Bei den Kesb-Kritikern eskaliert der Zoff hinter den Kulissen
Selbst ein Mitinitiant fragt sich heute: Diente die Anti-Kesb-Volksinitiative primär als Wahlkampfvehikel für SVP-Politiker Schwander?
Der Ruf, ein Ankündigungsminister zu sein, haftet Pirmin Schwander im Bundeshaus schon länger an. Auch seine Anti-Kesb-Volksinitiative kündigte der Schwyzer SVP-Nationalrat ab dem Jahr 2016 so oft in den Medien an, bis ihm kaum noch jemand glaubte. Doch dann, im Mai 2018, schien Schwander die bösen Zungen Lügen zu strafen.
Zusammen mit der Autorin Julia Onken und SVP-Nationalrätin Barbara Keller-Inhelder lancierte er seine eidgenössische Volksinitiative doch noch. Und angesichts der Kritik, welche einzelne Kesb-Fälle immer wieder provozieren, schien die Unterschriftensammlung zum Selbstläufer zu werden.
Doch jetzt, anderthalb Jahre danach, folgt das böse Erwachen. Sogar enge Mitstreiter von Schwander fragen sich: Ist das Initiativprojekt überhaupt je seriös aufgegleist worden? «Ich fürchte, einer Art Fake-Volksinitiative aufgesessen zu sein», sagt Walter Hauser. Der Glarner Jurist ist Präsident der Anna-Göldi-Stiftung, Ex-Kantonsrichter und Ex-Journalist und trat damals als eines von acht Mitgliedern Schwanders Initiativkomitee bei.
Am letzten Donnerstag haben Hauser und Julia Onken den Bettel hingeworfen, wie die «NZZ am Sonntag» publik gemacht hat. Beide werfen Schwander vor, nicht einmal das Initiativkomitee korrekt über den Stand der Dinge zu informieren. «Ich habe keine Ahnung, wie viele Unterschriften bisher beisammen sind», sagt Hauser.
Immer wieder habe er Nachfragen gestellt. Doch ausser Allgemeinplätzen habe Schwander nichts gesagt. Sie habe im Initiativkomitee «nichts erfahren und nichts gewusst», sagt Julia Onken. «Daher braucht es mich dort auch nicht mehr.»
Keine Transparenz
Die Administration einer Volksinitiative, der Versand der Unterschriftenbögen und die Beglaubigung der Unterschriften sind extrem aufwendig. Doch laut Hauser wissen er und die übrigen Komiteemitglieder nicht einmal, wer das Sekretariat besorgt. Auf der Website der Initiative ist ein Postfach in Lachen SZ, Schwanders Wohnort, sowie ein Spendenkonto angegeben. Auch über den Spendeneingang und die Ausgaben des Komitees gebe es keine Transparenz, sagt Hauser. Er wirft sich heute vor, nicht schon früher seine Konsequenzen gezogen zu haben.
Dass die Kesb-Initiative vor dem Scheitern steht, berichtete diese Zeitung am Samstag. Schwander selber erklärte in dem Artikel zwar, einen Monat vor Ablauf der Sammelfrist seien 80'000 Unterschriften beisammen. Das reicht – wenn die Zahl stimmt – erfahrungsgemäss nicht, um am Ende 100'000 gültige Unterschriften zu haben. Das absehbare Scheitern versucht Schwander jetzt in einen politischen Erfolg umzudeuten.
Er erwäge einen «Rückzug» der Initiative, weil inzwischen auch der Bund selber das Kesb-Recht überprüfe, sagte Schwander. Für einen «Rückzug» müsste die Initiative allerdings erst einmal zustande kommen. Richtiger müsste Schwander von einem Übungsabbruch sprechen. Doch auch davon erfuhren Hauser und Onken laut eigenen Angaben aus der Zeitung.
«Stümperhaft»
Auch andere Kesb-Kritiker berichten von unguten Erfahrungen mit dem Initiativkomitee. Jean-Pierre Engler war bis vor kurzem Geschäftsführer des Vereins Kesb-Schutz. Auch Engler sagt, er habe «grosse Fragezeichen» zum Initiativprojekt. Mehrmals hätten sich Betroffene bei ihm gemeldet, welche Unterschriftenbögen für Standaktionen bestellt hätten, aber nicht erhalten hätten. Das ganze Initiativprojekt sei «stümperhaft und unprofessionell» und «die Kommunikation absolut ungenügend».
Schwander selber verteidigt sich gegen die Kritik. Er habe das Initiativkomitee am 28. August über den Stand der Dinge informiert – nur Hauser und ein weiteres Komiteemitglied waren an der Sitzung dabei, Onken unter anderem fehlte. Keller-Inhelder, die immer wieder für die Initiative spricht, war zwar an der Sitzung – ist aber überraschenderweise gar nicht Mitglied des Initiativkomitees.
Schwander sagt, es sei damals erwogen worden, nochmals mehrere Hunderttausend Franken in die Unterschriftensammlung zu investieren – doch angesichts der angestossenen Gesetzesrevision beim Bund habe man darauf verzichtet. Hauser jedoch sagt, über eine solche Investition sei in seinem Beisein nie gesprochen worden. Zudem sei die Sitzung nur auf seine Intervention zustande gekommen.
Ist alles nur Wahlkampf?
Schwander erklärt, er kämpfe nach wie vor für das Zustandekommen der Initiative. Dafür halte er derzeit viele Vorträge. Laut seiner Website finden diese Vorträge aber fast ausschliesslich im Kanton Schwyz statt. Zudem hat Schwander nach eigenen Angaben unlängst Unterschriftenbögen an 70'000 Haushalte verschickt – ebenfalls nur im Kanton Schwyz.
In Schwyz steht Schwander derzeit in einem schwierigen Wahlkampf. Seine Wiederwahl als Nationalrat ist zwar kaum gefährdet. Doch Schwander will mehr: Er will in den Ständerat und dort den Sitz seines Parteikollegen Peter Föhn verteidigen. Bei diesem Unterfangen machen ihm zwei Regierungsräte harte Konkurrenz: Finanzminister Kaspar Michel (FDP) und Baudirektor Othmar Reichmuth (CVP). Wenn Schwander gegen sie unterliegt, verliert die SVP einen weiteren ihrer bloss fünf Ständeratssitze.
Angesichts dieser Ausgangslage fragt sich Walter Hauser heute, ob die Anti-Kesb-Initiative am Ende primär Schwanders Wahlkampf gedient habe. Zumindest das Timing der Volksinitiative widerlegt diese These nicht: Am 15. November läuft die Sammelfrist offiziell ab – genau zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlgang der Schwyzer Ständeratswahlen.
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