Ex-Bundesrätinnen gegen BundesratDie Schweiz soll Atomwaffen endlich verbieten
Die Alt-Bundesrätinnen Micheline Calmy-Rey und Ruth Dreifuss rufen ihre Nachfolger auf, den UNO-Atomwaffenverbotsvertrag zu unterschreiben. Sie kritisieren die Schweizer Aussenpolitik massiv.
Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine war für die Wahlgenfer Friedensaktivistin Beatrice Fihn sofort klar: «Es gibt ein Risiko, dass Russland Atomwaffen einsetzt. Und dieses Risiko nimmt zu.» Das sagte Fihn im März in einem Interview mit dieser Zeitung. Und sie behielt recht.
Mit Atomwaffen gedroht hat Russland seither wiederholt. Die Nato warnte Russland wiederum vor drastischsten Konsequenzen. Während Drohungen hin- und hergingen, propagierte Beatrice Fihn ihre Lösungsansätze für die nukleare Bedrohung.
Beatrice Fihn und ihre Genfer NGO Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (Ican) ist weltweit ein wichtiger Akteur beim Thema Nuklearwaffen. 2017 bekam die NGO den Friedensnobelpreis, weil sie eine treibende Kraft für ein weltweites Atomwaffenverbot war.
Eine nukleare Eskalation befürchteten in Genf neben Beatrice Fihn auch die ehemaligen Bundesrätinnen Ruth Dreifuss und Micheline Calmy-Rey. Was sie besonders störte, war, dass die Schweiz selber sich nicht ohne Wenn und Aber gegen Atomwaffen ausspricht. 122 UNO-Mitgliedsstaaten haben 2017 den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet. Sie verpflichteten sich für ein vollständiges Verbot von Entwicklung, Lagerung, Transfer und Einsatz von Atomwaffen, auch der Drohung mit Nuklearschlägen. 2021 trat der Vertrag in Kraft.
Der Bundesrat unterzeichnete das Papier nicht, obschon das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) das Verbot angestossen hatte. Schweizer Diplomaten waren massgeblich an der Ausarbeitung des Vertrags beteiligt. Zudem hat das Parlament den Bundesrat im Dezember 2018 formell beauftragt, das Abkommen zu unterzeichnen. Die Motion dazu war vom Genfer SP-Ständerat Carlo Sommaruga gekommen. Das Aussendepartement begründete das Abseitsstehen der Schweiz bislang damit, dass «dieser Vertrag ohne die Atommächte ausgehandelt wurde und nur von einem Teil der Staatengemeinschaft mitgetragen wird». Zudem trügen ihn nur drei EU-Staaten mit, und es bestünden Fragen «zu dessen Wirksamkeit».
«Wir befürchten, dass andere uns nur noch als ‹Schönwetter-Freundin› der humanitären Grundsätze und des Völkerrechts sehen.»
Fihn, Dreifuss und Calmy-Rey versuchen dennoch den Druck auf den Bundesrat zu erhöhen. Heute lanciert Ican einen Appell zuhanden der Landesregierung, den neben den drei Frauen weitere gewichtige Schweizer Persönlichkeiten unterzeichnet haben: ehemalige Botschafter, Staatssekretäre, Stadtpräsidentinnen und IKRK-Präsidenten. Sie fordern die Landesregierung auf, sich endlich klar zu positionieren und das Abkommen zu unterzeichnen. Mit Kritik an der Schweizer Aussenpolitik wird in dem Appell nicht gespart.
Am Montagnachmittag wurde der Appell in Bern präsentiert. Darin heisst es: Die Schweiz gelte «seit langem auch als Verfechterin des humanitären Völkerrechts»; als Depositarstaat der Genfer Konventionen spiele die Schweiz «eine herausragende Rolle und konnte in diesem Bereich Einfluss und Führung ausüben». Man sei stolz auf die führende Rolle, die die Schweiz «bei der Entwicklung, Förderung und Umsetzung wichtiger humanitärer Rechtsinstrumente wie der Verträge über das Verbot von biologischen Waffen, chemischen Waffen, Antipersonenminen und Streumunition» gespielt habe. Nun sei es an der Zeit, dass die Schweiz den nächsten Schritt mache und sich auch für ein Verbot von Atomwaffen ausspreche.
Fihn, Calmy-Rey und Dreifuss und die weiteren Appellanten üben an der aktuellen Schweizer Aussenpolitik massive Kritik. Sie schreiben: «Wir befürchten (...) dass andere uns zunehmend nur noch als ‹Schönwetter-Freundin› der humanitären Grundsätze und des Völkerrechts sehen, die bereit ist, beides im Interesse der politischen Opportunität oder als Reaktion auf Unsicherheit und Instabilität aufzugeben.» Dies könne dem Ansehen und dem Einfluss der Schweiz schaden und die Sicherheit des Landes beeinträchtigen.
«Mit Österreich und Irland haben sich zwei neutrale EU-Staaten dem Atomwaffenverbot angeschlossen.»
Gemäss Ican-Campaigner Florian Eblenkamp habe das Aussendepartement angekündigt, Anfang 2023 eine Neubeurteilung der Situation vorzunehmen. Zum Argument, der Bundesrat habe sich bislang womöglich aus Neutralitätsgründen zurückgehalten und auch, um die Nato-Staaten nicht zu verärgern, sagt Eblenkamp: «Mit Österreich und Irland haben sich zwei neutrale EU-Staaten dem Atomwaffenverbot angeschlossen.» Er wünscht sich die Schweiz auch darum in den Reihen der Verbotsstaaten, weil sie ab Januar im UNO-Sicherheitsrat sitzt. Der Campaigner sagt: «Die Schweiz könnte im mächtigsten UNO-Gremium die längst überfälligen Diskussionen über die Gefahr von Nuklearwaffen anstossen und eine glaubhafte Position zur Abrüstung vertreten.»
Die Appellanten um Dreifuss und Calmy-Rey halten den Zeitpunkt für günstig, dem Abkommen beizutreten. Man sei «der festen Überzeugung, dass gerade in Zeiten der Unsicherheit und Instabilität das Bekenntnis zu humanitären Grundsätzen und zum Völkerrecht am wichtigsten ist», schreiben sie. Sowieso würden die Atomwaffen heute nicht länger zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Stabilität eingesetzt, sondern «um Zwang auszuüben und einzuschüchtern; um Aggressionen zu erleichtern, die Bandbreite möglicher Reaktionen einzuschränken und um Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen zu decken».
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