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Geldpolitik
Bei den Notenbanken reissen alle Leinen

Foto: Thomas Lohnes
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Noch bis zum Jahresbeginn herrschten zwei Überzeugungen vor: Die Notenbanken sind ausgeschossen in ihren Möglichkeiten, die Realwirtschaft zu beeinflussen, und der Umfang ihrer Bilanzen hat ein unerträglich hohes Niveau erreicht. Denn die aufgeblähten Bilanzen der Notenbanken sind das Ergebnis der von ihnen in den Jahren seit der Finanzkrise geschaffenen Geldflut.

Die Krise um das Coronavirus stellt jetzt aber alles in den Schatten, was die Notenbanken in der Vergangenheit getan haben. Obwohl im Vordergrund der Hilfspakete in erster Linie die Staaten mit ihren Budgets stehen, haben die Notenhäuser insgesamt ihre Geldschleusen in einem Ausmass geöffnet wie noch nie seit ihrem Bestehen. Davon zeugen ihre Bilanzen. Seit Anfang März hat jene der Europäischen Zentralbank um rund 566 Milliarden Euro beziehungsweise um 12 Prozent zugenommen. Bei der US-Notenbank Fed sind es seither 1,8 Billionen Dollar mehr, was einem Zuwachs um mehr als 43 Prozent entspricht.

Relativ zurückhaltende Nationalbank

Von der Schweizerischen Nationalbank liegen die jüngsten Bilanzdaten erst zum Februar vor. Einen Hinweis auf die Entwicklung der von ihr geschaffenen Liquidität liefern aber die Einlagen der Banken auf den Girokonten der SNB. Weil der Franken bereits unter erhöhten Aufwertungsdruck geriet, als sich die Viruskrise noch hauptsächlich auf China beschränkt hat, stiegen Guthaben schon seit Mitte Januar deutlich an. Das lag vor allem an den Deviseninterventionen der SNB, die sich damit dem Franken-Aufwärtsdruck entgegengestemmt hat. Konkret stiegen diese Giroguthaben bei der SNB seit dem 17. Januar um 48 Milliarden Franken, was einem Anstieg um etwas mehr als 8 Prozent entspricht.

Der Vergleich dieser Zahlen macht deutlich, dass die Schweizerische Notenbank relativ zurückhaltend geblieben ist. Das zeigt sich auch an ihrem Vorgehen: Ihren Leitzins hat sie nie gesenkt – mit minus 0,75 Prozent befindet er sich allerdings auf dem internationalen Rekordtief. Aber auch sonst hat sie keine radikalen neuen Programme zur Geldversorgung losgetreten. Devisenmarktinterventionen bleiben wie schon das ganze letzte Jahrzehnt der wichtigste Grund für die Vergrösserung der Notenbankbilanz.

Bei den Neuerungen handelt es sich um Massnahmen, um die Banken bei der Kreditvergabe an mittlere und kleinere Unternehmen (KMU) zu unterstützen, die jetzt sonst wegen Liquiditätsknappheit vom Konkurs bedroht wären. So hat die SNB die Freigrenze für Einlagen der Banken erhöht, die von Negativzinsen verschont bleiben. Die wichtigste Massnahme besteht darin, dass die SNB den Banken Liquidität gewährt, wenn diese im Gegenzug Kredite an KMU im gleichen Umfang an die SNB abtreten. Diese wird dann faktisch Gläubigerin der Unternehmen. Allerdings sind die Banken nur bei Liquiditätsknappheit für ihre Kredite auf die SNB angewiesen, und diese geht nicht das geringste Risiko ein, da der Bund für diese Kredite zu 100 Prozent geradesteht.

Eine Finanzkrise verhindern

Das Kreditsystem am Laufen zu halten und eine Finanzkrise zu verhindern, ist auch der Hauptzweck der sehr viel umfassenderen Geldschübe der anderen grossen Notenbanken. Auch die EZB liess ihre Leitzinsen unberührt. Wie die SNB hat sie zum einen den Banken mehr Möglichkeiten zum Bezug von EZB-Geld eingeräumt, doch sie ging viel weiter. Unter anderem, indem die Banken deutlich weniger Sicherheiten für das Geld der Notenbank hinterlegen müssen. Seit dem 18. März hat sie sich zudem verpflichtet, in einem noch nie erreichten Ausmass Anleihen zu kaufen. Mit einem neu geschaffenen Notprogramm unter dem kecken Namen Pepp will sie bis Ende Jahr dafür 750 Milliarden Euro schaffen. Zusammen mit den bereits laufenden Kaufprogrammen sind das dann 1,1 Billionen Euro. Wenn nötig werde man diese Summe beliebig erhöhen, liess die Notenbank unter ihrer neuen Chefin Christine Lagarde überdies verlauten. Doch nicht nur die Beträge sind einmalig, ebenso sind es die Empfänger des Geldes. Die Zentralbank will sich explizit von bisherigen Einschränkungen befreien und kauft Anleihen von gefährdeten Staaten wie auch von Unternehmen auf, wie sie das bisher nie getan hat.

Foto: Kevin Lamarque

So weit wie noch nie geht auch die US-Notenbank Fed unter Jerome Powell. Sie hat ihren Leitzins Anfang März innerhalb von weniger als zwei Wochen um 1,5 Prozent praktisch auf null gesenkt und Ankäufe von Anleihen in unbegrenztem Ausmass angekündigt. Neun neue Programme beziffert die Notenbank selbst auf einen Umfang von 2,3 Billionen Dollar. Jetzt kauft sie sogar Schuldpapiere von Unternehmen mit schlechter Bonität (sogenannte Junk-Papiere) auf und finanziert mehr oder weniger direkt kleinere Firmen.

Ein bisher hochgehaltenes Tabu hat vor wenigen Tagen auch die britische Notenbank, die Bank of England, gebrochen. Sie stellt der Regierung jetzt direkt frisch von ihr geschaffenes Geld für deren Finanzierungsbedarf zur Verfügung. Die Regierung versprach immerhin, das Geld der Notenbank später wieder zurückzuzahlen.

Für unverantwortlich hätte das aktuelle Vorgehen der Notenbanken noch vor wenigen Wochen gegolten, weil bei einer solchen Geldflut die Befürchtung einer späteren Inflation steigt und weil dadurch massive Fehlanreize entstehen. Noch mehr als bei der Finanzierung über den Staat können die Geldspritzen der Notenbanken den falschen Eindruck vermitteln, mit neu geschaffenem Geld könnten alle Probleme gelöst werden. Solche Sorgen haben aktuell ein ähnlich geringes Gewicht wie mögliche Wasserschäden durch eine Feuerwehr, die einen bedrohlichen Grossbrand zu bekämpfen hat. Denn nicht nur das Vorgehen der Notenbanken und der Staaten ist einmalig, auch der radikale Einbruch der Weltwirtschaft ist es. Dennoch werden die Herausforderungen für die Notenbanker nach der Krise durch ihre aktuelle Politik noch grösser sein, als sie es bereits zuvor waren.