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Spektakuläres Penaltyschiessen an der WM
Australien weint vor Freude – und verneigt sich vor seiner Heldin

Eine der besten Stürmerinnen des Planeten: Sam Kerr vom FC Chelsea.

Es ist ein ganz kurzer Moment, von den TV-Kameras eingefangen, der zeigt, warum Sam Kerr eben auch ein Idol Australiens ist. Die Frau mit der Nummer 20 auf dem Rücken läuft weg von ihrem Team, macht sich auf den Weg zu den Französinnen, die am Mittelkreis kauern und fassungslos den Kopf schütteln, einige weinen.

Im Rücken Kerrs, da feiern ihre Landsfrauen. Sie haben gerade australische Sportgeschichte geschrieben, auch von ihnen weinen einige. Die 29-Jährige wird später auch noch jubeln, ausgelassen gar, nun aber spendet sie zuerst einmal Trost – eine Championne, auch im Moment ihres grössten Sieges.

Was davor passiert, könnte kaum nervenaufreibender sein, darum fliessen auf beiden Seiten die Tränen. Unentschieden stand es nach 120 Minuten in diesem Viertelfinal zwischen Australien und Frankreich, es war ein gutes Spiel, obwohl es keine Tore gab. Beide Teams waren dem Sieg nah. Und das Penaltyschiessen erst, nur schon diese 20 Schüsse aufs Tor geben genug Geschichten her.

Da ist Vicki Becho, 19 erst, sie verschiesst den entscheidenden Elfmeter. Da ist Mackenzie Arnold, Torhüterin Australiens, die drei Versuche pariert, ihren eigenen aber an den Pfosten setzt. Da ist Kenza Dali, die ihren Schuss wiederholen muss, weil Arnold zu weit vorne steht, und gleich noch einmal scheitert. Da ist Solène Durand, Goalie Frankreichs, die nur für diesen Moment eingewechselt wurde, und am Ende als Verliererin dasteht.

Über all dem aber, über all diesen schönen wie erbarmungslosen Momenten der Emotionen, steht Sam Kerr. Und das nicht einmal, weil sie ihren Versuch lässig – und mit etwas Glück – verwertet. Sondern, weil sie Australien ist. Weil sie die Hoffnungen dieses Landes auf den Schultern trägt. Endlich mehr sein als ein Viertelfinalist, und das bei der Heim-WM, so sollte es dieses Jahr sein.

Sie will ihren Cathy-Freeman-Moment

Australien hatte so einen Moment schon einmal, in der Leichtathletik. Im September 2000 war das, als Cathy Freeman über 400 Meter zu Olympiagold sprintete, vor Heimpublikum in Sydney, in einem legendären Ganzkörperanzug. Die Medaille verzückte Australien, und irgendwo in Perth, im Westen des Landes, sass die kleine Samantha und war begeistert.

Der Cathy-Freeman-Moment: In Sydney erwartete das Land Gold – und die Sprinterin lieferte.

Kerr, Enkelin eines Briten und einer Inderin, war sieben Jahre jung, doch das Ereignis liess sie nicht los. «Zu sehen, wie eine Person so fokussiert sein und das ganze Gewicht einer Nation tragen kann, hat mich inspiriert», sagt sie. Nur wusste sie damals noch nicht, dass sie ihren Cathy-Freeman-Moment, wie sie es nennt, als Fussballerin anstreben würde.

Denn es deutete nicht viel auf eine Karriere in jener Sportart hin. Wie ihr Vater Roger und ihr Bruder Daniel spielte sie Football, Australian Rules. Es ging ruppig zur Sache, und Kerr kam oft mit einem blauen Auge, Platz- oder Kratzwunden oder Prellungen nach Hause. Im Nachhinein war es ihr Glück, dass sie als Mädchen bald nicht mehr mitspielen durfte, darum wechselte sie zum Fussball.

Fussball? «Mama, keine grosse Sache»

12 war sie da, und mit 15 stand sie erstmals im Aufgebot des australischen Nationalteams, ein Jahrhunderttalent, eine Stürmerin, von denen es nicht viele gibt. Aber auch eine junge Frau mit einer gewissen Unbekümmertheit. Als ihre Mutter Roxanne vom Aufgebot erfuhr, war diese aus dem Häuschen. Ihre Tochter sagte nur: «Ach, Mama, weisst du, das ist keine grosse Sache.» So erzählte es Roxanne Kerr einmal ein einem Interview.

Das kann damit zu tun haben, dass Australien zu diesem Zeitpunkt nicht gerade eine Macht war im Fussball der Frauen. Zwar mehrfach Sieger der Ozeanienmeisterschaft, doch sonst war da, abgesehen von einem WM-Viertelfinal 2007, nicht viel. Aber Sam Kerr als Nationalspielerin, das würde schon noch zur grossen Sache werden.

Sie schoss Tore, wo auch immer sie war. In Australien, den USA und in England, fast 100 Treffer sind es schon für Chelsea. Sie hat einen harten Schuss und ist für ihre 1,68 m ungehörig kopfballstark. Seit es den Ballon d’Or gibt bei den Frauen (2019), war sie jedes Mal nominiert. Sie ist die erste Frau, die es auf das Cover der internationalen Ausgabe des Konsolenspiels «Fifa» schaffte. 2022 war das, neben Kylian Mbappé.

Jetzt, beim Turnier im eigenen Land, schreibt sie mit an diesem australischen Märchen, die Gastgeberinnen stehen erstmals in einem WM-Halbfinal. Dabei mussten sie lange ohne ihre Starspielerin auskommen, Kerr verpasste die Gruppenspiele verletzt und kam in der K.-o.-Phase zu Teileinsätzen. Gegen Frankreich war ihre Klasse phasenweise zu sehen. Und das Publikum wurde immer dann laut, wenn sie etwas tat. Nur schon das Überziehen des Trikots und Zusammenbinden der Haare vor der Einwechslung reichte für Präsenz auf dem grossen Bildschirm.

In Kerrs Abwesenheit glänzten davor andere, Caitlin Foord, Stephanie Catley und Mary Fowler zum Beispiel, allesamt fantastische Fussballerinnen. Doch jede von ihnen weiss: Mit Kerr werden die starken Australierinnen nur noch besser. Und sie selbst will diese grosse Aufgabe, sie will die Erwartungen der Nation erfüllen. Wie Cathy Freeman 2000.