Bidens Ansatz umfasst auch den Umgang mit dem Iran: Die Rückkehr zum Atomabkommen würde eine Eskalation um Teherans Nuklearprogramm abwenden, die in den USA, Israel und den Golfstaaten Rufe nach einem gezielten Militärschlag nach sich ziehen dürfte. In seinen Memoiren schrieb Obama, das Weisse Haus habe Szenarien für einen solchen Konflikt durchgespielt. Er habe diese Gespräche beschwert von dem Wissen verlassen, dass «fast alles andere, was ich erreichen wollte, wahrscheinlich über den Haufen geworfen würde, wenn Krieg notwendig würde». Das dürfte Biden ähnlich sehen.
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