Eklat um Spaniens FussballerinnenNach dem Kuss-Skandal regiert das pure Chaos
Der Verband verkündet einen «Neuanfang» ohne Neue, 20 von 23 Nationalspielerinnen streiken und sollen trotzdem einrücken – und auch die Politik mischt mit.
Zuerst war da dieser Kuss-Skandal um Luis Rubiales, auf den folgte die kollektive Betroffenheit inklusive Solidaritätsbekundungen für Jenni Hermoso. Doch nun, nach vier Wochen, hat der spanische Fussball eine neue Eskalationsstufe erreicht. Es regiert das pure Chaos.
Eigentlich hatte sich der spanische Fussballverband erhofft, mit der Absetzung von Nationaltrainer Jorge Vilda und der Ernennung von Nachfolgerin Montserrat Tomé für etwas Ruhe gesorgt zu haben, insbesondere nach dem Rücktritt des (wenig einsichtigen) Präsidenten Rubiales. Vielleicht hat er die Fussballerinnen einfach für einiges blöder gehalten, als sie es in Wahrheit sind.
Letzten Freitag hätte Tomé offiziell vorgestellt werden sollen, sie hätte dann auch gleich ihr Aufgebot für die Nations-League-Partien präsentieren wollen. Dumm nur, dass ein paar Stunden zuvor ein Communiqué verschickt wurde, unterzeichnet von 39 Fussballerinnen. Darin steht unter anderem, dass vier von fünf Forderungen nicht erfüllt worden seien, weshalb sie weiterhin das Nationalteam boykottieren würden. Also verschob der Verband die Medienkonferenz, zunächst um ein paar Stunden, aus denen Tage wurden. Es wird Montagnachmittag, bis Tomé vor die Medien tritt, fast pünktlich, um 16.31 Uhr. Es ist der Startschuss zu dem, was ein spanisches Onlineportal später in einem Wort zusammenfassen wird: «skurril».
Versöhnliche Worte? Eher blanker Hohn
Dabei klingen Tomés Worte zunächst versöhnlich, aber angesichts der Situation sind sie nur eines: blanker Hohn. «Wir wollen, dass sich die Spielerinnen in einem sicheren Umfeld befinden», sagt die Frau, die fünf Jahre lang Vildas Assistenztrainerin war. Nur schon deshalb macht sich der spanische Verband unglaubwürdig, wenn er als Begründung für den Wechsel schreibt, dass es «Zeit für Veränderungen» sei.
Jedenfalls will Tomé ab jetzt die Spielerinnen schützen und unterstützen, wie sie sagt. Mit zittriger Stimme tut sie das, sie ist es nicht gewohnt, im Rampenlicht zu stehen. Vor allem aber muss es ihr bewusst sein, was da gerade vor sich geht. Im 23-köpfigen Kader für die anstehenden Nations-League-Partien gegen Schweden und die Schweiz hat sie 20 Fussballerinnen aufgeboten, die am Freitag ihren Boykott nochmals betonten.
Ob sie mit diesen Spielerinnen gesprochen habe? «Ja», sagt Tomé klar. Weniger deutlich antwortet sie nach zweimaliger Nachfrage, ob die Spielerinnen auch wirklich erscheinen werden: «Ich vertraue darauf.» Gefolgt von vielen weiteren nicht viel aussagenden Worten, die dem Anfangssatz wohl etwas Gewicht nehmen sollten. Denn hinter diesem – wohl in vom Verband vorverfasstem PR-Sprech – verbirgt sich das, was sich wenige Stunden später in einer Medienmitteilung der betroffenen Spielerinnen entladen wird: Sie wurden gegen ihren Willen aufgeboten. «Wir bedauern es einmal mehr, dass wir vom Verband in eine Situation gebracht wurden, in der wir nie sein wollten.»
Spätestens jetzt beginnt das pure Chaos.
«Vor was soll ich geschützt werden? Vor wem?»
Auch Jenni Hermoso verschickt eine Medienmitteilung, sie fehlte im Aufgebot. «Um sie zu schützen», wie Tomé betonte. Die klare Antwort Hermosos: «Vor was soll ich geschützt werden? Vor wem?» Und auch auf die Nomination von Spielerinnen reagiert die 33-Jährige: «Die Spielerinnen sind sich sicher, dass dies eine weitere Strategie der Spaltung und Manipulation ist, um uns einzuschüchtern, uns mit rechtlichen Konsequenzen und finanziellen Strafen zu drohen.»
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Es folgt eine intensive Nacht für alle Parteien. Die Fussballerinnen klären rechtlich ab, welche Konsequenzen sie zu befürchten hätten, sollten sie nicht wie aufgeboten um 11.30 Uhr im spanischen Trainingszentrum in Las Rozas eintreffen. Das Sportreglement hat dafür eine gesetzlich festgelegte Sperre von zwei bis fünfzehn Jahren niedergeschrieben, je nach Gründen des Vergehens. Hinzu kommt Artikel 65 des Fussballverbandes, hier beläuft sich die Geldbusse von 3006 bis zu 30’051 Euro, plus eine Sperre von zwei bis fünf Jahren. Nicht aufzutauchen bedeutet also ein grosses Risiko, auch wenn sie glauben, dass der Verband Artikel 3.2 der Fifa-Statuten nicht eingehalten habe. Dieser besagt unter anderem, dass die Spielerinnen mindestens 15 Tage vor Start des Zusammenzugs schriftlich über das Aufgebot informiert werden müssen.
Sechs Spielerinnen rücken tatsächlich ein
Dennoch erscheinen sechs Spielerinnen in Las Rozas, sie alle sind bei Real oder Atlético Madrid unter Vertrag. Die erste ist Misa Rodriguez, die Torhüterin. Und die restlichen Aufgebotenen? Sie erhielten in der Nacht eine Nachricht des Verbands, mit einem Zugticket nach Valencia. Dorthin wurden sie plötzlich aufgeboten – offenbar, um dem Medienrummel zu entgehen. Der Rest der Delegation reist am Dienstagnachmittag nach, am Abend war dann die erste Trainingseinheit geplant. Nur funktioniert das Licht auf der Anlage nicht, wie verschiedene Medien schreiben.
Was sicher stattfinden soll, ist ein Treffen der Spielerinnen mit Victor Francos, dem Vorsitzenden des nationalen Sportrates. Mit einem klaren Ziel, wie eine Regierungssprecherin sagt: «Wir wollen schnelle Veränderungen sehen, das Vertrauen der Spielerinnen wiederherstellen, und vor allem wollen wir sie spielen und gewinnen sehen.» Auch Francos selber wird deutlich: «Gestern haben wir uns als Land lächerlich gemacht. Das ist inakzeptabel!»
Und das alles drei Tage vor dem Länderspiel gegen Schweden. Also, zumindest dem geplanten, denn die schwedische Nationalspielerin Filippa Angeldahl hat ihren spanischen Kolleginnen schon mal die grösstmögliche Unterstützung zugesichert: «Sollten sie sich für einen Boykott dieser Partie entscheiden, haben sie unsere volle Unterstützung.»
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