Lambrechts NachfolgerAus dem roten Sheriff wird jetzt ein General
Der neue deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius war als Fachmann für innere Sicherheit offenbar nicht erste Wahl. In der Bundeswehr könnte er aber gut ankommen.
Viele Namen waren als Ersatz für die gescheiterte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht genannt worden: die Bundeswehrexpertinnen Eva Högl oder Siemtje Möller etwa, sozialdemokratische Schwergewichte wie Parteichef Lars Klingbeil oder Arbeitsminister Hubertus Heil – ja sogar Wolfgang Schmidt, seit zwanzig Jahren wichtigster Mitarbeiter von Olaf Scholz. Am Ende aber fiel die Wahl des Kanzlers auf einen, den niemand auf dem Zettel hatte: den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius.
Scholz lobte Pistorius am Dienstag als einen «herausragenden Politiker unseres Landes» und als «Freund». Der 62-Jährige sei äusserst erfahren, verwaltungserprobt und durchsetzungsfähig. Zudem habe er ein grosses Herz – er sei deswegen genau der Richtige, «um die Bundeswehr durch diese Zeitenwende zu führen». Der grüne Vizekanzler Robert Habeck pries den Neuen für seine Nervenstärke, Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner freute sich auf die Zusammenarbeit. Pistorius selbst sagte, er nehme die «gewaltige Aufgabe» mit «Demut und Respekt» an und werde sich 150-prozentig in die Arbeit hineinstürzen.
Nur «dritte Wahl»?
Scholz vertraut Pistorius also das derzeit wichtigste und schwierigste Amt an. Dem Vernehmen nach tat er sich mit der Neubesetzung schwerer als erwartet, obwohl er schon seit fast zwei Wochen von Lambrechts Rücktrittswunsch wusste.
Pistorius sei nicht seine erste Wahl gewesen, berichtete die «Süddeutsche Zeitung», offenbar holte sich Scholz mehrere Absagen. Der Opposition fiel es entsprechend leicht, Pistorius zu kritisieren. Florian Hahn, Sprecher von CDU und CSU, nannte ihn eine «dritte Wahl», weil es ihm an bundes- und verteidigungspolitischer Erfahrung gleichermassen mangle. Frauen in der SPD und bei den Grünen kritisierten zudem, Scholz breche nun das Versprechen, für ein zwischen Mann und Frau paritätisch besetztes Kabinett zu sorgen.
Pistorius’ Wahl mag eine Überraschung sein, interessant ist sie aber gewiss. Der Politiker ist jedenfalls ein ausgewiesener Experte für Sicherheit, wenn auch bisher eher für die Polizei als für das Militär. Seit zehn Jahren amtiert Pistorius als Innenminister des Bundeslandes Niedersachsen, das etwa gleich gross und gleich stark bevölkert ist wie die Schweiz. Mit klarer Kante gegen Extremisten – handle es sich um Islamisten, Nazis, Hooligans, Reichsbürger oder Linksextreme – schuf er sich bundesweit einen exzellenten Ruf. Er hatte keine Mühe damit, gefährliche Migranten auszuschaffen und gleichzeitig für die Aufnahme von Flüchtlingen zu werben.
Bei der Polizei sehr beliebt
Im Kreis der deutschen Innenminister galt Pistorius bald als Autorität. In seiner Heimat war er bei den Wählerinnen und Wählern so beliebt wie sonst nur noch SPD-Ministerpräsident Stephan Weil. In Niedersachsen unterstanden ihm 25’000 Polizisten, Kontakte zur Bundeswehr ergaben sich dadurch, dass einige der grössten Stützpunkte der Streitkräfte in seinem Bundesland stehen. Als junger Mann leistete er einst auch Militärdienst – im Kreis der aktiven SPD-Politiker eine Rarität.
Pistorius, der zwei erwachsene Töchter hat und bis vor einigen Monaten mit Doris Schröder-Köpf liiert war, der Ex-Frau des niedersächsischen Alt-Kanzlers Gerhard Schröder, hatte zuletzt vermehrt bundespolitische Ambitionen gezeigt. 2019 bewarb er sich – ebenso wie Scholz – vergeblich um den Bundesvorsitz seiner Partei. Zuletzt war auch davon die Rede, dass er Bundesinnenministerin Nancy Faeser ablösen könnte, wenn diese – wie erwartet – bald das Amt verlässt, um SPD-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Hessen zu werden.
Pistorius war durch seine bullige, direkte und dennoch warmherzig-verschmitzte Art bei seinen Polizisten und Polizistinnen ausserordentlich beliebt. Anders als seine Vorgängerin Lambrecht könnte er auch in der Bundeswehr gut ankommen. Agiert er in Berlin ähnlich wie in Hannover, dürfte er sich vor allem als Anwalt der 180’000 Soldatinnen und Soldaten verstehen. Für sie wird er für bessere Ausrüstung und mehr Geld streiten und dabei – ebenfalls anders als Lambrecht – Konflikte weder mit Generälen noch Beamten noch dem Kanzler scheuen.
Leoparden für die Ukraine?
Zeit, sich einzuarbeiten, bleibt Pistorius keine. Am Donnerstag wird er von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Ernennungsurkunde erhalten – danach steht gleich der Besuch des amerikanischen Verteidigungsministers Lloyd Austin auf dem Programm. Das Treffen dient nicht dem Kennenlernen, sondern der Vorbereitung einer Konferenz, die am Tag darauf auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein alle Ressortchefs der westlichen Alliierten versammeln wird: Dort soll es um die Frage gehen, wie die Ukraine im Krieg gegen Russland noch besser unterstützt werden kann.
Viele Seiten üben derzeit Druck auf Deutschland aus, die Lieferung von deutschen Leopard-2-Kampfpanzern an die Ukraine zu erlauben. Die Regierung selbst ist in der Frage uneins: Grüne und FDP sind dafür, die SPD und Scholz eher dagegen. Wie sich Pistorius positioniert, ist noch nicht bekannt. Anders als Scholz, der diese Festlegung bis heute verweigert, sagte der Neue aber schon im letzten Mai, die Ukraine müsse diesen Krieg «gewinnen». Die Panzerfrage wird freilich nicht der Minister entscheiden, sondern der Kanzler. Bekannt werden könnte der Entscheid schon bei seiner Rede am WEF in Davos am Mittwoch – oder nach weiteren Absprachen mit den Amerikanern vor Ramstein.
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