Bestsellerautor Axel Hacke im Interview«Ich wusste, wenn ich nicht kündige, dann werde ich wirklich krank»
Der Heiterkeitsmeister kennt keine Scham und schildert im neuen Buch alles von Hörsturz bis Erektionsstörung. Hier sagt er, was wirklich zählt.
Axel Hackes Lieblingsdoktor ist sein Urologe. Der ist älter als Donald Trump, war aber die richtige Anlaufstelle für Hackes temporäre Erektionsprobleme, von denen er auch im neuen Buch «Aua! Die Geschichte meines Körpers» erzählt. Als Mann mit Jahrgang 1956 hat der Münchner Kultautor noch andere Baustellen, über die er so klug, heiter und ausgreifend berichtet, dass der Band als eine Art philosophisch-anekdotische Arztvisite durchgeht. Vor seinem Auftritt in Zürich am 7. Dezember haben wir Hacke gefragt, wo er Kraft schöpft.
Herr Hacke, dass wir heute Ihr Buch «Aua!» lesen können, verdanken wir einer Körpersache, die Sie dort erzählen. Sie hatten 1998 einen Hörsturz. Statt der geplanten Reportagereise gabs Bettruhe und Kortison. Dann entschlossen Sie sich, zu kündigen?
Ich wusste, wenn ich das nicht mache – also wenn ich nicht einmal in meinem Leben ein Risiko eingehe, wenn ich meine Festanstellung bei der «Süddeutschen Zeitung» behalte und nicht das mache, wovon ich geträumt habe, nämlich Schriftsteller zu sein –, dann werde ich wirklich krank. Davon war ich überzeugt. Auf der anderen Seite hoffte ich, als Schriftsteller eine tolle Zeit zu erleben. Ich bin zwar ein ängstlicher Mensch, habe mich aber für die Hoffnung entschieden. Den Zeitungsjob habe ich nicht mehr ausgehalten. Zeitungsreporter sein heisst, mit einer grossen Ungewissheit zu leben, jeden Tag. Das war für mich sehr belastend.
Inwiefern Ungewissheit?
Da ist dieser Druck: Werde ich genug erleben, um darüber schreiben zu können, werde ich rechtzeitig fertig mit dem Text, die Zeit ist ja immer sehr knapp? Ich konnte das nicht mehr ertragen. Heute bin ich dankbar dafür, weil seit meiner Kündigung ja alles nur besser geworden ist. Aber mit Unsicherheit muss ich natürlich bis heute umgehen. Wenn man freier Schriftsteller ist, kriegt man kein fixes Gehalt.
Wobei Sie mit den Büchern so erfolgreich waren, dass Sie keine Zeile mehr verfassen müssten.
Natürlich würde ich nicht mehr verhungern. Aber ich habe vier Kinder und auch Enkelkinder, das kostet alles. Würde ich aufhören, müsste ich deutlich bescheidener leben, dazu hab ich irgendwie keine Lust. Und da kommt noch etwas viel Wichtigeres dazu: Ich will gar nicht aufhören zu arbeiten, mir macht das ja Spass! Ich sehe in dieser Arbeit den Sinn meines Lebens. Warum sollte ich diesen Sinn jetzt aufgeben, solange ich noch arbeiten kann, und spazieren gehen oder Golf spielen?
Ist die Fixierung auf die Arbeit als Instanz, die Sinn und Selbstwert gibt, nicht ein Problem?
Nicht jeder hat eine Arbeit, die ihn ausfüllt, aber ich denke doch, die meisten können sich irgendwas suchen im Leben, das sie erfüllt. Das muss nicht immer eine Arbeit sein. Man muss selbst nach etwas Sinnvollem suchen, und das kann doch eigentlich jeder.
Wirklich?
Ja, warum nicht? Ich will hier nicht als der Typ dazustehen, der jungen Leuten predigt. Ich denke nur nach und mache Vorschläge. Als ich jung war, bin ich auch oft am Leben verzweifelt. Mit 18, 19 war ich Bundeswehrsoldat und fand das grauenhaft. Absolut schrecklich. Auf der anderen Seite sah ich darin schon einen Sinn. Ich will damit nur sagen, mir ist es nicht fremd, das Leben bisweilen als furchtbar zu empfinden. Aber den Sinn des eigenen Daseins zu finden, ist ja gerade die Aufgabe.
Ähnliches schreiben Sie im Buch «Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wichtig uns der Ernst des Lebens sein sollte» (2023).
Genau. Man kann die Heiterkeit sehr oberflächlich betrachten und sagen: «Nimm das Leben nicht so schwer. Ist doch ganz lustig hier.» Alles gut und schön. Aber wenn man so den Ernst des Lebens verleugnet, ist es falsch. Leugnen hat keinen Sinn. Das Leben kann schrecklich und schlimm sein und bitter und traurig und ernst. Aber es hat auch eine andere Seite. Man sollte diese heitere Seite ernst nehmen. Das ist das Deutsche an mir: Ich nehme auch die Heiterkeit ernst. Aber ich glaube, dass man akzeptieren sollte, dass das ein Teil unseres Lebens ist – und dass man sich das erarbeiten kann. Wie Loriot.
Loriot?
In Deutschland ist er ja eine Legende des Humors und der Heiterkeit. Aber wenn Sie die Figuren aus den Sketchen von Loriot nehmen und ziehen da mal alles Komische ab, sind das furchtbar traurige Gestalten. Die können sich nicht mal mehr über ein Frühstücks-Ei unterhalten, ohne an Mord zu denken. Loriot hat das gesehen. Er hat das Schlimme, Ernste, Triste am Leben gesehen. Aber er hat dann einen Schritt zurück gemacht, das Ganze aus einer anderen Perspektive betrachtet und das Komische und Lustige daran entdeckt. Und er öffnet uns die Augen dafür. Ein Kabarettist, den ich besonders schätze, hat dieses Einen-Schritt-Zurücktreten selbst in schlimmsten Situationen makellos beherrscht.
Wer?
Werner Finck, den heute auch in Deutschland kaum noch jemand kennt. Der war zur Weimarer Zeit eine Berühmtheit und ein absoluter Anti-Nazi. Von den Nazis wurde er so gefürchtet, dass sie ihn 1935 ins Konzentrationslager steckten. Nur durch den Kontakt zur berühmten Schauspielerin Käthe Dorsch, die wiederum gute Kontakte zu Hermann Göring hatte, ist er da herausgekommen. Wieder in Freiheit, wurde er, wahrscheinlich mehr aus Versehen, zu einem Filmball eingeladen – und stand dort plötzlich neben Joseph Goebbels, der ihn ins KZ gebracht hatte. Da hat er dem Goebbels auf die Schulter geklopft und gesagt: «Na, Herr Minister, wollen wir uns wieder vertragen?» Diese Souveränität, diese Gelassenheit und Heiterkeit finde ich vorbildlich!
Das verlangt viel Stärke und die Fähigkeit zur Selbstironie.
Das war etwas, womit die Nazis überhaupt nicht umgehen konnten. Nazis haben ja keinen Humor in dem Sinn, der ja dessen eigentlicher Kern ist: dass man nämlich über sich selbst lachen kann. Die konnten über alles Mögliche lachen, aber nicht über sich selbst. Ich finde es interessant, dass man das schaffen kann, sogar im Angesicht der eigenen Vernichtung.
Über die Vernichtung machen Sie sich, auf einem persönlichen, nicht politischen Level, im neuen Buch Gedanken. Etwa da, wo Sie das Grab Ihres Vaters besuchen.
Mich beschäftigt, dass sowohl mein Vater als auch mein Grossvater, als auch meine Mutter Anfang beziehungsweise Mitte 70 gestorben sind. Mein Vater und mein Grossvater brachen beide mit plötzlichen Herzversagen zusammen. Eigentlich ein ganz schöner Tod, aber es hätte auch ein bisschen später sein dürfen. Je näher man an diesen Zeitpunkt kommt, desto mehr beschäftigt einen das. Das schildere ich in dem Buch auch. Aber wenn ich Angst vor etwas habe, dann handle ich. Man darf nicht wie das Kaninchen auf die Schlange starren, sondern muss irgendwas tun. So gehe ich regelmässig zum Kardiologen und zu anderen Ärzten. Damit ist schon mal viel gewonnen. Zudem treibe ich regelmässig Sport und esse einigermassen gesund. Und versuche, mich nicht stressen zu lassen.
Das Buch löst beim Lesen Stress aus: Man fragt sich, wie es mit dem eigenen Herzen, dem eigenen Gedächtnis steht.
Das wäre ja nicht das Schlechteste, denn Vorsorge ist immer gut. Auch wenn es nicht mein Ziel war, Sie zum Arzt zu schicken.
Was war Ihr Ziel?
Ich fand vor allem interessant, dass der eigene Körper sozusagen voll von Geschichten ist. Er ist ja unsere Grenze zur Welt und unsere Beziehung zur Welt. Und die Welt und die Zeit bilden sich in jedem Körper ab. Welche Narbe hat welche Ursache, welche Krankheit hat welchen Grund? Was hat man durchgemacht? Das alles mal rein auf der physischen Ebene zu erzählen, hat mir Spass gemacht. Das ist das Entscheidende.
«Die seelischen Probleme bilden sich im Körper ab.»
Empfehlen Sie prinzipiell einen konfrontativen Umgang mit Angstthemen?
Jein. Wichtig ist auch das Nein-sagen-Können. Ich würde zum Beispiel nie mehr im «Literarischen Quartett» auftreten – viel zu stressig! Und angesichts der grossen Schrecken unserer Zeit suche ich mir vielleicht in meinem Alltag irgendetwas, wo ich die Welt einen Tick verbessern kann.
Gehört dazu auch, so ein wunderbar komisches Kapitel über Vergesslichkeit zu schreiben wie in «Aua!» – weil die Angst vor Alzheimer und vor einer Blamage in einem brodelt?
Richtig. Die Einschränkung des Namensgedächtnisses im Alter ist wirklich schrecklich. Man verfällt schnell in Panik.
Würden Sie von einer Alzheimer-Diagnose erfahren wollen?
Ich will eigentlich immer alles wissen. Wenn ich etwas nicht weiss, ist die Angst ja trotzdem da. Aber ich mache mich jetzt auch nicht wahnsinnig damit, dass mir ab und zu ein Name nicht einfällt. Es gab aber schon eine Situation, in der mir nicht mehr einfiel, was ich am Abend davor gemacht hatte. Das war kritisch. Da denkt man, man hat einen Schlaganfall und macht beim Notarzt die entsprechenden Untersuchungen. Das war schon erschreckend. Letztlich wars eine harmlose Sache, eine vorübergehende Amnesie, die stressbedingt war. Ich habe keinen Krieg erlebt wie meine Eltern, aber ich lebe in einer Zeit, die seelisch auf ihre Weise sehr anstrengend ist. Und auch die seelischen Probleme bilden sich im Körper ab. Das ist eben die Geschichte, die ich zu erzählen habe.
Ist ein Aufenthalt in der harten Stadt Zürich nicht auch sehr stressig?
Ich finde, Zürich ist eine schöne Stadt, durch die ich gerne spaziere und in der ich ein paar nette Leute kenne. Sie hat auch eine gewisse Heiterkeit – allerdings muss man ein bisschen Geld mitbringen, um diese empfinden zu können.
«Axel Hacke liest und erzählt», Pfauen, 7.12. (20 Uhr).
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