Gas aus Norwegen für EuropaAusgerechnet jetzt streiken die Arbeiter
Angestellte auf Öl- und Gasanlagen legen Förderfelder lahm. Das treibt die Preise weiter nach oben und befeuert Rezessionsängste. Die Börse reagiert heftig.
Die Sorge vor Gasknappheit wird grösser: In Norwegen streiken die Öl- und Gasarbeiter. Infolgedessen schliesst der Gaskonzern Equinor zeitweise drei Öl- und Gasfelder. Der Arbeitgeberverband Norsk Olje & Gass warnt, dass Norwegen seine Gasexporte um bis zu 60 Prozent verringern müsse, sollte der Streik auf weitere Gasfelder ausgedehnt werden – was die Gewerkschaften bereits angedroht haben.
Der Streik trifft Europa in einem ungünstigen Augenblick. Norwegen ist Europas zweitwichtigster Gaslieferant nach Russland. Rund 20 bis 25 Prozent des Gases, das in Europa verbraucht wird, stammt laut «Financial Times» aus Norwegen.
Börsen geben nach
Die Angst vor Versorgungsengpässen hat die Gaspreise weiter steigen lassen. Terminkontrakte zum Bezug von Gas in der Zukunft verteuerten sich um 8 Prozent auf 175 Euro je Megawattstunde. Das ist der höchste Stand seit März.
Die steigenden Energiepreise befeuerten bei Anlegern die Rezessionssorgen. Daher ging es auch an den Börsen bergab. Der deutsche Leitindex DAX sank bis zum Nachmittag über 2,5 Prozent, der Schweizer SMI verlor über 1 Prozent. Auch die US-Börsen gaben zu Handelsbeginn deutlich nach.
Norwegens Öl- und Gasarbeiter wollen mit ihrem Streik eine Lohnerhöhung erreichen, um die Teuerung auszugleichen. Dabei sind bekanntlich die steigendenden Energiepreise der Haupttreiber der Inflation – welche die Öl- und Gasarbeiter mit ihrem Ausstand nun weiter in die Höhe treiben. Dennoch droht die Gewerkschaft damit, den Streik auf drei weitere Gasfelder auszudehnen.
Dreht Russland den Gashahn ganz zu?
Das Angebot ist bereits jetzt knapp: Der russische Konzern Gazprom hat seine Lieferungen über die Nordseepipeline Nord Stream 1 in den vergangenen Wochen um rund 60 Prozent verringert. Russland begründet die Lieferkürzung mit technischen Problemen. Doch tatsächlich dürfte Russland damit auf die Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine reagieren.
Die Sorge steigt, dass Russland seine Gaslieferungen ganz einstellen könnte. So steht die alljährliche Wartung der Pipeline Nord Stream 1 an, die am 11. Juli beginnen soll und normalerweise zwei Wochen dauert.
Die Analysten von Goldman Sachs erwarten nicht, dass Russland seine Gaslieferungen wieder voll hochfahren wird. Aus diesem Grund rechnen die Experten mit einem Gaspreis von 153 Euro je Megawattstunde im dritten Quartal.
Die Regierungen in Europa versuchen nun mit Hochdruck, ihre Gasversorgung zu diversifizieren. Daher sind in Europa derzeit rund 20 Terminals geplant, an denen spezielle Tankschiffe Flüssiggas (LNG) anliefern können. Deutschland hat bisher kein solches Terminal, will aber vier schwimmende Terminals übergangsweise anmieten und hat dafür rund drei Milliarden Euro bereitgestellt. Das erste Terminal soll noch in diesem Jahr in Betrieb gehen.
Wegen der geringeren Lieferungen füllen sich auch die Gastanks in der EU langsamer als geplant. Derzeit sind die Gasspeicher zu 60 Prozent gefüllt. Das Ziel ist, am 1. November einen Füllstand von mindestens 80 Prozent zu erreichen, um durch den Winter zu kommen.
Die Gaskrise bringt die ersten Firmen in Schwierigkeiten: Der deutsche Gasimporteur Uniper kann die stark gestiegenen Gaspreise auf dem sogenannten Spotmarkt, dem Markt für kurzfristige Lieferungen, nicht an seine Privatkunden weiterreichen, da diese längerfristige Gaspreise vertraglich abgesichert haben.
Daher hat die Bundesregierung am Dienstag ein neues Instrument beschlossen, damit starke Preissprünge auf dem Gasmarkt an die Kunden weitergereicht werden können. Zudem soll der Staat im Extremfall Firmen retten können dürfen. «Die Lage am Gasmarkt ist angespannt, und wir können eine Verschlechterung der Situation leider nicht ausschliessen», sagte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck. Auch Bundesrätin Simonetta Sommaruga hatte in der «SonntagsZeitung» bereits gewarnt: «Niemand kann garantieren, dass immer für alle genug Gas da ist.»
Fehler gefunden?Jetzt melden.