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Dopingaffäre um Jannik Sinner
Paris und Wimbledon ohne die Nummer 1? Dem Tennis droht ein Fiasko

Jannik Sinner serviert im Match gegen Nicolas Jarry während der ersten Runde des Australian Open 2025 in Melbourne.
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In Kürze:
  • Jannik Sinner kämpft weiter mit Dopingvorwürfen, obwohl er freigesprochen wurde.
  • Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) legte beim CAS Berufung gegen Sinners Freispruch ein.
  • Der Fall wird im April in Lausanne verhandelt.
  • Tennislegende Martina Navratilova kritisiert die Wada und fordert Reformen im Anti-Doping-System.

In Melbourne 2024 ging der Stern von Jannik Sinner so richtig auf. Der hagere Bergler mit dem rötlichen Lockenschopf gefiel mit seinem wuchtigen Spiel und bescheidenen Auftreten. Wie er im Halbfinal Novak Djokovic deklassierte, war der Vorbote der Wachablösung an der Spitze, die in den kommenden Monaten vollzogen wurde. Nach seinem Triumph schwärmte er von seinen Eltern aus Südtirol und wünschte anderen Kindern, so viele Freiheiten zu haben, wie er sie früher genossen habe. Alle waren entzückt, und in Sexten war man stolz auf den berühmtesten Sohn, der auch im Erfolg am Boden blieb.

In den Monaten danach entspann sich Sinners Rivalität mit Carlos Alcaraz so richtig, und viele sahen darin ein ähnliches Duell, wie es sich früher Roger Federer und Rafael Nadal geliefert hatten. Auf der Männertour und an den Grand Slams rieb man sich die Hände. Doch vor dem Start des US Open Ende August platzte die Meldung von Sinners zwei positiven Dopingtests vom März in die Idylle. Die International Tennis Integrity Agency (Itia) folgte der Argumentation des Italieners einer unabsichtlichen Kontamination und sprach ihn frei. Doch seitdem hängen dunkle Wolken über dem Tennis.

Sechs Monate warten bis zur Anhörung

Im November kam der Dopingfall Iga Swiatek dazu – auch sie eine (ehemalige) Nummer 1. Doch derweil die Polin mit einer einmonatigen Sperre ihre Strafe abgesessen hat, droht Sinner weiteres Ungemach. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) legte Ende September beim Internationalen Sportgerichtshof (CAS) Berufung ein und forderte eine ein- bis zweijährige Sperre. Dieser Tage gab der CAS bekannt, wann die Anhörung stattfindet: am 16. und 17. April in Lausanne.

Fast sechs Monate verstreichen also zwischen der Berufung der Wada und der Anhörung, und bis zu einem definitiven Urteil dürften noch einige Wochen dazukommen. Eine quälend lange Zeit der Ungewissheit.

Tennisstar Jannik Sinner aus Italien schlägt einen Ball während des Herreneinzels gegen Nicolás Jarry am zweiten Tag des Australian Open in Melbourne am 13. Januar 2025.

Derweil spielt Sinner munter weiter und ist auch am Australian Open favorisiert. Die tückische Startaufgabe gegen Nicolas Jarry (ATP 36) löste er souverän. Der Chilene hatte im Vorfeld der Partie seine Enttäuschung darüber geäussert, dass er, der ähnlich wie Sinner wegen einer Kontamination (durch verunreinigte Vitaminpräparate) positiv getestet worden war, von Dezember 2019 bis November 2020 gesperrt worden war. «Ich hätte mir eine ähnliche Unterstützung gewünscht wie Sinner», sagte er in Melbourne der chilenischen Zeitung «La Tercera».

Ihm tue es leid, wenn jemand so etwas durchmachen müsse, sagte Sinner, darauf angesprochen. Aber er kenne den Fall von Jarry nicht im Detail. Und falls das System mangelhaft sei, sei das nicht sein Fehler. Das stimmt. Der 23-Jährige hat nur seine rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft. Für viele in der Szene wurde er indes zum Vertreter des Establishments, der eine Vorzugsbehandlung geniesst. Der Australier Nick Kyrgios äusserte dies am lautesten, doch er spricht nur aus, was auch viele andere denken.

Alcaraz hat sich von Sinner distanziert

Selbst Carlos Alcaraz hat sich in den vergangenen Monaten von Sinner distanziert. Und der Italiener tritt inzwischen ganz anders auf als noch Anfang 2024, nicht mehr so erfrischend und fröhlich, sondern roboterhaft. Es ist eindrücklich, wie er es schaffte, nach Bekanntwerden seiner positiven Tests alles auszublenden und sowohl das ATP-Finale in Turin wie auch den Davis-Cup mit Italien zu gewinnen. Seine Saison war mit einer Matchbilanz von 73:6 herausragend, derweil Alcaraz gegen das Ende hin Verschleisserscheinungen zeigte.

Der Vorwurf der Bevorzugung von Sinner wird durch die Machtposition Italiens im Welttennis befeuert. Das ATP-Finale wurde bis 2030 nach Italien vergeben, die nächsten drei Jahre wird auch das Davis-Cup-Finalturnier in Italien stattfinden, ATP-Präsident Andrea Gaudenzi ist Italiener. Dieser wies die Vorwürfe, Sinner werde privilegiert behandelt, kürzlich entrüstet von sich. Das sei Populismus, sagte er. Das Tennis würde auch eine Sperre gegen Sinner wegstecken: «Natürlich wäre das nicht gut für den Sport. Aber wir würden damit leben müssen.»

Dass der CAS bis Mitte April braucht, bis der Fall Sinner verhandelt wird, ist für die Nummer 1 ungünstig. Die Wada wirft dem Italiener kein absichtliches Doping vor, aber sie bestreitet die Einschätzung, diesen treffe bei seinen positiven Tests «keine Schuld oder Fahrlässigkeit». Zur Erinnerung: Die Kleinstmengen des verbotenen anabolen Steroids Clostebol sollen via dessen Physiotherapeuten Giacomo Naldi in Sinners Körper gelangt sein. Naldi soll den verbotenen Wundspray Trofodermin benutzt haben. Die Wada argumentiert, Sinner sei für die Aktionen seines Physios verantwortlich.

In der Szene geht man davon aus, dass der Italiener zwischen einem und drei Monaten gesperrt wird, aber nicht länger. Je nach Dauer bis zur Urteilsfindung könnte dies bedeuten, dass er Roland Garros (ab dem 25. Mai) und möglicherweise auch Wimbledon (ab dem 30. Juni) verpassen würde. Bei einer längeren Sperre auch das US Open (ab dem 25. August). Somit würde der aktuelle Dominator, der von der ATP-Tour als neuer Strahlemann des Sports portiert wird, bei den wichtigsten Turnieren des Jahres fehlen. Die Saison würde damit zur Farce.

Tennislegende Navratilova hat genug von der Wada

Das ärgert Tennislegende Martina Navratilova gewaltig. Die Amerikanerin kritisierte die Wada im Tennis Channel heftig und nahm Bezug auf die 23 chinesischen Spitzenschwimmerinnen und -schwimmer, die trotz positiver Tests nicht sanktioniert wurden. Die Wada sei nicht mehr glaubwürdig, das ganze System der Dopingbekämpfung müsse gesprengt und neu aufgebaut werden, forderte Navratilova. «Wir sollten Betrüger erwischen und nicht solche, die auf ihrem Körper Massagecreme auftragen.»

Egal, wem man glaubt: Der Ruf des Tennis hat gelitten. Und bei vielen Spielerinnen und Spielern geht inzwischen die Angst um, sich durch eine Kontamination mit einer verbotenen Substanz aus dem Spiel zu nehmen. Denn nicht alle haben die Mittel wie Sinner und Swiatek, um sich professionell verteidigen zu lassen und so das Schlimmste abzuwenden.