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Befehlsverweigerung der Regierung
Bundesrat ist gegen Verbot von Atomwaffen – jetzt kommt die Volksinitiative

Der Gesamtbundesrat, von links, mit Viola Amherd, Guy Parmelin, Ignazio Cassis, Karin Keller-Sutter, Albert Roesti, Elisabeth Baume-Schneider und Beat Jans auf dem Weg zu ihrer Vereidigung, am Mittwoch, 13. Dezember 2023 vor dem Salon du President im Bundeshaus West in Bern. (KEYSTONE/POOL/Peter Klaunzer)
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Seit über fünf Jahren weigert sich der Bundesrat beharrlich, einen Befehl des Parlaments zu befolgen. Nun hätte er dies ändern können. Doch er hat sich anders entschieden.

Es geht um die Frage, ob die Schweiz dem Internationalen Abkommen für ein Kernwaffenverbot (TPNW) beitritt oder nicht. 2021 ist dieser Vertrag in Kraft getreten, bisher haben ihn 93 Staaten unterzeichnet.

Das Ziel: Atomwaffen und die Staaten, die diese Waffen besitzen, völkerrechtlich zu ächten. Auf diese Weise, so hoffen die Promotoren, soll die Welt irgendwann atomwaffenfrei werden.

Auch die Schweiz soll zu dieser Hoffnung beitragen: Das haben National- und Ständerat schon 2018 entschieden. Beide Räte stimmten damals einer Motion des SP-Ständerats Carlo Sommaruga zu. Mit dem verbindlichen Vorstoss befahl das Parlament dem Bundesrat, dem Atomwaffenverbotsvertrag «so schnell wie möglich» beizutreten.

«So schnell wie möglich» – das interpretiert der Bundesrat seither als: «lieber gar nicht».

Zwar hat die Regierung immer wieder über das Thema debattiert, sie setzte Arbeitsgruppen ein, die mehrere Berichte verfassten. Doch das Resultat war immer das gleiche: Der Bundesrat will nicht unterschreiben, obwohl die Schweiz ursprünglich selber eine treibende Kraft hinter dem Atomwaffenverbot war.

Bundesrat will keinen Ärger mit der Nato

Das Hauptargument des Bundesrats lautet, halb offen, halb verklausuliert: Ein Schweizer Beitritt zum TPNW könnte die Nato verärgern. Und just auf den Schutz dieses nordatlantischen Verteidigungsbündnisses (und seiner Atombomben) sei die Schweiz im Falle eines europäischen Krieges letztlich angewiesen.

Diese Angst hat sich noch verstärkt, seit die Atommacht Russland die Ukraine angegriffen hat. Verteidigungsministerin Viola Amherd (Mitte) strebt seither eine engere Kooperation mit der Nato an.

Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat nun erneut darüber diskutiert, wie er – über fünf Jahre nach Annahme der Motion Sommaruga – mit dem Befehl des Parlaments weiter verfahren soll. Und anders als früher schien plötzlich ein Einschwenken der Regierung denkbar. Der Auslöser war ein Kurswechsel in der SVP.

2018 hatte die stärkste Fraktion im Parlament noch grossmehrheitlich gegen den Beitritt zum TPNW gestimmt. Doch Ende Februar erklärte der führende SVP-Aussenpolitiker Franz Grüter in den CH-Media-Zeitungen: «Wir sind jetzt für den Beitritt zum Atomwaffenvertrag, weil wir damit die Annäherung der Schweiz an die Nato verhindern können.»

Hoffen auf eine SVP-SP-Allianz

Mit dem Kurswechsel der SVP schöpften die Befürworter des Atomwaffenverbots neue Hoffnung. Plötzlich schien eine Allianz SP und SVP im Bundesrat möglich. Die beiden sozialdemokratischen Regierungsmitglieder könnten dem Beitritt aus polit-moralischen Gründen zustimmen, die beiden SVP-Bundesräte aus eher polit-taktischen Gründen. Das ergäbe in der Regierung eine 4:3-Mehrheit für den TPNW-Beitritt.

Auf der ablehnenden Seite, das wusste man, stehen der im Geschäft federführende Aussenminister Ignazio Cassis und Verteidigungsministerin Viola Amherd – sowie mutmasslich auch Karin Keller-Sutter (FDP).

Justizminister Beat Jans (SP) erfüllte die Erwartungen der TPNW-Befürworter. Gemäss zuverlässigen bundesratsnahen Quellen reichte Jans einen schriftlichen Mitbericht ein, in dem er den Beitritt zum TPNW verlangte. Bundesratsnahe Personen zählten im Vorfeld der Sitzung Elisabeth Baume-Schneider (SP) und Albert Rösti (SVP) zu den Sympathisanten für Jans’ Antrag. Doch am Ende setzten sich doch Cassis und Amherd mit ihrer Anti-TPNW-Position durch.

Hat Guy Parmelin (SVP) den drei FDP- und Mitte-Bundesräten zu einer knappen Vierer-Mehrheit verholfen? Oder haben sich auch Baume-Schneider und/oder Rösti am Ende überzeugen lassen? Das ist unbekannt. Sicher ist aber: Die Regierung entschied formell, ihre Befehlsverweigerung aufrecht zu erhalten und den TPNW nicht zu unterzeichnen – wenigstens nicht «zum jetzigen Zeitpunkt», wie sie in einer Medienmitteilung schreibt.

Dort heisst es auch, dass die Wirkung des Vertrags gering sei, «weil er von den Atomwaffenbesitzern, aber auch von fast allen westlichen und europäischen Ländern, nicht anerkannt wird». Eine Welt ohne Kernwaffen könne «nur mit, und nicht gegen die Besitzerstaaten erreicht werden».

Der brisante Satz zur Nato

Deutlicher wird der Bundesrat in einem Begleitbericht zur Medienmitteilung. Dort bringt er zudem ziemlich unverhohlen das Argument vor, er wolle die Nato nicht vor den Kopf stossen. Zwar kooperiere die Schweiz heute nur im konventionellen Bereich mit der Nato, hält der Bundesrat fest. Ein TPNW-Beitritt würde darum «unmittelbar keine Zusammenarbeitsbereiche ausschliessen».

Anders sehe es aber «im Extremfall» aus, konkret: wenn die Schweiz militärisch angegriffen würde, dadurch nicht mehr an die Neutralität gebunden wäre und sich auch zusammen mit der Nato verteidigen dürfte. In diesem Fall, so schreibt der Bundesrat wörtlich, «wäre eine Mitgliedschaft im TPNW nicht mit allen denkbaren Kooperationsformen vereinbar».

Was dieser brisante Satz genau heisst, deutscht der Bundesrat nicht aus. Verstehen kann man ihn aber eigentlich nur so: Im Fall eines grossen europäischen Krieges könnte sich die neutrale Schweiz unter den Nuklearschirm der Nato begeben. Doch das könnte nicht mehr möglich sein, wenn die gleiche Schweiz heute die Atombombe ächtet.

Die Schweizer Armee uebt den Atomkrieg im Berner Oberland in der Gemeinde Thierachern bei Thun, aufgenommen 23. August 1956. Dabei wird eine Atombomben-Attrappe gezuendet, deren Pilz 200 Meter in die Hoehe steigt. Die sechs Faesser Benzin und Oel mit Sprengstoff unterlegt, ergeben ein halbes Promille einer echten Atomexplosion. (KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Max Kraft)

Aus solchen Gründen sieht der Bundesrat davon ab, die Motion Sommaruga zu erfüllen. Das Parlament kann eine Durchsetzung seines Willens nicht erzwingen. Der Bundesrat ist nur verpflichtet, weiterhin Jahr für Jahr darzulegen, was er zur Erfüllung des Auftrags unternommen hat und was er dafür noch zu tun gedenkt (selbst wenn dies beides wenig ist).

«Die Schweiz hätte mehr Mut gebraucht»

Die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (Ican), die den TPNW mitinitiierte und dafür den Friedensnobelpreis bekam, taxiert den Bundesratsentscheid als «demokratisch fragwürdig». «Die Schweiz hätte mehr Mut gebraucht», sagt Ican-Vertreter Florian Eblenkamp. «Nun droht ein Imageschaden, weil sich der Bundesrat nur dann für die traditionellen aussenpolitischen Werte des Landes einsetzt, wenn dies Atomwaffenstaaten genehm ist.»

Roxane Steiger von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) findet es «sehr beschämend, dass sich der Bundesrat weigert, ein klares Zeichen zu setzen in einer Zeit, in der die Bedrohung durch Atomwaffen wieder steigt».

Ican, die GSoA und weitere Organisationen, vornehmlich aus dem linken Lager, haben entschieden, über eine Volksinitiative Druck auf den Bundesrat zu machen. Der Text sei bei der Bundeskanzlei in Prüfung, sagen die Initianten, den Sommer wolle man zum Sammeln von Unterschriften nutzen. «Wir suchen jetzt Allianzen über das linke Lager hinaus», sagt GSoA-Sekretärin Steiger. Mit dabei ist Nationalrat Marc Jost von der EVP.

Eine zumindest vorläufige Absage kommt hingegen von der SVP. Deren Sicherheitspolitiker und Nationalrat Mauro Tuena kritisiert zwar ebenfalls den «mutlosen Bundesrat», der um jeden Preis die Nato nicht verärgern wolle, aber seine Partei habe bei Volksbegehren andere Prioritäten. «Falls die Initiative zustande kommt, kann es aber sein, dass wir – was mir widerstrebt – mit der GSoA ins Bett steigen müssen.»