Bergler haben genugBauen, wo es nicht vorgesehen ist – wegen der Corona-Krise
Die Bergregionen leiden unter den derzeitigen Reisebeschränkungen. Politiker wollen dies nutzen, um eine alte Forderung durchzusetzen: Ausserhalb von Bauzonen soll einfacher gebaut werden können.
So etwas sollte nicht mehr passieren. «Man wollte nur einen Tunnel bauen, um den Wanderweg durch die Rheinschlucht zu vervollständigen», sagt CVP-Nationalrat Martin Candinas. Aber Umweltverbände hatten dagegen Beschwerde ergriffen – und vom Bundesgericht recht bekommen. Dabei wäre das Berggebiet gerade heute auf solche Magnete für einen nachhaltigen Tourismus angewiesen. «Die Corona-Krise hat deutlich vor Augen geführt, dass es noch viel stärker vom Tourismus abhängig ist, als wir meinten.»
Candinas ist deshalb überzeugt, dass das Bauen ausserhalb der Bauzone nicht länger verteufelt werden dürfe. Mit einem kürzlich eingereichten Vorstoss fordert der Bündner Nationalrat, dass ausserhalb von Bauzonen einfacher gebaut werden kann. Zudem sollen die Kantone vermehrt freie Hand bekommen und in sogenannten Tourismuszonen Baugesuche einfacher bewilligen können. Dies sei notwendig, damit das Berggebiet erfolgreich aus der Krise komme und Investitionen überhaupt noch getätigt würden.
Druck auf Kulturland steigt
Candinas’ Vorschlag kommt bei Landschaftsschützern schlecht an. «Das ist ein billiger Trick», sagt Raimund Rodewald, Geschäftsleiter von Landschaftsschutz Schweiz. Schon heute zeigten sich Gemeinden kreativ, wenn es darum gehe, ausserhalb von Bauzonen zu bauen. Graubünden kennt bereits eine sogenannte Erhaltungszone, Vals möchte eine Kunstzone. In dieser soll es erlaubt sein, auch auf Alpwiesen Skulpturen aufzustellen oder Kunstevents durchzuführen. Dagegen haben Umweltverbände Einsprache erhoben.
«Die Forderung, dass ausserhalb von Bauzonen einfacher gebaut werden kann, ist ein Freipass zur Zersiedelung», sagt Rodewald. Aber genau das hätten die Stimmenden 2013 mit dem Raumplanungsgesetz verhindern wollen. 63 Prozent der Schweizer Bevölkerung sagten damals Ja – vor allem jene in Städten und grossen Agglomerationen. Demnach soll bebautes und unbebautes Gebiet klar getrennt werden.
Es gibt aber eine – steigende – Zahl von Ausnahmen, und entsprechend rückt das Siedlungsgebiet immer weiter in unverbautes Kulturland vor, das eigentlich geschützt wäre: Das Bundesamt für Raumentwicklung zählte im letzten November 263’000 Wohnungen oder 6 Prozent ausserhalb von Bauzonen. Mehr als die Hälfte davon sind Zweitwohnungen.
Das Volk wollte wohl kaum, dass eine ganze Region unter Naturschutz gestellt wird.»
Rodewald befürchtet, dass mit Candinas’ neustem Vorstoss nicht nur das Raumplanungsgesetz, sondern auch das Gesetz zur Zweitwohnungsinitiative unterlaufen wird: In Tourismuszonen könnten einfacher Zweitwohnungen gebaut werden. Auch dagegen haben sich die Stimmenden 2012 ausgesprochen.
Martin Candinas entgegnet, dass er mit seinem Vorstoss nicht den Bau von neuen Zweitwohnungen ermöglichen wolle. Es gehe vielmehr darum, bestehende Bauten weiterzuentwickeln. Dabei denkt er beispielsweise an Bergrestaurants, die an die heutigen Ansprüche der Gäste angepasst werden sollen, aber auch an Ställe, die zu Maiensässen werden könnten: «Weshalb sonst soll der Besitzer viel Geld investieren, um sie instand zu halten?»
Weil dies heute oft nicht möglich sei, würden viele Bauten verfallen. Die Stimmenden hätten mit ihrem Ja zur Zweitwohnungsinitiative zwar gesagt, dass nicht mehr Land verbaut werden darf. Sie hätten sich aber nicht dazu geäussert, ob aus bestehenden Bauten etwas Neues geschaffen werden dürfe, sagt Candinas. «Das Volk wollte wohl kaum, dass eine ganze Region unter Naturschutz gestellt wird.»
Wieder ein Stadt-Land-Graben?
Candinas’ Vorstoss ist nur einer von einer ganzen Reihe, die allesamt auf eines abzielen: das Bauen ausserhalb der Bauzonen zu vereinfachen. Gleichzeitig wollen bürgerliche Kräfte das Beschwerderecht der Verbände schwächen: Sie haben einen Vorstoss des Walliser CVP-Nationalrats Philipp Matthias Bregy im Nationalrat unterstützt. Nationalen Organisationen soll es demnach verboten werden, Einsprachen gegen kleinere Bauvorhaben zu machen, also ihr Verbandsbeschwerderecht auszuüben. Die ständerätliche Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie wird diese Woche darüber diskutieren. Zudem auf der Traktandenliste: die höchst umstrittene zweite Etappe des Raumplanungsgesetzes, welche ebenfalls Erleichterungen beim Bauen ausserhalb der definierten Zonen vorsieht.
Die grünen Parteien und Umweltschutzverbände wollen dem stetig steigenden Druck auf die Raumplanung nicht mehr tatenlos zusehen. Sie haben vor einem Monat gleich zwei Volksinitiativen eingereicht: die Biodiversitätsinitiative und die Landschaftsinitiative. Mit Letzteren wollen sie dem Bauen ausserhalb der Bauzonen klare Grenzen setzen und die Zahl der Gebäude plafonieren. «Wenn im Parlament gefordert wird, dass ausserhalb von Bauzonen einfacher gebaut werden kann, ist dies ein Grund mehr, unsere Initiative zu unterstützen», ist Rodewald überzeugt.
«Der Kampf ums Land ist härter geworden», konstatiert Kurt Fluri – freisinniger Nationalrat und zugleich Präsident von Landschaftsschutz Schweiz. So ist auch er dagegen, dass ausserhalb von Bauzonen einfacher gebaut werden kann. Nach seiner Ansicht wird die klare Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet von den Kantonen zu large gehandhabt – und vom Bundesgericht zu leger ausgelegt. Er möchte den Kantonen nicht noch mehr Freiheit geben.
Nach seiner Einschätzung haben Forderungen wie jene von Martin Candinas zwar durchaus Chancen im Parlament. Aber wenn sich auch das Stimmvolk dazu äussern könne, sehe es wieder anders aus. «Dann bricht wohl wie schon bei der Abstimmung zum Jagdgesetz der Graben zwischen Stadt und Land wieder auf.» Und die Bevölkerung von Stadt und Agglomeration hat Chancen, erneut zu gewinnen.
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