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Sachplan Verkehr
Autos sollen raus aus den Städten

Die Schweizer Städte sollen parkplatzfrei werden. Gewerbler befürchten Einnahmenausfälle. Parkplätze in der Altstadt von Bern. 
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Das Dokument heisst bescheiden «Sachplan Verkehr». Es enthält 181 eng beschriebene Seiten. Dabei ist der Sachplan Verkehr nur ein Teil des übergeordneten Konzepts «Mobilität und Raum 2050».

Was darin steht, dürfte die Städte in den nächsten Jahren umkrempeln. Der Plan enthält im Detail, wie sich der Verkehr in den Ballungszentren entwickeln muss. Der «Fuss- und Veloverkehr», so heisst es im Papier, «ersetzt den motorisierten Individualverkehr wo immer möglich.» Der Bund tätige in Zukunft allfällige Investitionen «in erster Linie in den öffentlichen Verkehr.» Dieser sei das «Rückgrat» der Mobilität. Die Infrastruktur werde nicht nachfrageorientiert ausgebaut, also bewusst nicht dort erweitert, wo der Verkehr und damit die Nachfrage gross ist.

«Konsequente Verknappung»

Damit diese Politik funktioniert, sollen Parkplätze in den Innenstädten «gezielt abgebaut werden.» Und deren Preis soll erhöht werden. «Durch konsequente Verknappung (Anzahl und Preis) der Parkplätze am Zielort (Arbeit, Freizeit, Einkauf) werden ÖV, Fuss- und Veloverkehr gefördert.» Der Autoverkehr soll verdrängt werden, obwohl der Sachplan selber damit rechnet, dass er bald «weitgehend CO2-frei betrieben und immissionsarm» sein werde.

Die Massnahmen sind keine unverbindlichen Vorschläge. Sollte der Bundesrat den Sachplan Verkehr dereinst beschliessen, ist er für den Bund, die Kantonsregierungen und die Gemeindeexekutiven rechtsverbindlich. Richtpläne der Kantone, Nutzungspläne der Gemeinden, Entwicklungsprojekte, Konzessionserteilungen und Bewilligungen müssen ihn berücksichtigen.

«Dann stirbt die Stadt», sagt Thomas Balmer, Präsident des Gewerbeverbandes der Stadt Bern. Balmer hat sich einst für den Berner Verkehrskompromiss starkgemacht, dass oberirdische Parkplätze zugunsten von unterirdischen Parkplätzen abgebaut werden. Dies würde dem Sachplan Verkehr nicht entsprechen.

«Es ist eine schöne Utopie, dass nur noch Trams und Velos durch die Gassen fahren – aber die Realität ist anders.»

Thomas Balmer, Präsident KMU Stadt Bern

Wenn man nicht mehr mit dem Auto in die Stadt zum Einkaufen fahren könne, dann blieben diese Kunden aus der Umgebung weg und gingen ins Shoppingzentrum am Stadtrand, befürchtet Balmer. «Ich zweifle, dass das verkehrspolitisch gut ist», sagt er. Das Gewerbe ziehe schon jetzt in Scharen weg, Grund seien die zunehmenden Einschränkungen für Lieferanten und Reglementierung ihrer Tätigkeit. «Es ist eine schöne Utopie, dass nur noch Trams und Velos durch die Gassen fahren – aber die Realität ist anders.» Wer eine vielfältige und lebendige Stadt wolle, müsse eine Vielfalt von Zugangsmöglichkeiten erhalten, statt ideologisch alles verbannen, was ihm nicht passe. «Ich staune, dass derart weitreichende und verbindliche Detailplanungen nicht von Politikern, sondern Beamten beschlossen werden sollen.»

Bei weitreichenden Planungen werden in der Regel mehrere Departemente zu den Vorbereitungen beigezogen. Das war hier nicht der Fall. Ausgearbeitet wurde das Papier alleine im Umweltdepartement von Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga. Weder wurde das Staatssekretariat für Wirtschaft für die volkswirtschaftlichen Auswirkungen des Sachplans beigezogen, noch klärte das Bundesamt für Justiz ab, ob eine ausreichende Rechtsgrundlage besteht. Und weil der Sachplan nur in eine Anhörung statt in eine richtige Vernehmlassung muss, hat sich der Bundesrat ebenfalls noch nie dazu geäussert. Er wird das Papier erst bekommen, wenn er es verabschieden soll.

Mehr Veloverkehr statt Autos – der Bund will den Städten die Verkehrsverlagerung vorschreiben. 

Peter Hettich, Professor für Bau-, Planungs- und Umweltrecht an der Universität St. Gallen sagt, der Sachplan entspreche dem allgemeinen Trend, Kompetenzen von den Gemeinden zum Kanton zu verlagern und dem Bund mehr Einfluss in der Raumplanung zu geben. «Das Subsidiaritätsprinzip, wonach Entscheide möglichst bürgernah gefällt werden sollen, leidet natürlich darunter.» Die Kompetenzen des Bundes seien allerdings nicht umfassend und würden eine eigentliche Verdrängung des mobilisierten Individualverkehrs nicht erlauben.

Gewerbe befürchtet, dass Kunden abwandern

Im Parlament regt sich nun Widerstand gegen den Sachplan. Nationalräte von CVP, SVP und FDP haben 24 Fragen an Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga eingereicht. Fabio Regazzi, Tessiner CVP-Nationalrat und Präsident des Gewerbeverbandes, findet, der Sachplan müsse die individuelle Mobilität in den Vordergrund stellen, weil sie 75 Prozent der Mobilität ausmache und für das Gewerbe besonders wichtig sei.

«Das Bundesamt macht ideologische Verkehrspolitik am Parlament vorbei.»

Fabio Regazzi, Präsident Schweizerischer Gewerbeverband und Nationalrat CVP/TI

Auch mit dem Vorgehen ist Regazzi nicht einverstanden: «Das Bundesamt macht ideologische Verkehrspolitik am Parlament vorbei», findet er. Das Parlament, die Kantone und die Städte würden so entmachtet. «Diese Fragen müssen vor Ort geklärt werden – nicht von einer zentralistischen Planung durch Bundesbeamte.» Die Forderung seien eine Gefahr für das lokale Gewerbe. «Deshalb müssen das auch die lokalen Behörden entscheiden.»

Das Bundesamt für Raumplanung schreibt auf Anfrage, die Städte und die Kantone seien bei der Erarbeitung miteinbezogen worden. Es handle sich um einen Entwurf, der erst noch vom Bundesrat verabschiedet werden müsse. Der Sachplan Verkehr enge den Handlungsspielraum des Parlaments nicht ein. Auf welche Parlamentsbeschlüsse sich die Aussagen zur Zurückdrängung des Individualverkehrs im Sachplan abstützen, lässt das Bundesamt offen. Doch es nimmt den Bericht teilweise zurück: Eine Reduktion von Parkplätzen werde nicht angestrebt.